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Politik

Hat Lukaschenko EU-Gelder zweckentfremdet?

Roman Goncharenko | Olga Kapustina | Juri Schejko
11. März 2021

Belarus habe Gelder aus EU-Projekten für die Bereicherung des Machthabers Lukaschenko verwendet, behauptet ein Telegram-Kanal und schlägt damit in Oppositionskreisen hohe Wellen. Was ist dran an den Vorwürfen?

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Weißrussland Alexander Lukaschenko
Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Hat der autoritäre belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Gelder der Europäischen Union für seine Zwecke missbraucht? Der Vorwurf steht im Raum, seit dies der oppositionelle belarussische Telegram-Kanal "Nexta" am Montag berichtete. Das Video wurde auf YouTube bis Donnerstag vier Millionen Mal aufgerufen. Das sind Rekordwerte für die frühere Sowjetrepublik mit rund 9,5 Millionen Einwohnern. Auch wenn viele Fakten bekannt sind, so dürften vor allem diejenigen Belarussen mit Interesse zugeschaut haben, die sich noch nicht so lange für Politik interessieren, schrieb die renommierte oppositionsnahe Zeitung "Nascha Niwa" auf ihrer Webseite.

Für EU-Projekte in Belarus könnte der Film jedenfalls Folgen haben. "Es kann nicht sein, dass EU-Mittel missbraucht werden, um Lukaschenko persönlich zu bereichern, seinen Wohlstand aufzubauen", sagte Viola von Cramon, EU-Abgeordnete und Stellvertreterin im Haushaltskontrollausschuss, gegenüber der DW. Die Grünen-Politikerin kündigte an, eine Überprüfung anzustoßen.   

Brüssel hat die Berichte bereits zurückgewiesen. "Mutmaßungen" in den Medien, wonach "EU-Hilfe für Gebäude oder Residenzen aufgebraucht wurden, die von Lukaschenkos Regime genutzt werden" seien "komplett haltlos und unbegründet", teilte Ana Pisonero, EU-Sprecherin für Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik, auf DW-Anfrage mit. Die belarussische Seite hat sich bisher nicht öffentlich zu den Vorwürfen geäußert. Die DW schickte eine Anfrage an das Außenministerium, die zur Zeit der Veröffentlichung dieses Textes nicht beantwortet war.

Was Lukaschenko vorgeworfen wird

Der "Nexta"-Enthüllungsfilm über Lukaschenkos "Luxus-Leben" heißt "Die Goldgrube", dauert fast anderthalb Stunden und ist unter anderem auf YouTube zu sehen. In einer Episode geht es darum, dass für Umweltprojekte bestimmte EU-Mittel für vier Residenzen Lukaschenkos genutzt wurden, die in Naturschutzgebieten liegen. Eine männliche Stimme, die angeblich einem anonymen Mitarbeiter der Präsidialverwaltung gehört, sagt, mit EU-Geldern für den Fluss Sapadnaja Dwina (Düna) seien die Uferpromenade erneuert, Fontänen gebaut und der Siegesplatz in der Stadt Witebsk umgestaltet worden. Ob es darüber hinaus Belege für die Anschuldigungen gibt, wird nicht erwähnt.

 Der Gründer des Telegram-Kanals "Nexta" Stepan Putylo
Der Gründer des Telegram-Kanals "Nexta" Stepan PutyloBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

In einer zweiten Episode geht es um Darlehen und Kredite, die Belarus für diverse Projekte erhält. "Nexta"-Autoren behaupten, für dieses Geld hätten Leute aus Lukaschenkos Umgebung Wohnhäuser gebaut und sie dann zu einem höheren Prozentsatz an die Bevölkerung verkauft. Den Gewinn sollen Lukaschenko und seine Freunde eingesteckt haben. Belege für diese Behauptung gibt es keine. Der Gründer von "Nexta", der Video-Blogger Stepan Putylo, sagte in einem DW-Gespräch, man habe einen Teil der Papiere aus Quellenschutz nicht veröffentlichen können. Er kündigte aber weitere Enthüllungen an. 

EU-Projekte in Belarus

Die EU finanziert schon lange Projekte in Belarus. Es gibt Dutzende davon, sie reichen von einer Gesundheitsreform über regionale Entwicklungsprojekte bis hin zu Hilfen für die Zivilgesellschaft. Nach Angaben auf der Webseite euprojects.by betreffen die meisten Projekte den Bereich grüne Wirtschaft, Umwelt und nachhaltige Entwicklung. Für jedes Vorhaben werden hunderttausende bis mehrere Millionen Euro ausgegeben. Ab 2016, als die EU Sanktionen gegen Lukaschenko und sein Land aufgehoben hatte, gab es immer mehr Projekte.

Die belarussische Oppositionspolitikerin und Aktivistin Olga Karatsch erklärt dies mit der EU-Politik gegenüber Minsk. Lukaschenko und seinem Außenminister Wladimir Makei sei es gelungen, die Europäer davon zu überzeugen, diese würden mit ihren Finanzhilfen die belarussische Unabhängigkeit von Russland unterstützen. "Wladimir Makei, Alexander Lukaschenko und einige andere haben gelernt, Europäer geschickt zu manipulieren", sagt Karatsch. Man sei davon ausgegangen, dass keiner in der EU Belarus wirklich kennt und beachtet. 

Wer kontrolliert die Geldströme? 

Karatsch kennt die Details aus dem "Nexta"-Film nicht, glaubt aber "zu 99 Prozent" an die Richtigkeit der Vorwürfe. "Wer soll das denn kontrollieren?", fragt die Aktivistin. "Wenn diejenigen, die Gelder bewilligen (EU-Vertreter in Belarus), über Korruption in Belarus sprächen, würden sie sofort des Landes verwiesen und ihre Büros würden schließen." Karatsch erinnert daran, dass 2019 die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) im Europarat Belarus fehlende Umsetzung der Standards gegen Korruption vorgeworfen hatte.

In der EU will man solche Vorwürfe nicht akzeptieren. Für alle Hilfszahlungen seitens der EU gebe es "interne und externe Kontrollvorgänge, darunter Wirtschaftsprüfung", so die EU-Vertreterin Ana Pisonero.

Brüssel fährt Belarus-Hilfe herunter

Nach dem offiziell verkündeten Sieg Lukaschenkos bei der Präsidentenwahl im August 2020, den die EU nicht anerkennt, und der brutalen Niederschlagung der oppositionellen Proteste hat Brüssel seine Zusammenarbeit mit Minsk heruntergefahren und erklärte "maximal mögliche" Distanz zur Regierung in Minsk. Finanzielle Hilfe sei derzeit auf wenige Bereiche beschränkt, darunter Jugend, Umwelt, Zivilgesellschaft und unabhängige Medien, so Pisonero. 

Protest gegen die belarussischen Präsidentschaftswahlen
Die Polizei in Belarus schlägt friedliche Proteste brutal niederBild: Viktor Tolochko/dpa/picture-alliance

Im "Nexta"-Film werden in Zusammenhang mit westlicher Hilfe für Belarus einige Banken erwähnt, darunter die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), die formell nicht Teil der EU ist, an der aber Brüssel beteiligt ist, die Weltbank (WB) und die Europäische Investitionsbank (EIB), eine Kreditinstitution der EU. Nach Pisoneros Angaben unterhält die EIB derzeit Projekte in Belarus im Umfang von rund 550 Millionen Euro. Da die EIB dem Staatssektor in Belarus keine Darlehen ausgegeben habe, gebe es auch "keinen Grund zu behaupten, die Mittel seien zweckentfremdet worden", so die EU-Vertreterin Pisonero. Bei der EBRD gebe es laufende Kredite in Höhe von insgesamt 1,3 Milliarden Euro in Belarus, überwiegend in den Bereichen Landwirtschaft und Infrastruktur. Die EBRD hat Ende 2020 angekündigt, keine neuen staatlichen Projekte mehr in Belarus zu unterstützen. Die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor soll aber erhalten bleiben. Beide Banken hätten "funktionierende Mechanismen" der Korruptionsbekämpfung, so Pisonero.

Wird Brüssel Geld zurückfordern?

Amanda Paul, Osteuropa-Expertin der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre, schloss gegenüber der DW nicht aus, dass EU-Gelder in Belarus zweckentfremdet worden sein könnten. Sie sei sich aber sicher, dass Brüssel "immer genau überprüft, wohin das Geld fließt". Künftig werde man wohl noch besser überprüfen müssen, so Paul.

Die EU-Abgeordnete Viola von Cramon sagte, Zweckentfremdung gebe es auch unter einigen EU-Mitgliedstaaten und erwähnte Ungarn und Tschechien. In solchen Fällen mussten solche Länder das Geld zurückzahlen. Auch im Fall Belarus sei das möglich, doch zunächst müsse festgestellt werden, ob die Vorwürfe stimmen.