Hass und Hakenkreuze: Teslas Ruf in Gefahr
29. September 2021Owen Diaz ist vieles gewohnt. Als Schwarzer in Amerika gehören Beleidigungen für ihn zum Alltag. Doch das, was Diaz eigenen Angaben zufolge als Mitarbeiter bei Tesla erleben musste, übertraf alles.
Diaz, heute 53 Jahre alt, arbeitete 2015 und 2016 im kalifornischen Freemont, in einer von Teslas Fertigungshallen. Hier bediente er Aufzüge und sorgte dafür, dass Metall- und Autoteile zu den richtigen Fließbändern gelangten. Statt einer entspannten Arbeitsatmosphäre sah er sich allerdings regelmäßig unzumutbaren Zuständen ausgesetzt, die ihm so lange keine Ruhe ließen, bis er schließlich kündigte. In den Produktionshallen, so Diaz, gehörten abfällige Kommentare und Hassbotschaften zur Tagesordnung.
Heute, knapp fünf Jahre später, trifft Diaz erneut auf seinen ehemaligen Arbeitgeber. Der einstige Mitarbeiter verklagt Tesla wegen Rassismus und Diskriminierung. Die Fabriken seien eine "Brutstätte für rassistisches Verhalten", heißt es in der Anklageschrift, die ab diesem Mittwoch (29.09.2021) vor einem Gericht in Kalifornien verhandelt wird. Schwarze Mitarbeiter, so die Vorwürfe, seien bei Tesla permanenten und ernsthaften Belästigungen ausgesetzt.
Nazis und der KKK
Der Autobauer selbst widerspricht den Vorwürfen. Im Falle Diaz habe man keine Kenntnis über ein mögliches Fehlverhalten von Mitarbeitern. Zeitgleich bekräftigte Tesla, dass man gegen jede Form der Diskriminierung, Belästigung oder der unfairen Behandlung sei und man jeden Vorfall ernst nehme und untersuche. "Wir werden nie in der Lage sein, jede einzelne Person in der Fabrik von unangemessenem Verhalten abzuhalten, aber wir werden weiterhin alles tun, was wir können, um das richtige Verhalten zu fördern und Maßnahmen zu ergreifen, wenn etwas Schlimmes passiert."
Diaz ist das zu wenig. Für sein seelisches Leiden damals will er jetzt entschädigt werden. "Ständig hörst du Sätze wie 'Komm her, Nigger' oder 'Geh zurück nach Afrika'", schilderte Diaz im Herbst 2018 der New York Times. "Irgendwann kommt der Punkt, wo man sich fragt: Wo ist meine Grenze?"
Auch rassistische Schmierereien und Zeichnungen sollen in der Fabrik sichtbar gewesen sein. An den Wänden der Toilettenräume etwa sollen unübersehbar Hakenkreuze geprangt haben sowie das Kürzel "KKK", die Abkürzung des Ku Klux Klan. Sein eigener Schichtleiter wiederum malte eine Figur, die einen Afrikaner darstellen sollte: eine Karikatur mit dicken Lippen und einem Knochen in den Haaren, darunter das Wort "Boooo". Danach entschied Diaz: es reicht.
Nur Leiharbeiter können sich wehren
Diaz' Vorwurf ist bei weitem nicht der einzige, der Tesla bezichtigt, in seinen Fabriken ein unerträgliches Arbeitsumfeld zu schaffen. Allein in den Jahren 2018 bis März 2021 haben 120 Personen das Recht beantragt, Tesla wegen Diskriminierung zu verklagen. Neun dieser Klagen wurde das Klagerecht wegen unzureichender Beweise verweigert, alle anderen aber haben eine Zulassung bekommen. Insgesamt 104 eidesstattliche Erklärungen vermeintlicher Opfer umfasst die 500-seitige Klageschrift, die im März eingereicht wurde.
Die Dunkelziffer dürfte allerdings weitaus höher liegen. Grund dafür sind sogenannte Schiedsvereinbarungen, die Tesla-Mitarbeiter bei Job-Antritt unterzeichnen müssen und damit bestätigen, dass sie das Unternehmen im Falle von Streitigkeiten nicht vor Gericht zerren. Einige aber, und dazu gehört auch Diaz, sind Leiharbeiter, die über Personalvermittlungsagenturen eingestellt wurden und solche Klauseln nicht unterzeichnen müssen. Alle anderen haben höchstens die Möglichkeit, Differenzen außergerichtlich durch ein Schiedsverfahren beizulegen, das auch Sammelklagen verhindert.
Hauptsache: Geld sparen
Teslas Praktiken sind bei weitem kein Einzelfall, sondern weitverbreitete Methoden schnell wachsender Firmen, die auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter oft wenig Rücksicht nehmen, sagen Experten. "Die Unternehmen im Silicon Valley kombinieren hochentwickelte Technologie mit Arbeitsbeziehungen, die unzeitgemäß sind und oft aus dem 19. Jahrhundert stammen", sagt Arbeitshistoriker Nelson Lichtenstein, der am Center for the Study of Work, Labor and Democracy an der University of California, Santa Barbara, forscht. Unternehmen wie Tesla würden so versuchen, sich der rechtlichen, moralischen und sozialen Verantwortung für ihre Beschäftigten zu entziehen, auch um Geld zu sparen. "Noch viel wichtiger aber ist die Fähigkeit, nach Belieben zu entlassen und/oder ein hohes Maß an ausbeuterischer Produktion durchzusetzen", sagt Lichtenstein.
Unternehmensgruppen behaupten zwar, dass ein Schiedsverfahren für alle Beteiligten schneller und effizienter sei. Arbeitnehmervertreter hingegen argumentieren, dass es sich vielmehr um intransparente Verfahren handelt, die die Arbeitnehmer nicht selten benachteiligen. "Meine persönliche Meinung ist, dass Tesla sich nicht auf die Untersuchung und Verhinderung dieser Ansprüche konzentriert", sagt Larry Organ, der Anwalt von Owen Diaz, dem Online-Magazin Protocol. "Tesla konzentriert sich eher auf die Herstellung von Autos und weniger auf das Verhalten seiner Mitarbeiter, wie unsere Untersuchungen in fünf Fällen zeigen".
Aggressiv und erfolgreich
Schon in früheren Fällen hatte Organ ehemalige Mitarbeiter beim Kampf gegen Tesla unterstützt. In den allermeisten Fällen reagierte das Unternehmen allergisch auf die Anschuldigungen, die es erst entschieden zurückwies, nur um später in den Frontalangriff überzugehen. In einem Blogbeitrag aus dem Jahr 2017 etwa erklärte Tesla, Organ habe "eine lange Erfolgsbilanz bei der Erpressung von Geld für unbegründete Forderungen" und fuhr fort: "Wir bei Tesla würden lieber das Zehnfache der geforderten Vergleichssumme an Anwaltskosten zahlen und bis ans Ende der Welt kämpfen als uns erpressen zu lassen und diesen Missbrauch des Rechtssystems zuzulassen."
Mit seiner aggressiven Taktik hatte Tesla bislang außerordentlich großen Erfolg. Von fast 90 arbeitsrechtlichen Schiedsgerichtsklagen, die zwischen 2016 und Anfang dieses Jahres eingereicht wurden, hat das Unternehmen nur ein Verfahren verloren - ein Fall, der dem von Diaz sehr ähnlich ist.
Vor knapp zwei Monaten sah es ein US-Gericht als erwiesen an, dass Melvin Berry, ein 47-jähriger Ex-Mitarbeiter, jahrelang von seinen Vorgesetzten rassistisch beleidigt wurde, weshalb Tesla nun eine Million Dollar Strafe zahlen muss. Der Großteil davon geht für Gerichts- und Anwaltskosten drauf. 250.000 Dollar aber gehen direkt an Melvin Berry, davon 100.000 Dollar als Entschädigung für die seelische Belastung.