Interview mit Hartmut Haenchen
28. August 2016Deutsche Welle: Kritiker und Publikum lobten ihren Einstand. Was sagen Sie dazu?
Hartmut Haenchen: Nach einer extrem kurzen Probenzeit kam bei einer Premiere dann plötzlich alles zusammen. Man ist dann auch glücklich, wenn es sich zusammen fügt, auch musikalisch und emotional. Ein großer Teil von dem, was ich mir vorgestellt habe, konnte verwirklicht werden.
Das waren zum Teil viel schnellere Tempi als bei Ihrem Vorgänger. Wie reagierten die Sänger darauf?
Das war ja für die Sänger doch eine große Umstellung. Da musste man in den Abläufen ein paar Dinge leicht korrigieren. Natürlich habe ich die Regie nicht geändert. Im Orchestergraben kann man sie nicht sehen, und ich habe keine Regieproben mitgemacht. Ich habe die Regie ja erst im Fernsehen gesehen. Das ist schon außergewöhnlich!Sie sind zwar als "Parsifal"-Dirigent in Bayreuth kurzfristig eingesprungen, haben sich aber lange mit dem Werk beschäftigt. Was ist für Sie die Botschaft des Werks?
"Parsifal" zeigt uns deutlich, dass eine Männergesellschaft, die versucht, ohne Frauen auszukommen, nicht funktioniert. Immer wieder findet man bei Wagners Werken die Botschaft, dass nur die Frau in der Lage ist, die Welt positiv zu verändern - und dass die Männer alles falsch machen! Und zwar, in allen Varianten: nicht nur in "Parsifal", sondern auch in "Tannhäuser", dem "Fliegenden Holländer" und "Tristan".
Die Gralsgesellschaft in "Parsifal" erhält sich ja nur durch einen Ritus. Aber eigentlich muss sich eine Gesellschaft durch die Tat erhalten und beweisen. So geht diese Gesellschaft zugrunde. Nur jemand von außen, der das Problem sieht, kann etwas daran ändern. Die Figur Parsifal sieht es nicht selbst, sondern wird, wie es im Stück heißt, "welthellsichtig" durch eine Frau, durch Kundry.
Nun - ob sich die Gesellschaft wirklich dadurch verändert, das erzählt uns Wagner nicht genau. Wie auch in der "Götterdämmerung" lässt er eine Hoffnung am Ende, hat aber keinen Lösungsansatz. Das macht das Stück wahnsinnig aktuell - auch wenn man auf Religionen schaut, die sich verfestigen und nur noch ideologisch arbeiten aber nicht mehr nach ihren menschlichen Grundsätzen. Wir sehen das Problem deutlich in unserer Zeit.
In der Deutung des Regisseurs Uwe Eric Laufenberg überwindet Parsifal die Religionen, indem er sie alle in einer Art überreligiöse Naturreligion aufgehen lässt. Können Sie das nachvollziehen?
Ich hatte keine Zeit, um mit dem Regisseur konzeptionell zusammenzuarbeiten. Er hat mir sein Konzept erklärt, und da kann ich mich gut herein finden. Es ist ja in gewissem Sinne auch ein religionskritischer Ansatz. Bloß im Gegensatz zum Regisseur sträube ich mich, zu sagen, dass "Parsifal" ein christliches Stück ist. Für mich benutzt Wagner klug Symbole wie den Speer oder den Gral um die Menschen dort abzuholen, wo sie sind. Und von diesem Punkt aus geht er dann weiter. Aber es kommt genauso die indische Lehre der Wiedergeburt vor, auch Teile des Buddhismus. Es ist also kein christliches Stück in dem Sinne.Was kann uns Wagners Musik heute noch sagen?
Wagner ist ein großer Baustein in der europäischen Kultur, die es gilt, zu bewahren. Sein Ansatz war, die Kultur zu fördern und weiterzuentwickeln, ihr auch Raum für eine Zukunftsvision zu geben. Meiner Meinung nach hat sich das ein bisschen auseinandergelebt: Neue Kunst, Kultur im Allgemeinen wird immer mehr getrennt von alter. Eigentlich müssten sie zusammen gehören. Es müsste eine organische Entwicklung sein. Das ist das, was ich von Wagner behaupte: Er holt die Leute da ab, wo sie sind und nimmt sie auf den nächsten Schritt.
Auch um die Gesellschaft weiter zu entwickeln?
Genau! Wenn wir bei der Kultur immer mehr kürzen, zahlen wir das später bei den sozialen Ausgaben drauf. Und zwar nicht mit derselben Summe, sondern mit dem Zehnfachen! Das ist jetzt nicht nur auf die Musik gemünzt. Wir müssen in Europa die Kunst und die Kultur weiterentwickeln, hochhalten, unterstützen. Somit können wir soziale Probleme - auch Kriminalität und Drogen - im Zaun halten. Solange die Menschen an die humanistischen Werte herangeführt werden - und dabei rede ich von den Vorstellungen, die wir in Europa mal hatten - dann sind wir auf dem richtigen Weg, Europa zusammenzuhalten. Aber meine Angst ist, wenn ich mich umschaue in Europa: Da wird bei der Bildung nicht genug investiert, es wird bei Jugendtheatern gestrichen, Kinder können nicht mehr genug in die Konzerte gehen, den Musikschulen wird das Geld weggenommen, und all diese Dinge, die wirklich für die Zukunft entscheidend sind: Da sehe ich die Kurzsichtigkeit der Politik. Ich versuche, mit meinen wenigen Mitteln aufzurütteln und etwas dafür zu tun.
Auch Integration durch Musik und Kultur? Können wir die Menschen, die aus ganz anderen kulturellen Zusammenhängen kommen, in diese Art von Kultur mitnehmen? Denn zwischen den Bayreuther Festspielen etwa und der Flüchtlingskrise liegen ja Welten. Ist das eine zu große Vision?
Das Fremde hat immer Kunst und Kultur in Europa befruchtet! Dass es auch Auseinandersetzungen gegeben hat, war auch immer so.
Ich war acht Jahre lang Intendant der Dresdner Musikfestspiele, und eines der Themen dort war "Lust am Fremden". Es ging darum, verschiedene Musikkulturen zusammenzubringen und zu sehen, wie sie sich befruchten, wie sie gegenseitig Spannung aufbauen. Da hat man gesehen, dass Musik, die ja ohne Worte auskommt und dadurch auch jede Sprachbarriere überwindet, die beste Möglichkeit ist, um Menschen zusammenzubringen. Und auch Dinge zusammen tun zu lassen und einander zu verstehen. Und das sollte man wirklich erkennen.
Mit Hartmut Haenchen sprach Adelheid Feilcke.