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Harte Zeiten im belgischen Knast

Martin Kuebler/cgn27. Mai 2016

Der Streik der Bediensteten in belgischen Gefängnissen geht weiter. Für die Insassen wird die Lage immer schwieriger. Kritiker befürchten, dass die Bedingungen die Radikalisierung von Häftlingen fördern könnten.

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Brüssel Gefängniswärter Generalstreik Foto: picture-alliance/dpa/Filip De Smet
Bild: picture-alliance/dpa/Filip De Smet

Die belgischen Mitarbeiter im Justizvollzugsdienst in Brüssel und Wallonien streiken schon seit mehr als vier Wochen. Sie protestieren damit gegen niedrige Gehälter und schlechte Arbeitsbedingungen.

Nun geht die Regierung dazu über, sogar Soldaten für die Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten einzusetzen. Aber der Mangel an ausgebildetem Gefängnispersonal hat inzwischen dazu geführt, dass zahlreiche Haftanstalten in einem schlechten Zustand sind - und viele zudem überbelegt.

Im Visier der Öffentlichkeit

Jetzt hat sich der Europarat zu Wort gemeldet. Nils Muiznieks, Menschenrechtskommissar des Europarats, schrieb auf Facebook, dass er extrem beunruhigt sei über die rapide Verschlechterung der Zustände in einigen belgischen Gefängnissen. Durch den Streik würden Häftlinge teilweise nicht mehr mit Mahlzeiten versorgt, einige müssten auf Matratzen auf dem Boden schlafen und statt der Toilette in den Zellen Eimer benutzen.

"In einigen Fällen durften Häftlinge ihre Zellen seit Wochen nicht mehr verlassen. Sie haben keinen Kontakt zu ihren Anwälten oder zu ihren Angehörigen. Zudem ist es ihnen nicht möglich, medizinisch versorgt zu werden," schrieb Muiznieks. "Die sanitären Bedingungen in vielen der Zellen sind inzwischen äußerst beunruhigend, da selbst der Zugang zu Duschen und Waschräumen nicht mehr gegeben ist."

Diese Defizite sind eigentlich nichts Neues: Bereits im März hatte ein Bericht des Europarates schwerwiegende Probleme in belgischen Gefängnissen festgestellt. Damals ging es hauptsächlich um sanitäre Mängel, Erkrankungen von Insassen und den Platzmangel in den Zellen. Viele der Gefangenen hätten nur drei Quadratmeter pro Person zur Verfügung.

Nach Angaben der Zeitung "La Libre Belgique" aus dem Jahr 2015 lebten in den 34 belgischen Gefängnissen 10.028 Häftlinge. Aktuelle Erhebungen listen nunmehr 11.040 Gefangene in den Anstalten in Brüssel und Wallonien auf. Das bedeutet, die Gefängnisse platzen aus allen Nähten. Die Überbelegungsrate in den Gefängnissen in Brüssel und dem Distrikt Saint Gilles lag bei 37,4 beziehungsweise 28 Prozent.

Gefängnis Vorst Forest in Brüssel Foto: (c) picture-alliance/dpa/T. Roge
Das Gefängnis Vorst Forest in Brüssel ist über hundert Jahre alt - und überfülltBild: picture-alliance/dpa/T. Roge

Als Antwort auf den Bericht hatte die belgische Regierung eingeräumt, dass die jetzige Situation nicht ideal sei. Jedoch habe sich die Lage gebessert. Die Rate der Überbelegung sei von 22 Prozent auf zehn Prozent gesenkt worden.

Dennoch blieben die Bedingungen in den Gefängnissen miserabel, so Alexis Deswaef, Rechtsanwalt und Leiter der belgischen Liga für Menschenrechte. Er hat die belgische Regierung inzwischen wegen krimineller Fahrlässigkeit und unmenschlicher Behandlung verklagt. Die belgische Justiz hat bisher in ähnlichen Fällen eine Entschädigung für die Insassen angeordnet. "Wie wollen wir Gefangene behandeln, wenn sie eingesperrt sind? Wollen wir Menschen freilassen, die gestresst sind, ohne jegliche Richtung im Leben, wie so viele potenzielle Zeitbomben?", fragte Deswaef.

Zunehmende Gefahr der Radikalisierung

Es sind diese Zeitbomben, die die betroffenen Behörden beunruhigen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Anschläge in Paris und Brüssel zeigen Berichte, dass Gefängnisse immer mehr zu einem Hort der Radikalisierung unter den Insassen werden. Einige der Attentäter von Paris verbrachten zuvor einige Zeit in belgischen Gefängnissen. Darunter auch der Anführer der Pariser Anschläge, Abdelhamid Abaaoud, und Salah Abdeslam, der einzige überlebende Verdächtige.

Brüssel Protest Gefängniswärter Foto: picture-alliance/dpa/T. Roge
Seit mehreren Wochen streiken Gefängniswärter in BelgienBild: picture-alliance/dpa/T. Roge

Harold Sax, Sprecher des belgischen Zweigs der internationale Beobachtungsstelle für Gefängnisse, sagte, dass Haftanstalten prinzipiell zur Radikalisierung beitragen könnten. Er fügte aber hinzu, dass es dabei bislang noch keine konkreten Hinweise auf belgische Gefängnisse gebe. "Allerdings sind die aktuellen Haftbedingungen erschreckend und sie können in den Gefangenen ein Gefühl der Revolte gegen die Gesellschaft schüren", sagte er gegenüber der Deutschen Welle.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt ein Bericht der Nichtregierungsorganisation PRI, der darauf abzielt, dass die schlechten Bedingungen einen Zusammenhang zur Radikalisierung herstellen können. "Sie setzen eine große Zahl von Menschen der Gefahr aus, unter den starken ideologischen Einfluss von Predigern zu gelangen. Das Gefängnis ist ein Ort, wo der Starke Beute unter den Schwachen macht. Es ist ein recht guter Nährboden", sagte Nikhil Roy, Direktor bei PRI.

Teil des Problems, so Roy, seien auch die Sparmaßnahmen: "Verbesserte Bedingungen für Gefangene erhält man nur, wenn sich die Bedingungen für diejenigen verbessern, die mit ihnen arbeiten. Es ist wie in einer Schule. Sie bekommen keine guten Schüler, wenn sie schlechte Lehrer haben. Es ist eine sehr einfache Gleichung."

Regierung will Extremismus bekämpfen

Belgiens Justiz hatte bereits Ende 2015 beschlossen, das Problem anzugehen. So hatte Justizminister Koen Geens verkündet, dass die Zahl der islamischen Seelsorger in belgischen Gefängnissen von 18 auf 27 steigen werde. Nach Medienberichten sind 35 Prozent der Häftlinge Muslime, in Brüssel ist deren Anteil noch höher.

Die Vertretung der belgischen Muslime hatte vor kurzem auch eine Stellenanzeige veröffentlicht, in der Seelsorger mit ausreichend religiösem Wissen und Stressresistenz gesucht wurden. Sie würden gemeinsam mit anderen Seelsorgern und islamischen Beratern in speziellen Anti-Radikalisierungs-Einheiten in Gefängnissen eingesetzt.

Diese Maßnahmen sind Teil des 39 Millionen Euro teuren Anti-Radikalisierungs-Projektes, das zu Beginn des Jahres verkündet wurde. 6,9 Millionen Euro sind dabei für Gefängnispräventionsprogramme vorgesehen.

Dies wird von den streikenden Justizmitarbeitern kritisch gesehen. Erhöhte Investitionen reichen ihnen nicht. Das letzte Angebot, das von Justizminister Geens der Gewerkschaft vorgelegt wurde, ist bereits von den Mitarbeitern von zwei Haftanstalten abgelehnt worden - darunter auch von den Wärtern des überfüllten Gefängnisses von Saint-Gilles.