VW-Aufsichtsrat wählt neuen Chef
7. Oktober 2015Erwartungsgemäß hat der Aufsichtsrat von Volkswagen den bisherigen Konzern-Finanzchef Hans Dieter Pötsch zu seinem neuen Vorsitzenden gewählt. Dies teilte das Unternehmen am Mittwoch nach einer weiteren Krisensitzung des 20-köpfigen Kontrollgremiums in Wolfsburg mit. Pötsch löst damit den seit Ende April übergangsweise amtierenden Berthold Huber ab. Der frühere IG-Metall-Chef hatte den Posten im Frühjahr vom zurückgetretenen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch übernommen.
Am Morgen hatte das Amtsgericht Braunschweig die Wahl von Pötsch durch einen Beschluss erst möglich gemacht. Das Gericht ernannte den 64-jährigen Österreicher auf Antrag des VW-Präsidiums zum Mitglied des Aufsichtsrats - befristet bis zur nächsten, noch nicht terminierten VW-Hauptversammlung. Dort soll dann - wie bereits von Aktionärsvertretern verlangt - die offizielle Wahl von Pötsch durch die stimmberechtigten Anteilseigner nachgeholt werden. Für Pötsch muss auf der Kapitalseite des Aufsichtsrates Julia Kuhn-Piëch ihren Platz räumen. Die Nichte von Ferdinand Piëch war im Mai nach dessen Rücktritt übergangsweise in das Gremium aufgerückt. Die Wahl von Pötsch war bis zuletzt umstritten, da dessen Rolle in der Abgas-Affäre nicht zweifelsfrei geklärt ist.
Nur wenige Schuldige?
Die neue VW-Führung geht derzeit davon aus, dass "nur wenige Mitarbeiter" direkt für die gefälschte Prüf-Software in rund elf Millionen Fahrzeugen des Konzerns verantwortlich sind. Das sagte der vor zwei Woche neu bestellte VW- Vorstandschef Matthias Müller der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Das Blatt zitiert Müller mit den Worten: "Aber genau werden wir das natürlich erst wissen, wenn in einigen Wochen die Ergebnisse der internen und externen Untersuchung vorliegen." Vier Mitarbeiter seien bisher beurlaubt worden, davon drei Vorstände. Im Zuge des Skandals war außerdem Konzernchef Martin Winterkorn zurückgetreten.
Rückruf im Januar
Müller gibt dem Unternehmen laut FAZ noch einige Wochen, um die Nachbesserung der betroffenen Autos zu bewerkstelligen. VW müsse die Lösung auf jedes Modell abstimmen und die notwendigen Teile bestellen. Eine Rückrufaktion soll Anfang des kommenden Jahres beginnen. "Wenn alles läuft wie geplant, können wir im Januar starten", sagte Müller der Zeitung: "Bis Ende 2016 sollen dann alle Autos in Ordnung sein."
Bis zum Abend muss Volkswagen dem Kraftfahrtbundesamt in Flensburg einen verbindlichen Zeitplan vorlegen, bis wann die betroffenen Fahrzeuge auch ohne Manipulations-Software die Abgas-Verordnung einhalten können. Ein VW-Sprecher sagte am Mittwoch, der Konzern habe dem Bundesamt seine Pläne bereits präsentiert. Falls sie gebilligt würden, werde die Öffentlichkeit unterrichtet.
In Deutschland hat eine erste Käuferin Klage gegen VW wegen des manipulierten Diesel-Motors eingereicht. Das meldet die Nachrichtenagentur AFP. Die Klägerin habe gezielt ein umweltfreundliches Auto kaufen wollen, die angeblich niedrigen Abgaswerte seien für sie "kaufentscheidend" gewesen, teilte die Kanzlei Jordan Fuhr Meyer in Bochum mit. Die Kanzlei erhob vor dem Landgericht Braunschweig Klage auf Schadensersatz.
Auch eine Nachbesserung reiche der Klägerin nicht aus, so ihr Anwalt Sascha Conradi. Die Weiternutzung "eines nicht schadstoffarmen Kraftfahrzeugs" sei für die Klägerin "unzumutbar". Deshalb wolle sie das Auto abgeben und ganz von dem Kaufvertrag zurücktreten.
VW-Beschäftigte betroffen
Vor der VW-Belegschaft hatte Müller am Dienstag in Wolfsburg versucht, die Beschäftigten auf harte Zeiten einzustimmen. Die Milliardenschäden durch den Abgas-Skandal drohen zentrale Investitionspläne bei Volkswagen zu kippen und werden zu einer immer größeren Belastungsprobe für den Konzern. "Unser Ergebnis und die bisherige Finanzplanung kommen massiv unter Druck", sagte der neue Vorstandschef der Betriebsversammlung im VW-Stammwerk. Um die Zusatzkosten etwa bei der Nachrüstung von vielen der rund elf Millionen betroffenen Dieselautos stemmen zu können, hatte das Unternehmen bereits Rückstellungen von 6,5 Milliarden Euro gebildet.
"Sicher ist: Die Belastungen werden groß sein. Möglicherweise sehr groß", erklärte Müller bei der nicht-öffentlichen Veranstaltung in Wolfsburg. VW hat 600.000 Mitarbeiter weltweit. Dem Redemanuskript zufolge sagte Müller am Dienstag weiter: "Ich bin ganz offen zu Ihnen: Das alles wird nicht ohne Schmerzen gehen. Das ist klar." Mit Blick auf die Arbeitsplätze betonte er: "Wir wissen heute zwar noch nicht, welche Auswirkungen die Krise haben wird. Aber wir werden dafür kämpfen, sie so gering wie möglich zu halten. Und wir werden alles tun, um die Beschäftigung im Unternehmen zu halten."
An diesem Donnerstag muss der USA-Chef des deutschen Autobauers vor dem Kongress in Washington Rede und Antwort stehen. Michael Horn soll bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus aussagen. Auch Vertreter der US-Umweltschutzbehörde EPA nehmen an der Anhörung teil. Die trägt den Titel "Vorwürfe gegen Volkswagen wegen Emissions-Betrügereien: Erste Fragen".
Folgen für VfL-Wolfsburg
Spürbare Auswirkungen könnte die Krise für das VW-Tochterunternehmen VfL Wolfsburg haben. In dem FAZ-Interview erklärt der VW-Chef Müller: "Wir drehen jeden Stein um und werden uns auch das ansehen." Der VfL erhält von VW jährlich Zuwendungen im hohen zweistelligen Millionenbereich. Unter Vorgänger Winterkorn hatte Volkswagen die Bühne Fußball als Marketinginstrument entdeckt.
Der Bundesligist VfL Wolfsburg wurde zur hundertprozentigen Konzernbeteiligung. Zudem ist VW über die Tochter Audi am FC Bayern München und dem FC Ingolstadt beteiligt. VW engagiert sich auch als Sponsor des DFB-Pokales und von insgesamt 16 Proficlubs in Deutschland. Der Sportchef der "Wölfe" versucht sich zunächst mit einer Beruhigung: "Es gibt keinen Grund, sich jetzt Sorgen zu machen", sagte Klaus Allofs der Deutschen Presse-Agentur. Zu dem Zeitpunkt war das Interview des neuen starken Mannes bei VW allerdings noch nicht bekannt.
ar/nm (dpa,rtr,afp, FAZ)