Handlungsfähiges Europa
29. September 2003Manchmal muss der Jäger zum Jagen getragen werden - so verhielt es sich mit der deutschen Industrie, die eine Einführung des Emissionshandels bis zuletzt hartnäckig bekämpfte, obwohl sie es überhaupt nicht nötig gehabt hätte. Das verwundert, denn den rund 4.500 meist Energie-intensiven Betrieben, die in Deutschland von diesem neuen Instrument der Klimapolitik betroffen sind, dürfte das Wort Marktwirtschaft nicht ganz unbekannt sein - schließlich verdienen sie ihr Geld in einer solchen. Und Marktwirtschaft, das Spiel zwischen Angebot und Nachfrage, ist schließlich genau das Prinzip, das jetzt erstmals in die europaweite Umweltpolitik Einzug hält.
Beim Emissionshandel sollen Betreibern von Industrieanlagen wie Kraft- und Stahlwerken, Zement- oder Papierfabriken jährlich abnehmende Verschmutzungszertifikate über den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen zugeteilt werden. Überschüssige Rechte können an Unternehmen verkauft werden, die die festgelegten Verschmutzungsgrenzen noch nicht einhalten können. Auf diese Weise sollen Betriebe zu einer umweltfreundlicheren Produktion angehalten und die Emissionen kostenwirksam reduziert werden.
Die ablehnende Haltung der deutschen Industrie verwundert auch in anderer Hinsicht: Sie hat nämlich ihre Hausaufgaben in Sachen Klimaschutz bereits größtenteils erledigt. Im Kyoto-Protokoll hat sich die Europäische Union auf eine Reduzierung der Treibhausgase um acht Prozent bis 2012 verpflichtet, Deutschland soll als größte Volkswirtschaft in der Union mit 21 Prozent zu diesem Ziel beitragen - und 19 Prozent davon hat die deutsche Industrie bereits erreicht.
Mit Recht fragt denn auch Deutschlands Umweltminister Jürgen Trittin, wo, wenn nicht in Deutschland, andere Unternehmen die Verschmutzungs-Zertifikate kaufen sollen. Die deutsche Industrie, das weisen auch Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nach, kann von dieser neuen Regelung nur profitieren - zumal die Emissionsrechte ganz im Sinne der Marktwirtschaft künftig immer knapper und teurer werden. Damit haben auch andere Staaten einen massiven Anreiz, nun ihrerseits mit der Klimapolitik ernst zu machen.
Eine solche europaweite Lösung hat bedeutende Vorteile gegenüber nationalen 'Insellösungen', etwa der freiwilligen Selbstverpflichtung, die die deutsche Industrie in der Vergangenheit eingegangen ist. Aber sie hat auch Nachteile: Sie verlagert das Prinzip der Insellösung von den Nationalstaaten auf die nächst höhere Ebene, die Europäische Union - bleibt aber immer noch eine Insellösung angesichts der Tatsache, dass die CO2-Produktion und die damit verbundene Klimaveränderung ein globales Phänomen ist. Und die größten Bremser sitzen eben nicht in Europa, sondern in den USA.
Dennoch: Europa hat bewiesen, dass es, wenn nicht außen- und sicherheitspolitisch, so doch klimapolitisch handlungsfähig ist. Deshalb bleibt dem Modell nur zu wünschen, dass es erfolgreich ist - und vielleicht irgendwann den Anstoß gibt, von Insellösungen zu globalen Vereinbarungen zu kommen, die ihren Namen auch tatsächlich verdienen.