Der Markt, die Händler und die Investoren
20. September 2013Ein paar Sätze in Washington genügten, um der brasilianischen und der türkischen Wirtschaft einen Teil ihres Schwungs zu nehmen. Die Federal Reserve, die amerikanische Notenbank, werde ihre lockere Geldpolitik absehbar beenden, erklärte deren Chef Ben Bernanke im Juni dieses Jahres.
Zwar nahm er die Aussage später wieder zurück, aber Brasilien, der Türkei und anderen Schwellenländern half das wenig: Der MSCI Emerging Market Index verzeichnet für Aktien aus diesen Ländern einen Rückgang um 16 Prozent. Besonders betroffen: Länder, die wie Brasilien und die Türkei derzeit ein hohes Handelsbilanzdefizit aufweisen. Das Kalkül der Anleger auf einen wieder erstarkenden Dollar setzte auch den Währungen der beiden Länder zu: Der brasilianische Real verlor neun Prozent seines Wertes, die türkische Lira zehn Prozent.
Gegen die Nervosität des Kapitalmarkts
Ihre Abhängigkeit von der Hyper-Nervosität der Kapitalmärkte werden Schwellenländer wie Brasilien und die Türkei nur durch eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit in den Griff kriegen, erklärt Gabriel Felbermayr, Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft in München. Der Weg dahin führe vor allem über den Handel. "Wenn es gelingt, dadurch die Defizite abzubauen, dann machen sich diese Länder automatisch auch weniger anfällig für die Kapitalschwankungen des Weltmarkts."
Intensiver Handel erhöht die Wettbewerbsfähigkeit - dieser Logik folgt auch der Ausbau der brasilianisch-türkischen Handelsbeziehungen. Im Jahr 2013 exportierte Brasilien Waren im Wert von knapp 880 Millionen US-Dollar in die Türkei, während der Wert der türkischen Ausfuhren nach Brasilien knapp 550 Millionen US-Dollar betrug. Für die kommenden Jahre haben die beiden Partner ehrgeizige Pläne: das Handelsvolumen soll auf zehn Milliarden US-Dollar steigen. Derzeit exportiert die Türkei hauptsächlich Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile, landwirtschaftliche Produkte und Plastikerzeugnisse. Brasilien hingegen liefert vor allem Rohstoffe: Eisenerze und Eisenschlacke, Kaffee, Soja, Weizen, Wolle und Öle. Auch Maschinenteile gingen in die Türkei.
Entfernungen spielen keine Rolle mehr
Allerdings wolle Brasilien weg von seiner dominierenden Rolle als Rohstofflieferant, erläutert Ralf Langhammer, bis 2012 Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Neben den klassischen Rohstoffen und Agrarprodukten versuche es immer mehr industrielle Produkte abzusetzen.
Zwar kann das Land mit dem Flugzeugbauer Embraer, dem Energieunternehmen Petrobas und mehreren international tätigen Banken auch auf andere Wirtschaftsfelder verweisen. Dennoch teile Brasilien das Schicksal vieler Schwellenländer, so Langhammer: "Sie sind aus ihrer Vergangenheit heraus Rohstoffexporteure - auch wenn sie gerne von dieser Rolle wegkommen wollen."
Landwirtschaft als Standortvorteil
Es sei allerdings fraglich, ob dies ein sinnvolles Ziel sei, erläutert Gabriel Felbermayr. Schließlich bildeten Rohstoffe einen wesentlichen Grundstock der brasilianischen Wirtschaft. "Darum muss man fragen, ob es überhaupt eine gute Entwicklungsstrategie sein kann, zu sagen, wir wollen das nicht mehr, wenn man also die geographischen Bedingungen des Landes nicht mehr so nutzt, wie es bisher geschehen ist. Denn das ist ja der komparative Vorteil dieses Landes."
Hinzu kommt: Rohstoffreichtum und eine hochentwickelte Industrie schließen einander nicht aus. Das, schreibt der Journalist Alexander Busch, Autor eines Buches zur brasilianischen Wirtschaft, zeige sich gerade im Bereich der Landwirtschaft. Brasilien sei nicht zufällig zum Ernährer der Welt geworden. Entscheidend für den Erfolg sei eine konsequent betriebene Grundlagenforschung gewesen. "Sonst würde heute noch kein Soja in der Trockensavanne des Cerrado wachsen. Es würden keine Rinder im tropischen Feuchtgürtel weiden. Auch seine Führungsrolle als größter Kaffeeproduzent hätte Brasilien schon längst verloren, wenn es nicht neue Anbaugebiete und -techniken für die Arabica-Bohnen entwickelt hätte."
Zollgrenzen umgehen
Ausbau und Entwicklung bestehender Industrien sind Ziele, wenn Schwellenländer miteinander Handel treiben. Getrieben werden sie aber auch von ganz anderen Nöten. So steht die Türkei vor dem Problem, dass sie als Mitglied der europäischen Zollunion die Import-Zölle übernehmen muss, die in Brüssel festgesetzt werden. Bei Export-Zöllen sieht es aber anders aus: Vereinbarungen, die die EU mit anderen Staaten schließt, gelten nicht automatisch auch für die Türkei.
Darum, so Gabriel Felbermayr, muss sie in eigenen Verhandlungen versuchen, für sich dieselben Konditionen durchzusetzen, die auch für die EU-Staaten gelten. "Das ist zu 90 Prozent der Antrieb der Diskussion mit Brasilien", so der Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft. Ähnlich sehe es mit Blick auf Indien aus, mit dem die EU ein Freihandelsabkommen anstrebt. "Auch da muss die Türkei, ob sie will oder nicht, die von der EU gesetzten Importzölle übernehmen. Damit die Türken aber ebenfalls den verbesserten Zugang nach Indien bekommen, müssen sie mit Indien verhandeln."
Keine Angst vor Washingtons Geldpolitik
Fazit: Der Handel der Schwellenländer untereinander wächst, allerdings je nach Land aus ganz unterschiedlichen Motiven. Wenn sich die Handelspartner auf ihre Stärken besinnen und ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, können sie von der internationalen Arbeitsteilung profitieren. Dann hätten Investoren auch weniger Grund davonzurennen, sobald in Washington die US-Zentralbank eine neue Geldpolitik verkündet.