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Politik

Deutschland muss verlässlich bleiben

FILE PHOTO - Former Afghan president Karzai speaks during an interview in Kabul
Hamid Karzai
5. September 2017

Die Bundesrepublik ist international ein umworbener Partner. Bei der Bundestagswahl geht es darum, dieses Potenzial zu erhalten und weiterhin nutzbar zu machen, meint Hamid Karzai, der ehemalige Präsident Afghanistans.

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FILE PHOTO - Former Afghan president Karzai speaks during an interview in Kabul
Bild: Reuters/Omar Sobhani

In den momentan unruhigen Zeiten ist Deutschland international gesehen eine Oase der Stabilität - und zudem eine der erfolgreichsten und umworbensten Volkswirtschaften der Welt. Aus diesem Grund wird kaum ein politisches Ereignis derzeit so intensiv von der Weltöffentlichkeit beobachtet wie die Bundestagswahl am 24. September. 

Unabhängig vom Wahlergebnis hoffen wir in Afghanistan natürlich, dass Deutschland felsenfeste wirtschaftliche Basis weiter ihre Zuverlässigkeit unter Beweis stellt. Mit einer gut laufenden Wirtschaft ist Deutschland nicht nur in der Lage Entwicklungshilfe - für die wir in Afghanistan dankbar sind - anzubieten, sondern auch Technologien, Investitionen und nicht zuletzt Exportprodukte. In meinem Land werden Industriegüter aus Deutschland aufgrund ihrer Spitzenqualität und ihres Designs hoch geschätzt - und das seit über einem Jahrhundert, seit die deutschen Handelsbeziehungen mit Afghanistan begonnen haben.

Hohes Ansehen durch die Flüchtlingspolitik

Die jüngsten Wahlentscheidungen in führenden Ländern - das Brexit-Votum in Großbritannien und das Einschlagen eines unsicheren politischen und wirtschaftlichen Weges der USA - haben auch Deutschland in eine neue Rolle gedrängt: Deutschland ist zum zentralen Ankerpunkt in Europa geworden - dank der stabilen deutschen Wirtschaft und des sozialen Zusammenhalts innerhalb des Landes. 

Afghanistan Konferenz 2011 Bonn
Bei der Afghanistan-Konferenz 2011: Hamid Karzai und Angela Merkel Bild: dapd

Die Einkommensunterschiede in Deutschland sind zwar etwas größer geworden, doch die Löhne steigen und die Arbeitslosenquote ist immer noch niedrig. Dies sollte den sozialen Zusammenhalt in Deutschland weiterhin fördern und dazu beitragen, dass Deutschland bei den Fragen der Einwanderung und Flüchtlingspolitik konstruktiv bleibt. In diesem Punkt hat Deutschland international hohes Ansehen erworben - vor allem in Westasien und Afghanistan, wo Deutschlands Image schon seit vielen Jahrzehnten bestens ist.

Der Westen trägt Mitverantwortung für die Lage in Afghanistan 

Heute hält sich die größte Gruppe der Afghanen, die in Europa leben, in Deutschland auf. Unsere Leute haben die Fähigkeit, wirtschaftlich und sozial etwas beizutragen - wenn das richtige Umfeld gegeben ist. Ich kann das nicht genug betonen, wenn ich mit meinen deutschen Freunden spreche.

Selbst mitten im Wahlkampf möchte ich das deutsche Volk - mit seiner bewundernswerten Gründlichkeit, seinen großen Traditionen in der Philosophie, Literatur, Musik und Kunst - dazu bewegen, Verständnis für die Lage in der Welt aufzubringen. Die Auswanderung aus Afghanistan und einigen anderen westasiatischen Staaten in jüngster Zeit ist das Ergebnis von Chaos, Krieg und Vertreibung. Doch hierzu hat nicht zuletzt auch die Politik der führenden westlichen Mächte beigetragen. Es handelt sich eben nicht allein um hausgemachte Probleme, wie viele vielleicht denken. 

Außenminister Steinmeier in Afghanistan Hamid Karsai
Frank-Walter Steinmeier als Bundesaußenminister in AfghanistanBild: picture-alliance/dpa

In Afghanistan sind wir uns des politischen Unterstützung Deutschlands sehr wohl bewusst. Deutschland hat uns geholfen, Probleme während der sowjetischen Besatzung und nach dem Ende der Taliban-Herrschaft im Jahr 2001 zu überwinden. 1998 hat uns die deutsche Regierung geholfen - organisiert durch die Friedrich-Ebert-Stiftung - in Bonn einen inner-afghanischen politischen Dialog zu führen. Ende 2001 war Bonn schließlich Schauplatz der wegweisenden Konferenz, welche die Schritte für die Zeit nach der Taliban-Herrschaft hin zur Demokratie festgelegt hat. Ich wäre froh, wenn Deutschland nach der Wahl weiterhin eine positive Rolle spielt - vor allem in den Bereichen Ausbildung und Aufbau unserer Sicherheitskräfte, in der Entwicklungspolitik und damit bei der Förderung des Friedens in Afghanistan.

Merkel und Steinmeier - zwei herausragende Politiker

Ich hatte das Privileg, mit zwei herausragenden deutschen Politikern zusammenarbeiten zu dürfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel war stets wie eine Eiche. Meine eigene Amtszeit fiel mit ihrer für fast ein Jahrzehnt zusammen. Ich bin dankbar für ihre kluge und großzügige Unterstützung für mein Land. Ebenfalls zeigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier tiefes Verständnis für die Komplexität und Möglichkeiten innerhalb der deutsch-afghanischen Beziehungen.

Ich habe gelernt, dass in Deutschland Regierungen stets aus Koalitionen verschiedener Parteien bestehen. Jetzt hat das Volk die Macht, die Parteien für eine konstruktive Koalition zu wählen, so dass Deutschland in Europa und der Welt sein volles Potenzial entfalten kann.