Görlach Global: Vermittler wider Willen?
16. März 2022"Fake News" nennt das chinesische Außenministerium Berichte in US-Medien, wonach Russland in Peking um die Lieferung von Waffen für den Krieg in der Ukraine gebeten habe. Diese Berichte erschienen ausgerechnet in der Nacht zum Montag, bevor Vertreter von Washington und Peking in Rom zusammenkamen, um über die Lage in der Ukraine zu beraten. Sie erhöhten den Druck auf die Volksrepublik, den Krieg Putins als Vermittlerin zu einem Ende zu führen.
In der Tat hat China gewaltige Interessen, dem Krieg ein schnelles Ende zu machen. Denn die wirtschaftlichen Auswirkungen der Ukraine-Invasion haben das Land längst erreicht: Die Volksrepublik importiert große Mengen Getreide aus der Ukraine, ebenso wie aus Russland. Durch den Krieg sind die Preise in einem Maße gestiegen, dass sich Machthaber Xi Jinping bereits dazu äußern musste: China werde, so sein Versprechen, unabhängig von ausländischen Importen werden.
Weiterhin extreme Armut von Millionen
Selbstversorgung ist schon länger das Ziel der kommunistischen Machthaber, die intern einen nationalistischen Kurs fahren, zu dem der Import lebenswichtiger Gütern aus dem Ausland nicht passt. Zudem haben etliche Nationen, darunter die USA und Japan begonnen, ihre Wirtschaft von der Chinas zu entkoppeln, um nicht von der Diktatur Pekings abhängig zu sein.
In Xis Reich leben immer noch 82 Millionen Chinesen von einem Dollar am Tag. Preissteigerungen wie die aktuellen können ihre ohnehin schon prekäre Situation in eine aussichtslose verwandeln. Die Führung der Volksrepublik hat zwar im vergangenen Jahr bekannt gegeben, dass extreme Armut in dem Land offiziell besiegt sei. Die Weltbank hingegen rechnete vor, dass Peking für seine Kalkulation deutlich weniger an Tagesbedarf angesetzt habe als nötig.
Die wirkliche Armut in China dürfte also deutlich höher liegen als offiziell angegeben. Zudem ist die Erinnerung an Hungersnöte noch frisch: Unter Mao Zedong, dem Xi Jinping in allem nachzueifern sucht, erlitt das Land zwischen 1959 und 1961 eine große Hungerkatastrophe. Maos ideologischer Misswirtschaft sollen damals bis zu 76 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sein.
Gefahr einer Hungerrevolte
Xi Jinping will sich beim 20. Parteitag der KP im November zum Generalsekretär auf Lebenszeit küren lassen. Um diktatorische Exzesse wie unter Mao zu verhindern, waren seit den 1980er-Jahren maximal zwei fünfjährige Amtszeiten in den wichtigsten Positionen erlaubt. Für das Präsidentenamt wurde diese Begrenzung bereits aus der Verfassung gestrichen. Xi kann damit das Land wieder wie Mao führen.
Eine Hungerrevolte der armen Bevölkerung ist eines der wenigen Szenarien, das die Selbstkrönung Xis noch verhindern könnte. Das Nachrichtenmagazin "Der SPIEGEL" hat dieser Tage enthüllt, dass die chinesische Führung Druck auf die Vereinten Nationen ausübt, einen Bericht nicht zu veröffentlichen, der vor Hungersnöten aufgrund von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine warnt.
Weltweiter Druck auf Peking
Chinas Führer hatte sich noch Anfang Februar mit seiner engen Freundschaft zu Putin gebrüstet und angekündigt, auf entscheidende Feldern wie der Raumfahrt und der Internet-Kontrolle künftig eng mit Russland kooperieren zu wollen. Noch dieser Tage verlautete aus Peking, dass Russland der "wichtigste strategische Partner" der Volksrepublik bleibe.
Der Druck der Weltgemeinschaft auf Peking, in Sachen Ukraine-Krieg in Moskau zu intervenieren, ist deshalb groß. Doch Peking sucht diese große Bühne nicht. Sie würde das Augenmerk der Menschen auf die vielen Menschenrechtsverletzungen lenken, die Machthaber Xi begeht - allen voran der Völkermord an den Uiguren. Die Welt würde auch kritisch auf einen Vermittler China schauen, dessen Führer Xi im Konflikt mit dem freien, demokratischen Taiwan bereits mehrfach selbst mit Annexion und Besatzung gedroht hat.
Versuch der Quadratur des Kreises
Peking bemüht sich seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine um die Quadratur des Kreises: Zwar verurteilt Peking den Krieg Russlands nicht, gleichzeitig ruft es die Parteien zu Gesprächen auf. Peking trägt die Sanktionen der freien Welt gegen Russland nicht mit, gleichzeitig unterstützt es Moskau aber auch nicht wirtschaftlich. In dieselbe Richtung geht nun auch die Ablehnung militärischer Hilfe, die nicht so genannt werden darf. Stattdessen wird behauptet, Russland habe nie eine solche Anfrage gestellt.
Die Importe von Getreide aus Russland und der Ukraine decken laut einem Bericht des Wall Street Journal nur bis zu zehn Prozent des chinesischen Bedarfs ab. Der Krieg hat aber auch Folgen für die Produktion von Düngemitteln, Sonnenblumenöl und Sojabohnen, die ebenfalls in die Volksrepublik exportiert werden. Sojabohnen werden dringend in der Tiermast gebraucht. Es wird daher erwartet, dass auch die Preise für Fleisch in China deutlich steigen werden.
Zum Handeln verdammt
Ein chinesischer Ausspruch lautet 大鱼大肉 - "viel Fisch, viel Fleisch", was sinngemäß bedeutet, dass ein gutes Mahl reichlich von beidem enthalten soll. Wer entsprechend auftischen kann, dem wird die Bewunderung der Gäste zuteil. Doch wenn der von China bisher nicht verurteilte Angriffskrieg gegen die Ukraine weitergeht, werden die Tafeln in der Volksrepublik auf jeden Fall schmaler und damit sinken die Chancen für Xi, seinen Traum von unumschränkter, lebenslanger Herrschaft zu verwirklichen.
Peking ist daher zum Handeln verdammt. Xi muss in dem Konflikt vermitteln, damit China dessen Auswirkungen nicht selbst noch stärker zu spüren bekommt. Dabei wollen er und seine Führung eine direkte Konfrontation mit den Vereinigten Staaten unter allen Umständen verhindern. Denn einen Krieg gegen den USA, in den der Kreml Peking verwickeln könnte, würde die Volksrepublik verlieren.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.