EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis hat vor seiner Reise nach Peking bekräftigt, dass die Europäische Union nach wie vor an freiem und fairem Handel mit der Volksrepublik China interessiert sei. Dombrovskis legte dabei auf das Wort "fair" besonderen Wert. Ob das in den Ohren Pekings etwas auslösen wird? Seit zwei Jahrzehnten, seit das pseudo-kommunistische Land in die Welthandelsorganisation aufgenommen wurde, reißen die Beschwerden über Chinas Regelverstöße nicht ab: Diebstahl geistigen Eigentums, kein Marktzutritt für EU-Staaten, Infiltration der chinesischen Community in Europa durch illegale Polizeistationen und Einschüchterung über die Konfuzius-Institute.
Die Liste ist lang und wird flankiert von Pekings extremen Menschenrechtsverstößen gegen ethnische Minderheiten, den Export polizeistaatlicher Methoden und Technologien sowie zunehmender Aggression gegenüber den Ländern in seiner Nachbarschaft, vor allem gegen die demokratische Inselrepublik Taiwan. Das ist nicht in Einklang zu bringen mit dem Wertverständnis der freien, demokratischen Welt. Produkte, die Peking durch Zwangsarbeit in der Provinz Xinjiang herstellen lässt, dürften dem EU-Handelskommissar schwer im Magen liegen, genauso wie Chinas Subventionierung von Elektrofahrzeugen. Die EU hat jüngst angekündigt, dieser Wettbewerbsverzerrung gegebenenfalls mit Strafzöllen begegnen zu wollen.
Europas Handel und Investitionen in China boomen
Die EU wolle sich, so Dombrovskis, nicht von China entkoppeln, sondern, wie es der Begriff des De-Riskings sagt, nur in Bereichen eine europäische Beteiligung stoppen, die das Risiko bergen, dass die totalitäre Führung in Peking sie gegen die freie Welt einsetzen könnte. Damit dürften vor allem Halbleiter und andere Produkte gemeint sein, die Peking für seine rasante Aufrüstung militärisch nutzen könnte. In diesem Jahr hat dieses De-Risiking nicht zu weniger, sondern mehr Handel mit und Investitionen in China geführt. Von daher scheinen Akteure auf beiden Seiten des Atlantik relativ unbeeindruckt von den offiziellen Verlautbarungen der jeweiligen Regierungen. Und die Volksrepublik scheint, totalitäre Eskalation hin oder her, eine beliebte Anlaufstelle für wirtschaftliches Tun aller Art zu bleiben.
Ein Besuch aus Brüssel kann natürlich, theoretisch, eine Wende in Chinas Handelsgebaren zeitigen. Allerdings gibt es keinen Grund zur Hoffnung, wenn man verwertbare Daten aus den vergangenen zwei Jahrzehnten als Grundlage für mögliche Ableitungen in der Gegenwart heranzieht. Die einzige Möglichkeit wäre, es China mit gleicher Münze heimzuzahlen und den Zugang zum europäischen Markt zu verbauen. Denn Chinas regierende Kommunistische Partei braucht nach wie vor eine stabile Wirtschaft, um ihre Herrschaft zu erhalten. Und Diktatoren wie Xi Jinping verstehen letztlich eine gemäßigte diplomatische Sprache nicht, sondern reagieren nur auf Gesten der Stärke. Eine solche muss von dem Besuch ausgehen, ansonsten bleibt alles beim Alten.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.