Die Selbstzerstörung der Mitte
18. Februar 2020Die deutsche Politik hat in den vergangenen beiden Wochen mit einer großen Schockwelle zu kämpfen gehabt: Mit Hilfe der rechtspopulistischen Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) wurde im Bundesland Thüringen ein Liberaler zum Ministerpräsidenten gewählt. Dieser Vorgang war ungeheuerlich und hat auf Seiten der Christdemokraten zwei Rücktritte ausgelöst. Die Führung der liberalen Partei hat sich bei ihren Wählerinnen und Wählern entschuldigt, der Bundesvorsitzende wurde in seinem Amt bestätigt.
Im Fokus der Aufmerksamkeit stand zuerst, dass es der AfD durch ihren Schachzug, dem eigenen Kandidaten keine einzige, dem der Liberalen hingegen alle Stimmen ihrer Fraktion zu geben, gelungen war, sich als bürgerliche Kraft zu stilisieren und so CDU und FDP als Parteien der Mitte zu diskreditieren. Aber der viel größere Erfolg von Björn Höcke, dem AfD-Chef in Thüringen, der gerichtsfest als Faschist bezeichnet werden darf, liegt darin, dass er die demokratischen Parteien gegeneinander ausgespielt hat.
Alles rechts von der SPD ist undemokratisch?
So ist aus der SPD ist zu hören, dass alles, was politisch rechts von ihr stehe, schon nicht mehr demokratisch sei. Die Sozialdemokraten, die in Deutschland-weiten Umfragen inzwischen bisweilen unter zehn Prozent liegen, versuchen auf diese Weise, Kapital aus der Volte der Rechtsextremen zu schlagen. Auch bei den Grünen gibt es die Tendenz, besonders dem Rivalen FDP ein Nazi-Stigma anzuheften und diesen so, unter dem Banner des "Nie Wieder!", als undemokratisch darzustellen.
Dabei ist es genau dieses "Nie Wieder!" als Lehre aus der deutschen Katastrophe zwischen 1933 und 1945, das bisher alle Demokraten gegen rechts vereint hat. Harvard-Professor Daniel Ziblatt, der mit seinem Buch "Wie Demokratien sterben" international bekannt wurde, attestiert daher auch den Deutschen, dass die Gesellschaft im Nachgang zu dem verheerenden Wahlgang in Erfurt ihre Abgrenzung zu rassistischem Rechtsextremismus unmissverständlich artikuliert habe. Umso schwieriger, wenn nun Protagonisten demokratischer Parteien ihren politischen Mitbewerbern vorwerfen, nicht mehr auf dem Boden der Verfassung zu stehen. Solches Vorgehen spaltet zuerst die Parteien und dann die Gesellschaft. Die AfD freut das: Denn wenn Demokraten nicht mehr miteinander reden, stärkt das sie und ihre Anhänger.
Ende der bürgerlichen Regierung?
Ein Kalkül hinter dieser Eskalation im linken politischen Spektrum Deutschland könnte sein, so eine Koalition zwischen der SED-Nachfolge-Partei "Die Linke", der Sozialdemokratie und den Grünen auf Bundesebene vorzubereiten. Denn in Deutschland wird spätestens im kommenden Jahr ein neuer Bundestag gewählt und es wird darum gehen, die bürgerliche Regierung unter Angela Merkel abzulösen, die das Land seit 2005 führt. Auch Teile der Partei "Die Linke" werden vom Verfassungsschutz beobachtet und gerade in Thüringen finden sich etliche Kräfte, die schon zu DDR-Zeiten politisch aktiv waren. Sie sind nicht bereit, die SED-Diktatur und die DDR als den Unrechtsstaat zu brandmarken, der sie zweifellos war.
Die radikale Rechte und die extreme Linke gemeinsam verfügen in manchen Regionen Deutschlands bereits über die absolute Mehrheit der Mandate in den Landesparlamenten. Das macht einmal mehr deutlich, dass die Parteien der Mitte besser zusammenarbeiten sollten, als sich gegenseitig zu zerfleischen.
Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.