Sozialunternehmen fördern
25. Juni 2012Murat Vural ist Ashoka Fellow. Der türkisch-stämmige Ingenieur organisiert mit seinem Unternehmen "Chancenwerk" Nachhilfeunterricht für sozial benachteiligte Kinder. "Chancenwerk" betreut über 1.400 Schüler an 32 Schulen von Bremen bis München. Schulen in Frankfurt, Hamburg und Berlin sollen folgen.
Der Grundgedanke ist die Kooperation zwischen "Chancenwerk" und den Schulen. Sie stellt Räume zur Verfügung und hilft, Schüler und Eltern über das Angebot zu informieren. "Chancenwerk" organisiert den Rest: Studenten geben Nachhilfeunterricht für die älteren Schülern, diese helfen wiederum den jüngeren Schulkameraden. So kosten 16 Stunden Nachhilfeunterricht für einen Schüler in der Oberstufe gar nichts.
Von der fünften bis zur siebten Klasse zahlen die Eltern zehn Euro im Monat - ein Bruchteil von dem, was private Anbieter nehmen. Und vor allem ist es einen Preis, den sich auch sozial schwachen Familien leisten können.
Von Ehrenamt zum Unternehmen
Murat Vural, der Gründer von "Chancenwerk", kennt die Schulprobleme aus eigener Erfahrung. Schon mit 14 wusste er, dass er Ingenieur werden wollte. Aber als er mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland kam, steckte man ihn in die Hauptschule und sagte ihm gleich, dass er den Ingenieurs-Beruf vergessen könne. Doch er legte sich ins Zeug, wechselte aufs Gymnasium und studierte. An der Uni Bochum promovierte er in theoretischer Elektro- und Plasmatechnik. Für die Doktorarbeit fehlt ihm noch das letzte Kapitel. Doch das muss warten, denn seit zwei Jahren ist Vural mit Unterstützung von Ashoka Vollzeit-Unternehmer geworden. Was als ehrenamtliche Arbeit angefangen hat, weitet sich immer mehr aus.
Vor sechs Jahren wurde Murat Vural als "Ashoka-Fellow“ ausgewählt, einer von rund 50 in Deutschland. Zunächst einmal war er skeptisch: "Soll man das, was haben die vor?“ Nun ist er überzeugt: Ashoka war eine Art Katalysator für ihn. "Sozial war ich schon lange gewesen“, sagt er. Doch die internationale Förderorganisation Ashoka habe ihm das unternehmerische Denken beigebracht. "Ich werde nie vergessen“, so der Ingenieur, "als mich die Unternehmensberater fragten, wie viele Kinder in so einer Gruppe sind“. Wieso dachte er, zwei oder 20 ist doch egal: "Hauptsache, wir machen gute Arbeit!“ Doch Zahlen sind wichtig, um ein Konzept und einen Geschäftsplan zu haben, um Sponsoren anzuwerben und in weitere Städte zu expandieren. Skalierbarkeit und Übertragbarkeit sind Dinge, auf die Ashoka Wert legt.
Weltweit tätig
Die bekanntesten Beispiele für Sozialunternehmen, die von Ashoka unterstützt wurden, dürfte Wikipedia und die Grameen Bank in Bangladesch sein. Jimmy Wales und Muhammad Yunus wurden, wie auch Murat Vural in Deutschland, als Ashoka Fellows ausgewählt und zählen zu den mehr als 2000 Sozialunternehmern, die seit 1980 gefördert wurden. 2006 wurde Muhammad Yunus und die von ihm gegründete Grameen Bank für ihr Mikrokredit-Programm mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Zu dem deutschen Netzwerk der internationalen Organisation gehören unterschiedliche Unternehmen. "Discovering hands“ z.B. bildet Blinde zu Arzthelferinnen in der Krebsvorsorge aus. Dank ihrem feinen Tastsinn können sie krankhafte Veränderungen der Brust besser erkennen. VerbaVoice erleichtert Schwerhörigen das Studium oder den Arztbesuch. Die Firma hat eine technische Lösung entwickelt, um gesprochene Sprache in Text auf mobilen Geräten fast in Echtzeit umzuwandeln. Es gibt aber auch Fellows in der Umweltbranche. So verkauft das Unternehmen Kaito Solartechnik in westafrikanische Dörfer.
Ohne Profit wirtschaften
Die Sozialunternehmer sollen ihre Kosten decken, Profit ist jedoch nicht ihr Daseinszweck. Bei "Chancenwerk" etwa würde die Nachhilfe für ein Kind real 35 Euro pro Monat kosten. Aber das können gerade die nicht bezahlen, die es am nötigsten haben. Die Differenz von 25 Euro finanzieren Stiftungen, Sponsorunternehmen und die öffentliche Hand. Da man sich um solche Gelder immer wieder bemühen muss, enden viele gemeinnützige Projekte im Nichts. Deshalb bringt Ashoka den Sozialunternehmern bei, wie sie einen Geschäftsplan machen, Jahresberichte schreiben oder Mittel anwerben.
Die Idee und viel Engagement alleine reichen nicht, sagt Murat Vural: "Das ist nicht mal eben ein Projekt starten, ein Jahr laufen lassen.“ Für sein Unternehmen "Chancenwerk" hat er noch viele Pläne für die nächsten Jahre. Die weißen Flecken auf der Landkarte tilgen, ein Internet-Netzwerk für die Jugendlichen schaffen, Gymnasiasten und Hauptschüler über die Nachhilfearbeit zusammen zu bringen. So wird das Unternehmen auch zur sozialen Kommunikation in der Gesellschaft beitragen.