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Gutes Leben vor der Schlachtung?

16. Januar 2017

Wissen, was drinsteckt: Ein Tierschutzlabel soll bald Auskunft geben über die Art der Haltung von Schweinen, Rindern und Kälbern. So erfährt der Verbraucher, ob er das Fleisch guten Gewissens kaufen kann.

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Schlachthof Fleisproduktion Lohndumping Lohnsklaven
Bild: picture alliance / Fotoagentur Kunz

Warum krähen Hähne? Bekommen Schweine Sonnenbrand? Was sind Nutztiere auf unseren Weiden? In diesen Tagen können sich Schüler und Lehrer auf der "Internationalen Grünen Woche" in Berlin diese Fragen beantworten lassen und dabei lebensnahen Praxisunterricht erfahren. Ein spezielles Programm soll die Kleinen auf der weltgrößten Landwirtschaftsmesse an die Themen Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau heranführen. 

Demo gegen Politik und Agrarindustrie

Wie jedes Jahr nehmen auch Organisationen und Politik die Leistungsschau zum Anlass, um auf ihr Anlegen aufmerksam zu machen. Das Bündnis "Wir-haben-es-satt" hat am 21.Januar auf dem Potsdamer Platz zur Protestaktion geladen. Erwartungsgemäß werden wieder einige Zehntausend dem Aufruf der Organisationen wie BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und NABU (Naturschutzbund Deutschland), kirchlichen Initiativen wie Brot für die Welt und Misereor, und Verbraucher- und Entwicklungsorganisationen wie Oxfam und Germanwatch folgen.

Seit Jahren kämpfen nahezu 100 Organisationen gegen die industrielle Lebensmittelerzeugung und für bezahlbare, gesunde Lebensmittel, weltweite Ernährungssouveränität, gerechten Welthandel, freien Zugang zu Wasser, Land und Saatgut, das Verbot für Glyphosat und Pestizide, für mehr Wertschätzung der bäuerlichen Landwirtschaft und für besonders artgerechte Tierhaltung.

Deutschland Grüne Woche Wir haben es satt
Schon Tradition: Wir-haben-es-satt-Kundgebung am Rande der Grünen Woche Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Besondere Kritik üben Verbraucher- und Tierschützer an Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Sie werfen ihm Konzeptlosigkeit vor. Er sei der schwächste Landwirtschaftsminister in den vergangenen drei Jahrzehnten. Am Pranger mit Schmidts Politik steht auch die großindustrielle Fleischindustrie, in deren Schatten 2010 rund 60 Prozent Bauern aufgaben. Ihre Schweinehaltung und -Zucht war zu aufwendig und teuer, um mit den Massentierhaltungs-Schinken und -Keulen konkurrieren zu können. "Das ist nicht die Entwicklung, die sich die Verbraucher wünschen würden", sagt Ulrich Jasper von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.

Um die Haltung tiergerechter zu machen, braucht es mehr Platz für das einzelne Schwein. Doch dies sei baulich aufwendig und teuer: Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz schätzt die Kosten allein in Deutschland auf rund fünf Milliarden Euro pro Jahr.

Überproduktion bedingt Dumpingpreise

Auch die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Beschäftigten in diesen Agrarfabriken habe sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert, kritisierte Matthias Brümmer von der Gewerkschaft Nahrung-Genussmittel-Gaststätten (NGG): "Wir exportieren einen nicht unerheblichen Anteil unseres hier produzierten Fleisches. Wir machen damit aber auch Industriebereiche innerhalb von Osteuropa kaputt." Während Deutschland früher Fleisch einführen musste, liegen die Produktionskapazitäten heute bei über 130 Prozent.

Deutschland Metzger Schweinefleisch
Was interessiert es das Schwein, was sein Schlachter verdient?Bild: picture-alliance/Sven Simon/F. Hoermann

Besonders perfide findet Brümmer, dass ganze Länder in Osteuropa durch die Fleischindustrie zu Dumpingpreisen in Deutschland dominiert werde: "Wir erlauben uns, den perversen Luxus, die Arbeitskollegen hierher zu holen, für billiges Geld arbeiten zu lassen, sie zurückzuschicken und ihnen das Fleisch hinterher zu schicken, damit man es dort auch kaufen kann."

Minister für Freiwilligkeit bei der Förderung des Tierwohls

Wenige Stunden vor diesem verbalen Rundumschlag von 'Wir-haben-es-satt' kündigte Agrarminister Christian Schmidt an, eine neue Kennzeichnungsordnung für Fleisch einführen zu wollen. Auf der Grünen Woche will er das neue staatliche Label für mehr Tierschutz vorstellen. Zunächst soll der Käufer von Schweinefleisch erkennen, wenn der Züchter die gesetzlichen Vorgaben übertroffen hat. Die Tiere hätten dann mehr Platz, hochwertigeres Futter oder sogar Spielzeug zur Beschäftigung. Später sollen auch Geflügelware und Rindfleisch gekennzeichnet werden.

Landwirte, die mit dem Qualitätssiegel werben dürfen, sollen von Bund und Bundesländern finanziell unterstützt werden. Die Verbraucher können anhand der Angaben selbst entscheiden, ob sie für die artgerecht Haltung mehr Geld ausgeben wollen. Eine aktuelle Umfrage der Umweltschutzorganisation Greenpeace ergab, dass 89 Prozent der Deutschen eine staatliche Haltungskennzeichnung von Fleisch begrüßen. Allerdings wollen 79 Prozent eine verpflichtende Kennzeichnung, während Minister Schmidt auf Freiwilligkeit setzt. 

Umweltfreundlicher als es das Gesetz vorschreibt

Das Label ist ohnehin keine Erfindung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die "Initiative Tierwohl", ein Zusammenschluss von Unternehmen und Verbänden aus Land-, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel, haben es sich zum Ziel gesetzt, die Standards bei der Nutztierhaltung auszubauen. "Davon profitieren derzeit über 267 Millionen Schweine, Hähnchen und Puten", heißt es seitens der Tierschützer. Finanziert wird der Mehraufwand von führenden Handelsunternehmen. Sie zahlen vier Cent pro Kilogramm verkaufter Fleischware, einen Gesamtbetrag von rund 255 Millionen Euro für die kommenden drei Jahre. Das Geld erhalten Landwirte, die ihre Ställe umwelt- und tierfreundlicher ausbauen als gesetzlich vorgeschrieben.

Schweinepest
Eigenes Spielzeug und mehr Platz schaffen für Schweine! Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Dass Schmidt und die Initiative Tierwohl den Wünschen der Konsumenten nachkommen, bestätigte Klaus Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). "Gut zwei Drittel der Verbraucher wünschen sich eine solche Information", sagte Müller der Tageszeitung "Südwest Presse". Ein solches Label müsse so einfach wie möglich gestaltet sein. Verbraucher seien bereit, dafür mehr zu zahlen. Skeptisch äußerte sich hingegen NNG-Gewerkschafter Matthias Brümmer: "Das ist ja schön, dass man ein Tierwohllabel einführt und dass auch die Industrie da mitmacht. Aber ich bin überzeugt: Wer mit seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht vernünftig umgeht, der wird auch mit seinen Tieren nicht besser umgehen."

PS: Ein Hahn kräht, indem sein Kamm anschwillt. Ausdrücken will er mit dem lautstarken Ruf, dass er sein Revier verteidigt. Und Schweine können sehr wohl Sonnenbrand bekommen, wenn sie sich zu lange ungeschützt im Freien aufhalten. Denn im Gegensatz zu den Wildschweinen haben Zucht- oder Mastschweine nur wenig Haar.