Guterres verurteilt israelischen Angriff auf Rafah
28. Mai 2024Der Generalsekretär der Vereinten Nationen fügte hinzu: "Dieser Horror muss aufhören." Nach Angaben aus Diplomatenkreisen berief der UN-Sicherheitsrat für diesen Dienstag eine Dringlichkeitssitzung zur Lage in Rafah ein. Diplomaten aus dem mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen berichteten, das Treffen sei für den späten Dienstagabend (21.30 MESZ) angesetzt.
Bei der Attacke des israelischen Militärs waren am Sonntagabend nach Angaben der von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsbehörde in einem Lager für Vertriebene mindestens 45 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden. Bei den meisten Toten handelt es sich demnach um Frauen und Minderjährige.
Kein Stopp der Militäroperation
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach im Parlament von einem "tragischen" Vorfall, aus dem man lernen werde. Zugleich betonte er jedoch: "Ich werde nicht nachgeben oder kapitulieren. Ich werde den Krieg nicht beenden, bevor wir alle unsere Ziele erreicht haben."
Israelische Bodentruppen sind nach Augenzeugenberichten aus Rafah inzwischen tiefer in die Stadt im Süden des Gazastreifens vorgedrungen. Demnach wurden Truppen auch im Stadtzentrum gesichtet. Die israelische Nachrichtenseite ynet berichtet unter Berufung auf Quellen in Rafah, es seien in dem Stadtviertel Tal al-Sultan israelische Panzer im Einsatz. Dort seien Bodentruppen bisher nicht gewesen. Vonseiten der israelischen Armee gab es zunächst keine Bestätigung dieser Berichte.
"Herzzerreißende" Bilder
Das US-Außenministerium hatte nach dem israelischen Luftangriff auf Rafah vom Sonntagabend erklärt, die Bilder aus dem Zeltlager für Vertriebene im südlichen Gazastreifen seien "herzzerreißend". Man arbeite mit der israelischen Armee und Partnern vor Ort zusammen, um die Umstände des Luftangriffs zu klären. Israel habe das Recht, gegen die Islamisten der Hamas vorzugehen. Den vorliegenden Informationen zufolge seien bei dem Angriff zwei ranghohe Terroristen getötet worden. "Aber wie wir bereits deutlich gemacht haben, muss Israel alle möglichen Vorkehrungen treffen, um die Zivilbevölkerung zu schützen", verlautete aus Washington.
Israelische Beamte hätten der US-Regierung erklärt, sie glaubten, dass nach dem Luftangriff ein 100 Meter entfernter Treibstofftank möglicherweise durch Granatsplitter Feuer gefangen habe, zitierte der Sender "ABC News" einen US-Beamten. Dadurch habe ein Zelt Feuer gefangen, was wiederum zu dem verheerenden Brand in dem Lager geführt habe. In sozialen Medien kursierten nach dem Luftangriff Videos, die zeigen, wie verkohlte Leichen aus brennenden Zelten geborgen werden.
"Rote Linie" überschritten?
US-Präsident Joe Biden prüfe noch, ob der tödliche Luftangriff eine Verletzung der von ihm proklamierten "roten Linie" darstelle, hieß es aus Washington weiter. Biden hatte Israel unlängst gedroht, die Lieferung einiger US-Waffen auszusetzen, sollte Israels Armee in dicht besiedelte Stadtzentren in Rafah eindringen. Die US-Regierung lehnt eine große israelische Bodenoffensive in der an Ägypten grenzenden Stadt ab, hatte zuletzt jedoch erklärt, die Einsätze dort hätten bislang nicht das Ausmaß erreicht, vor dem sie gewarnt habe.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass es im Zusammenhang mit dem Angriff in Rafah einen Fehler der israelischen Seite gegeben habe. Derzeit liefen in Israel Untersuchungen, ob es sich um einen gezielten Angriff gehandelt habe, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. "Auf alle Fälle ist ein Fehler passiert, das kann man jetzt schon sagen", fügte er hinzu. "Der Schluss, ob das ein Kriegsverbrechen ist im Sinne des Völkerrechtes, das ist etwas, was man Juristen überlassen muss, die die genauen Sachverhalte kennen." Die Maxime laute: "Erst mal untersuchen, was genau passiert ist und dann urteilen. Und nicht anhand von Bildern sofort ein Urteil fällen."
Wegen des Angriffs in Rafah setzte die Hamas ihre Teilnahme an den Verhandlungen über eine Waffenruhe vorerst aus. Dies teilten Hamas-Repräsentanten der Deutschen Presse-Agentur mit. Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Islamistenorganisation, bei denen Ägypten, Katar und die USA als Vermittler agieren, waren zuletzt nach mehrtägigen Gesprächen in Kairo und Doha in eine Sackgasse geraten. Medienberichten zufolge sollten sie in dieser Woche "auf der Basis neuer Vorschläge" wiederaufgenommen werden.
EU setzt auf Gespräche mit Israel
Die EU will unterdessen mit Israel im Rahmen eines formellen Treffens über die Situation im Gazastreifen sprechen. "Wir haben die notwendige Einstimmigkeit erzielt, um einen Assoziationsrat mit Israel zu fordern", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Brüssel nach einem Treffen der Außenministerinnen und -minister der Mitgliedstaaten. Es solle um die Achtung der Menschenrechte gehen und darum, wie Israel die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) umsetzen wolle, sagte Borrell.
Seit der Verkündung der Entscheidung sei nicht die Einstellung der militärischen Aktivitäten zu beobachten, sondern "im Gegenteil: eine Zunahme der militärischen Aktivitäten, eine Zunahme der Bombardierungen und eine Zunahme der Opfer unter der Zivilbevölkerung".
Der IGH hatte Israel dazu verpflichtet, den Einsatz in Rafah unverzüglich zu beenden. Es dürften keine Lebensbedingungen geschaffen werden, "die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza führen könnten", heißt es in dem Richterspruch. Das Weltgericht ordnete aber keine Waffenruhe für Gaza an. Seine Entscheidungen sind bindend. Allerdings haben die UN-Richter keine Mittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen.
Neuer Impuls für Zweistaatenlösung?
Unterdessen haben nach Norwegen nun auch Irland und Spanien einen palästinensischen Staat anerkannt. Die Entscheidung Norwegens zur Anerkennung Palästinas als Staat trat bereits um Mitternacht in Kraft. Die drei Länder erhoffen sich dadurch einen Impuls für die sogenannte Zweistaatenlösung.
Damit ist ein unabhängiger palästinensischer Staat gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel existiert. Israels Regierungschef Netanjahu wie auch die Terrororganisation Hamas, die Israels Existenzrecht verneint, lehnen eine Zweistaatenlösung jedoch ab.
Auslöser des Israel-Hamas-Krieges war der beispiellose Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober. Kämpfer der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Palästinenserorganisation töteten dabei israelischen Angaben zufolge mehr als 1170 Menschen. Zudem verschleppten sie 252 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen. Die Hamas wird außer von Israel auch von den USA, der EU, Deutschland und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft.
haz/sti/AN (afp, dpa, rtr)
Redaktionsschluss: 16.00 Uhr - dieser Artikel wird nicht weiter aktualisiert.