"Es bleibt immer ein Restrisiko"
2. April 2014Deutsche Welle: Herr Pitzke, Sie waren zuletzt in Libyen im Kampfmittelräumeinsatz. Worum genau ging es da?
Gunder Pitzke: Es ging da um Sicherheitsmaßnahmen auf dem Flughafen von Tripolis. Das waren ganz kleine Minen ohne Metallanteil mit einer Sprengstoffmasse von 50 Gramm. Das waren Antipersonenminen, die man gelegt hatte am Rande des Flughafens, um einen Zugang zum Flughafen zu verhindern. Das Gebiet war weder gekennzeichnet, noch vermessen. Wenn Bürgerkriege sind und diese Munitionsarten benutzt werden, dann geht das immer in eine Richtung, die mit dem humanitären Völkerrecht nichts zu tun hat.
Woher wissen Sie, wo Sie die Minen suchen müssen?
Es gibt erst einmal nur Verdachtsflächen. Es gehen Meldungen ein in das so genannte Mine Action Center: Dort ist etwas entdeckt worden. Dann fährt man hin und erkundet das. Da muss man sehr vorsichtig und sehr sensibel sein, weil man nie weiß, wo das Minenfeld genau anfängt. Und wenn man sich dann eine so genannte Sicherheitslinie geschaffen hat, beginnt man streifenförmig zu suchen. Man sucht das erst einmal visuell ab. Und sieht man etwas Verdächtiges, zum Beispiel Verpackungsmaterial von Minen, dann beginnt die Vermessung und das Absichern des gesamten Bereiches.
Und wie genau läuft die Entschärfung dann ab?
Wir benutzen Minensuchnadeln oder ein Metallsuchgerät, um die Objekte zu sondieren. Dann werden sie freigelegt und geprüft, was für ein Minentyp das ist. Dann schaut man nach: Wie ist der Konstruktionsaufbau, wie groß ist die Sprengstoffmasse. Und dann versucht man eine Mine nach der anderen dort wegzunehmen. Denn wenn man die erste Mine gleich sprengen würde, dann könnte es durchaus passieren, dass durch den Erdauswurf andere Minen explodieren oder manipuliert werden. Dann müsste man mit dem Suchen von vorne beginnen. Also werden die Kampfmittel abtransportiert und dann am Tagesende gesprengt.
Wie schwierig ist es, Minen zu entdecken?
Die heutzutage verwendeten Minen haben einen Metallanteil, der fast gegen null geht. Also 0,3 Prozent Metallanteil, das ist nur noch die Zündnadel, die auf die Initialzündung auftrifft. Und wenn dann auf der Oberfläche des Suchgebietes Metallschrott, Splitter, Nägel oder Sonstiges liegen, dann haben Sie natürlich weit mehr Signale von anderen Metallteilen als von der Mine. Und dann müssen Sie natürlich jedes einzelne Element freilegen, bis Sie dann wirklich die Mine gefunden haben.
Verlieren die Minen mit der Zeit ihre Funktionsfähigkeit?
Im Gegenteil. Die Minen werden mit der Zeit gefährlicher. Eine Mine, abhängig vom Minentyp, beinhaltet immer einen Anteil von TNT oder dem Sprengstoffgemisch RDX. Dieser Sprengstoff verliert mit den Jahren seine Flexibilität. Dadurch wird er instabil. Manchmal reicht dann schon eine kleine Reibung für die Detonation. So ein Kampfmittel kann 80, 90 Jahre in der Erde liegen und es ist immer noch gefährlich. Nehmen wir das Beispiel Verdun in Frankreich, das Schlachtfeld aus dem Ersten Weltkrieg: Dort sind die Kampfmittel immer noch aktiv. Auch wenn die Zünder mittlerweile eingerostet und nicht mehr funktionstüchtig sind, kann es durchaus passieren, dass diese Kampfmittel detonieren.
Ihre Arbeit ist sehr gefährlich. Wie groß ist das Risiko, dass etwas passiert?
Natürlich passiert bei solchen Sachen immer etwas. Das sind so Dinge, über die man eigentlich nicht gerne spricht. Man hat die Leute kennengelernt, man hat sie ausgebildet. Ein Beispiel, das ich in Afghanistan erlebt habe: Ein amerikanischer Kamerad hat dort mit einer Maschine geräumt und ging praktisch von einer Kettenspur in die andere, aber vor seiner Maschine. Und genau zwischen den Kettenspuren ist er auf eine Mine gelaufen. Es gibt viele Beispiele. Das ist immer sehr schlimm. Es bleibt immer ein Restrisiko.
Gunder Pitzke ist Hauptmann a.D. bei der Bundeswehr. Bis 2008 war er Truppenfachlehrer an der Pionierschule der Bundeswehr in München im Bereich Kampfmittelräumung. Pitzke hat unter anderem in Libyen, Afghanistan und Bosnien Minen geräumt und vor Ort Kampfmittelräumdienste ausgebildet.