Das Massaker von Conakry: Warten auf Gerechtigkeit
28. September 2019Asmao Diallo wird sich für den Rest seines Lebens an diesen Tag erinnern. Es ist der 28. September 2009, ein Montag in Guineas Hauptstadt Conakry und der Jahrestag des Referendums, das dem Land 1958 die Unabhängigkeit brachte. Diallos ältester Sohn ist wie viele andere Guineer im Stadion der Hauptstadt, um den Reden der Oppositionspolitiker zuzuhören. "Das war der Tag, an dem mein Junge und viele andere Kinder Guineas starben", sagt Diallo.
Aktivisten und Oppositionelle hatten sich damals im "Stadion des 28. Septembers" versammelt, um gegen das Militärregime des selbsternannten Präsidenten Moussa Dadis Camara zu demonstrieren. Der hatte nach seinem Coup im Dezember 2008 zugesagt, nicht an den Präsidentschaftswahlen 2010 teilnehmen zu wollen - entschied sich jedoch anders. 50.000 Menschen waren zu dem Protest der Opposition gekommen. "Sie hatten sich versammelt, um Nein zu der Militärdiktatur zu sagen", erzählt Diallo im DW-Interview. "Sie trugen keine Waffen und kamen mit leeren Händen. Sie riefen nur Sprüche."
Das Warten auf Gerechtigkeit
Doch dann brach das Chaos los. Schüsse ertönten, das Militär stürmte das Stadium. Mindestens 156 Menschen kamen laut Angaben der Vereinten Nationen ums Leben, 1.500 Guineer wurden verletzt, 89 als vermisst gemeldet und 109 Frauen brutal vergewaltigt. "Die Gewalt, die angewandt wurde, um den Massenprotest der Opposition gegen Camaras Kandidatur bei der Wahl niederzuschlagen, war inakzeptabel", sagt François Patuel von Amnesty International im DW-Interview.
Der 28. September, eigentlich ein Tag der Freiheit für Guinea, wurde zum Tag des Massakers. Doch zehn Jahre später ist immer noch keiner der Verantwortlichen rechtskräftig verurteilt worden. Bis heute warten die Opfer, das guineische Volk und internationale Menschenrechtsorganisationen auf Gerechtigkeit.
13 Angeklagte und kein Prozess
Dabei kam ein Untersuchungsbericht der UN, basierend auf 700 Zeugenaussagen, schon 2010 zu einem eindeutigen Schluss: Eliteeinheiten der Präsidentengarde sollen das Massaker verübt haben. Die Autoren des Berichts schrieben damals: "Es ist angemessen, die Taten vom 28. September und den nachfolgenden Tagen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beschreiben." Zwar sind inzwischen mehr als 14 Personen angeklagt, darunter der damalige Präsident Moussa Dadis Camara und dessen Vize Mamadouba Toto Camara. Ein Prozess hat es aber bislang keinen geben.
François Patuel findet das nicht nur aus Sicht der Opfer problematisch. "Drei der Angeklagten sitzen seit 2009 in Untersuchungshaft. Die nach guineischem Recht zulässige Höchstgrenze der Untersuchungshaft ist damit längst überschritten." Diese Menschen müssten dringend vor Gericht stellt werden, fordert Patuel.
Schützt Präsident Condé die Täter?
Doch die Regierung tut sich schwer mit der Aufarbeitung. Die offizielle, innerstaatliche Untersuchungskommission, die im Februar 2010 ihre Arbeit aufnahm, kam nur schleppend voran. Ende 2017 kündigte der damalige Justizminister Cheick Sako schließlich an, die Ergebnisse der Untersuchung an das Gericht in Conakry weiterzuleiten, damit das Verfahren eröffnet werden könne. Passiert ist seither wenig.
Asmao Diallo ist heute Präsident der Vereinigung der Eltern und Freunde der Opfer des Massakers vom 28. September 2009 (APIVA) Er kann die Verzögerungen nicht verstehen: "Die Untersuchungen sind abgeschlossen, der Ort für den Prozess steht, der Staat begleitet den Prozess finanziell. Nur das Datum fehlt." Der aktuellen Regierung von Präsident Alpha Condé macht er schwere Vorwürfe: "Alle verdächtigen oder beschuldigten Personen werden nun von Alpha Condé geschützt", so Diallo.
Dem widerspricht Justizminister Mohamed Lamine Fofana im DW-Interview - obwohl sogar sein Vorgänger Cheick Sako, der im Mai 2019 zurückgetreten war, Alpha Condé eine Verschleppung des Prozessbeginns aus politischen Gründen vorgeworfen hatte. "Der vorherige Justizminister hat gesagt, dass die Prozesse verhindert würden, weil Präsident Condé nicht wolle, dass die damaligen Mitglieder der Junta vor Gericht stehen und verurteilt werden", so Fofana. "Meiner Kenntnis nach gibt es aber keine politische Einmischung." Mitte August hatte Lofana verkündet, dass nun die "konkreten Vorbereitungen" für den Prozess beginnen würden, zwei Milliarden guineische Franc (rund zwei Millionen Euro) seien dafür freigegeben worden.
Verfassungskrise am Horizont
Ohnehin ist die politische Lage in Guinea explosiv. 2020 sind Präsidentschaftswahlen, Alpha Condé strebt Berichten zufolge eine dritte Amtszeit an. Weil die guineische Verfassung die Präsidentschaft aber auf zwei Amtszeiten begrenzt, plant der 81-Jährige eine Verfassungsreform. Dagegen haben die wichtigsten Oppositionsparteien bereits Widerstand angekündigt. Immer mehr Guineer befürchten nun, dass ihr Land in eine neue Krise stürzen könnte.
Auch François Patuel von Amnesty International äußert Bedenken, dass die anstehenden Wahlen den Prozessbeginn weiter verzögern könnten. "Darum ist es jetzt Zeit, dass die Regierung aufsteht und die Prozesse unabhängig von den Wahlen durchführt. Hier muss auch die internationale Gesellschaft eine ganz klare Nachricht senden", so Patel. "Es dauert schon viel zu lange. Die Opfer wollen Gerechtigkeit."
Mitarbeit: Rodrigue Guézodjè, Eric Topona und Bangaly Conde