Guatemala am Rande der Staatskrise
21. September 2018Die guatemaltekische Regierung um Präsident Jimmy Morales hat eine ernsthafte Staatskrise heraufbeschworen: Seit Wochen verweigert sie dem Chef der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) die Einreise nach Guatemala. Iván Velásquez befindet sich derzeit auf Dienstreise in New York. Dass er nicht ins Land gelassen wird, geschieht laut offizieller Erklärung "aus Gründen der Ordnung und öffentlichen Sicherheit". Selbst einem Urteil des guatemaltekischen Verfassungsgerichts vom vergangenen Sonntag, nach dem die Einreise von Velásquez zu erlauben sei, will die Regierung keine Folge leisten. "Damit wird die verfassungsgemäße Ordnung im Land in Frage gestellt", sagt Manfredo Marroquín, Präsident von Acción Ciudadana, der lokalen Vertretung der internationalen NGO Transparency International.
Hintergrund des Streits um CICIG sind die weitreichenden Korruptionsermittlungen der Behörde. Sie unterstützt seit mehr als zehn Jahren - mit Mandat der Vereinten Nationen - die guatemaltekische Staatsanwaltschaft. Unter anderem hat sie den vorherigen Präsidenten Otto Pérez Molina zu Fall gebracht. Seit auch der aktuelle Präsident Jimmy Morales und seine Familie wegen mutmaßlicher Korruptionsvergehen ins Visier der Ermittler geraten sind, hat sich dieser vom CICIG-Unterstützer zum rigorosen Gegner gewandelt - ebenso wie viele weitere Politiker und Unternehmer, denen die Unabhängigkeit der Behörde ein Dorn im Auge ist. "Sie wollen, dass ich meinen Posten räume. Am Ende geht es ihnen darum, dass die CICIG insgesamt aus Guatemala verschwindet", sagte CICIG-Chef Iván Velásquez im Juni in Berlin. Das aktuelle Mandat der CICIG läuft noch bis September 2019. Eine weitere Verlängerung hat Präsident Morales abgelehnt.
Verfassungsbruch
Schon vor einem Jahr war Velásquez von Präsident Morales zur persona non grata erklärt worden. Ein Urteil des Verfassungsgerichts hatte die Ausweisung des CICIG-Chefs damals noch verhindern können. Nun scheint die guatemaltekische Regierung auch den offenen Verfassungsbruch nicht mehr zu scheuen. Statt die Einreise von Iván Velásquez, wie vom Verfassungsgericht festgelegt, zu erlauben, hat die guatemaltekische Regierung den Vereinten Nationen eine Frist von 48 Stunden gesetzt, um einen neuen CICIG-Chef zu berufen, der dann auch ins Land einreisen dürfe. Beobachter gehen davon aus, dass die Regierung nur einen Vorwand sucht, um die Behörde ganz des Landes zu verweisen. "Sie werden keine Antwort auf ihr Ultimatum bekommen und dann den Vertrag mit der UNO aufkündigen und CICIG rauswerfen", glaubt Manfredo Marroquín von Acción Ciudadana.
Auch das guatemaltekische Verfassungsgericht ist nun gefordert. Wenn die guatemaltekische Regierung ihrem Urteil nicht Folge leistet, muss das Gericht die Staatsanwaltschaft anrufen. Diese könnte dann gegen die Politikerinnen und Politiker vorgehen, die sich dem Urteilsspruch des Verfassungsgerichtes widersetzen. Ob es zu weiteren Verfassungsbrüchen durch die Regierung kommt oder sich die Sicherheitskräfte des Landes eventuell sogar weigern, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren, ist noch völlig offen.
Demonstrationen gegen die Regierung
Die politische Krise der vergangenen Wochen hat bereits zu zahlreichen Protesten im ganzen Land geführt, bei denen die Demonstranten der CICIG den Rücken stärken. Drei Minister der Regierung sind zurückgetreten. An diesem Donnerstag ist ein Generalstreik geplant. "Die Menschen sind die Regierung leid, weil die sich nur darum kümmert, wie sie die CICIG aus dem Land werfen kann, während das Land selbst völlig kollabiert", sagt Marroquín.
Welchen Verlauf die Krise in Guatemala nimmt, wird auch vom Verhalten der internationalen Gemeinschaft abhängen, allen voran der USA, die die CICIG maßgeblich mitfinanzieren. "Leider gibt es von der US-Regierung sehr widersprüchliche Signale", sagt Marroquín. "Sie unterstützt die CICIG, aber gleichzeitig unterstützt sie die guatemaltekische Regierung, die die CICIG ablehnt."
Viele europäische Regierungen sind besorgt über die aktuelle Situation. Auch das Auswärtige Amt hat die guatemaltekische Regierung aufgefordert, ihre Entscheidung, das CICIG-Mandat in einem Jahr nicht zu verlängern, noch einmal zu überdenken. "Wichtig ist nun, dass sich auch die EU mit der gleichen Klarheit äußert wie einzelne europäische Länder", sagt Marroquín.