Nicht nur eine Frage der Haftung
24. November 2010Abgeerntete Felder, soweit das Auge reicht. "Hier stand der Mais", sagt Geschäftsführer Harald Nitschke. In der Ferne ist ein riesiger Kuhstall zu sehen. Dort stehen die "Konsumenten" - mehr als 3000 Rinder hat die Raminer Agrar GmbH im östlichen Vorpommern durchzufüttern, bevorzugt mit Mais aus eigenem Anbau.
Als Anfang des neuen Jahrtausends der Maiszünsler auf seinem Vormarsch Richtung Norden auch die Raminer Felder heimsuchte und rund 70 Prozent der Pflanzen vernichtete, griff Harald Nitschke das Angebot des US-amerikanischen Saatgutherstellers Pioneer auf und begann den Anbau von MON 810, einer ein Europa zugelassenen Genmais-Sorte. Züchter haben ihr das Bakterium Bacillus thuringiensis eingepflanzt, das im Darm der Schädlingsraupe ein für den Maiszünsler giftiges Protein erzeugt.
Drei Jahre lang wuchs auf 200 bis 250 Hektar Ackerland nahe Ramin genveränderter Mais. "Die Verluste waren gleich Null", erzählt Nitschke. Kurz vor der Aussaat 2009 kam dann das Verbot. Studien hätten gezeigt, dass die genveränderte Sorte nicht nur dem Maiszünsler, sondern auch nützlichen Insekten schade, begründete Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner von der CSU ihre Anordnung. Harald Nitschke hat seine Zweifel: Die angeblich bedrohten Schmetterlinge habe man im Versuch ausschließlich mit Genmais gefüttert, doch kein Schmetterling nehme so einseitige Kost zu sich.
Der nächste Schädling ist im Anmarsch
Das kurzfristig verhängte Anbauverbot für Genmais in Deutschland habe ihn ganz schön ins Schwitzen gebracht, sagt Nitschke. Nach längerem Hin und Her nahm der Lieferant Pioneer damals das Saatgut im Werte von rund 30.000 Euro zurück.
Seitdem baut Harald Nitschke wieder ausschließlich konventionellen Mais der Sorten Ronaldino und Susan an und hat rund zehn Prozent Verluste durch die Zünsler-Raupe, die sich durch den Stängel frisst und die Pflanze knickt. Dem Schädling ist durch Berieselung mit Chemikalien schwer beizukommen, denn wenn die Raupe den Stängel verlässt, ist die Pflanze so hoch, dass man mit der Motor-Spritze nicht mehr ins Maisfeld kommt. Eine andere Bekämpfungsmethode ist das Unterpflügen nach der Ernte, aber trotzdem breitet sich die Raupe aus. Und der nächste Schädling, der Maiswurzelbohrer, ist bereits im Anmarsch.
Falls das Verbot aufgehoben werden sollte, würde er jederzeit wieder Genmais anbauen, sagt Harald Nitschke. Immerhin 30 Tonnen Mais pro Tag verbraucht der Betrieb, denn neben den Rindern gibt es auch eine Biogasanlage.
"Wir kommen mit den Nachbarn gut klar"
Die gesetzlichen Auflagen für den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen könnte er leicht erfüllen. In den dünnbesiedelten Weiten Ostvorpommerns ist der vorgeschriebene Abstand von 150 Metern zwischen Gentechnik und konventionellem Maisanbau leicht einzuhalten, zumal wenn man, wie Nitschkes Unternehmen, eine 3270 Hektar große Fläche bewirtschaftet. Selbst die vorgeschriebenen 300 Meter Distanz zum ökologischen Maisanbau wären kein Problem. "Wir kommen mit unseren Nachbarn gut klar", sagt der 56-Jährige, der nebenbei Kreischef des Bauernverbandes ist. "Wir haben selbst Versuche gemacht und gesehen, dass die schweren Maispollen nicht so weit fliegen." Wenn jemand ängstlich sei, würde man noch mehr Abstand halten, als vorgeschrieben.
Nach den Haftungsregeln des Gentechnikgesetzes könnte allerdings die Raminer Agrar GmbH auch dann zur Kasse gebeten werden, wenn sie alle Bestimmungen eingehalten hat. Denn wenn tatsächlich einer der Nachbarn klagt, weil genveränderte Pollen auf sein Feld gelangt sind und mehr als 0,9 Prozent seines Ertrages betroffen sind, müssen alle Bauern der Umgebung, die Genpflanzen anbauen, dafür Schadensersatz leisten - völlig unabhängig davon, ob sie alle Bestimmungen eingehalten haben oder nicht. Das sei ungerecht, betont Nitschke. Wenn schon, dann müsse das Verursacherprinzip gelten.
Keiner will das Risiko versichern
Doch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sieht das anders: Es wies am Mittwoch (24.11.2010) eine Klage gegen die ungewöhnlichen Haftungsregeln ab. Diese seien "eine Grundlage für das Nebeneinander" von konventioneller und Gentechnik-Landwirtschaft, heißt es im Urteil.
Die Raminer Agrar GmbH muss also weiterhin davon ausgehen, dass ihre Versicherung das Haftungsrisiko für die Verbreitung von Genmaterial nicht übernehmen will. "Unversicherbar", bestätigte auch der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft in Berlin. Nitschke wäre bereit, das Risiko selbst zu tragen. Notfalls, so erwägt der Landwirt , könne man dem Nachbarn seine Ernte auch abkaufen und im eigenen Betrieb verfüttern.
"Halmverkürzungsmaßnahmen"
Allerdings sind das nur Gedankenspiele. Die einzige zum kommerziellen Anbau in Deutschland zugelassene genveränderte Pflanze ist derzeit die Kartoffel Amflora. Doch Kartoffeln baut der Raminer Betrieb nicht an.
Eine Rückkehr von MON 810 oder einer anderen genveränderten Maissorte nach Deutschland ist vorerst nicht zu erwarten, auch wenn beispielsweise Genmais in Spanien bereits 20 Prozent der Mais-Anbaufläche einnimmt, in den USA sind es sogar 85 Prozent. Die Skeptiker gegenüber der "Risikotechnologie" sind hierzulande in der Mehrheit, allen voran die Partei der Landwirtschaftsministerin. Unter den politischen Parteien steht die FDP zunehmend allein mit ihrem Wunsch, der Grünen Gentechnik in Deutschland freie Bahn zu schaffen.
Selbst im abgelegenen Ostvorpommern sind die Raminer Maisfelder in der Vergangenheit mehrfach Zielscheibe von sogenannten "Halmverkürzungsmaßnahmen" militanter Gentechnik-Gegner geworden. Die Zerstörungen verursachten Schäden von einigen zehntausend Euro. Die "Feldbefreier" hatten leichtes Spiel, denn die Anbauflächen für genveränderte Pflanzen müssen in einem öffentlichen, im Internet einsehbaren Register eingetragen werden. Polizeischutz hatte Harald Nitschke nicht angefordert, das halte er für übertrieben, sagte er.
Überhaupt sieht der vorpommersche Landwirt die Anfeindungen erstaunlich gelassen. Schließlich habe sich auch die sogenannte Rote Gentechnik mit ihren Therapien und Medikamenten durchgesetzt, alles sei eine Frage der Zeit, meint er. Anderswo in der Welt, vor allem in den großen Schwellenländern wie Brasilien, China oder Indien sei einfach der Druck größer als in Deutschland, mit genverändertem Saatgut gegen Hunger und Nahrungsmittelknappheit anzukämpfen.
Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz