Grybauskaite: "Ukraine mit allen Mitteln unterstützen"
8. Februar 2015DW: Es besteht große Sorge, dass es zu einem offenen Krieg zwischen Russland und der Ukraine kommen könnte. Steht ein Krieg mit Russland bevor?
Dalia Grybauskaite: Derzeit haben wir es mit einer russischen Aggression in der Ukraine zu tun - und das auf europäischem Boden. Es besteht kein Zweifel, dass Russland direkt involviert ist.
Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande bemühen sich aktiv um Frieden in der Ukraine. Wie bewerten Sie die Erfolgsaussichten dieser Initiative?
Es müssen Gespräche geführt werden, um zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen. Angela Merkel wird ihr Bestes geben. Und obwohl ich Vertrauen in ihr Vorgehen habe, wissen wir auch, mit wem sie es zu tun hat. Das ist für uns alle eine schwierige Situation, denn es kam für uns alle vollkommen unerwartet. Es ist immer noch schwer vorstellbar, dass wir es im Europa des 21. Jahrhunderts mit einer offenen Aggression zu tun haben.
Bundeskanzlerin Merkel lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Sie setzt auf eine diplomatische Lösung. Ihr Land liefert Waffen an die Ukraine. Bedauern Sie diese Entscheidung Deutschlands?
Ich denke, es muss keinen Widerspruch zwischen diesen beiden Seiten geben. Der Dialog ist immer das wichtigste diplomatische Mittel. Aber wenn es keine diplomatischen Lösungen gibt, muss es einem Land möglich sein, sich zu verteidigen. Wir wollen die Ukraine mit allen möglichen Mitteln unterstützen. Auch an unseren Grenzen in Kaliningrad gibt es eine Bedrohung. Wir registrieren tägliche Truppenmanöver. Diese Bedrohung ist real. Wir können von einem Land nicht verlangen, sich nicht zu verteidigen, wenn es offen angegriffen wird und auch seine Zivilbevölkerung direkt von dem Krieg betroffen ist.
Welche Waffen liefern Sie an die Ukraine?
Wir liefern Defensivwaffen.
Auch sogenannte "lethale Waffen"? Also mehr als Schutzwesten und ähnliches?
Wir stellen der Ukraine alle notwendigen Mittel zur Verfügung, um sich selbst zu verteidigen - alle Mittel, die Litauen selbst zur Verfügung stehen.
Sie haben von einer Bedrohung für Ihr Land und für das Baltikum gesprochen. Fühlen Sie sich von der NATO ausreichend geschützt?
Wir sind durch unseren gemeinsamen politischen Willen und der Bereitschaft unserer Bevölkerung, sich zu verteidigen, geschützt. Wir haben bereits als erstes NATO-Land eine schnelle Eingreiftruppe gegründet, noch bevor die NATO selbst eine solche geründet hatte, um uns zu unterstützen. Wir kennen unseren Nachbarn. Wir trauen ihm nicht, besonders der Führung im Kreml. Wir wissen, dass wir bereit sein müssen, uns zu verteidigen.
In den kommenden Tagen diskutiert die EU über weitere Sanktionen gegen Russland. Sind Sie dafür, die Sanktionen gegen Moskau zu verschärfen?
Zuerst müssen wir einen Waffenstillstand erreichen. Das wird nicht morgen oder nächste Woche geschehen. Es sind nicht nur Soldaten, die sterben, sondern auch Zivilisten. Wir müssen eine Lösung finden. Niemand will einen Krieg in Europa. Aber wir können Aggressoren auch nicht erlauben, so gegen uns vorzugehen. Wenn wir der Ukraine nicht helfen, verkaufen wir nicht nur die Ukraine, sondern auch uns selbst.
Viele Ukrainer befürchten, dass Europa die Ukraine im Stich lässt und nur mit Worten, aber nicht mit Taten hilft. Was würden Sie den Ukrainern sagen, die befürchten, dass Europa eine Politik des Appeasements gegenüber Russland verfolgen könnte?
Ich vertraue der Arbeit von Angela Merkel. Sie würde nie jemanden betrügen - weder die Ukraine, noch Deutschland, noch Litauen. Wir alle zusammen sind in der Lage, es zu schaffen.
Was ist die Botschaft aus München an die Ukraine?
Die Botschaft lautet: Habt keine Angst. Verteidigt euch mit allen möglichen Mitteln. Es ist euer Land. Und wir sind bei euch.
Dalia Grybauskaite ist seit 2009 Präsidentin Litauens. Bis zu ihrer Präsidentschaft war sie als Kommissarin für die Finanzplanung und den Haushalt der Europäischen Union zuständig.
Das Interview führt Roman Goncharenko