Deutschland macht sich stark für Kinderrechte
25. Oktober 2019Mit dem Koalitionsvertrag nahm sich die derzeitige Bundesregierung vor, Kinderrechte im Grundgesetz "ausdrücklich" zu verankern. Parteien wie die Linke und die Grünen unterstützen dieses Vorhaben seit geraumer Zeit. Nun hat eine Kommission drei Vorschläge für konkrete Formulierungen vorgelegt.
Doch warum sollten Kinderrechte überhaupt im Grundgesetz festgeschrieben werden? Immerhin ist in Deutschland seit 1992 die UN-Kinderrechtskonvention in Kraft. Kritiker argumentieren außerdem, dass die Rechte von Kindern schon mit den Menschenrechten abgedeckt seien. Deswegen sei eine Änderung im Grundgesetz überflüssig.
Für Linda Zaiane vom Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW) zählt diese Begründung nicht: "Die Vereinten Nationen haben damals auch beschlossen, dass es eine Kinderrechtskonvention braucht, obwohl es schon allgemeine menschenrechtliche Verträge gab, da Kinder eben keine kleinen Erwachsenen sind und besondere Rechte brauchen." Dieselbe Argumentation gelte auch für die deutsche Rechtslage.
Ein Rechtsgutachten, das im Auftrag des DKHW erstellt wurde, empfahl eindringlich, Kinderrechte explizit ins Grundgesetz aufzunehmen. In dem Gutachten wurde untersucht, wie die Rechte von Kindern bisher in Deutschland bei Gerichtsentscheidungen berücksichtigt wurden, erklärt die Juristin. Das Ergebnis: Theoretisch könnten in viele der bestehenden deutschen Gesetze Kinderrechte hineininterpretiert werden. Praktisch werden die Rechte von Kindern bei der Auslegung der Gesetze aber zu wenig berücksichtigt.
Die Formulierung ist wichtig
Daher wünschen sich Verfechter eine Klarstellung im Grundgesetz. Wichtig ist für die Juristin Zaiane, dass die Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention im Gesetzesentwurf möglichst umfassend widergespiegelt werden.
Kinder müssen demnach nicht nur geschützt, sondern auch gefördert werden. Auch das Recht eines Kindes, dass es an Entscheidungen beteiligt wird und seine Interessen berücksichtigt werden, muss ihrer Ansicht nach festgehalten werden. Denn zu oft würden Kinder nicht gefragt, obwohl sie betroffen sind.
Aber noch aus einem anderen Grund reicht die bloße Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention für Zaiane nicht aus: Sie hat in Deutschland eben nicht Verfassungsrang. "Deswegen hätte es eine starke Wirkung, wenn in unserem höchsten Gesetz ausdrücklich steht, dass Kinder besondere Rechte haben."
In der Folge würde dies auf alle Rechtsbereiche ausstrahlen, da das Grundgesetz bei der Anwendung aller Gesetze berücksichtigt wird. Und über diesen Weg würden sich auch schon Jura-Studenten mit Kinderrechten befassen. In Zaianes eigener juristischer Ausbildung habe das Thema überhaupt keine Rolle gespielt.
Deutschland unter den Top 5
International steht Deutschland beim Thema Kinderrechte ziemlich gut da. Der KidsRights Index 2019 sieht die Bundesrepublik auf Platz fünf von 181 Staaten. Für den Index wertet die gleichnamige Stiftung jährlich zusammen mit der Universität Rotterdam Daten verschiedener UN-Organisationen aus, um zu erkennen, wie Länder sich an die Rechte von Kindern halten und diese einbeziehen. Insgesamt 20 Indikatoren spielen eine Rolle. Neben der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention geht es auch um die Themen Gesundheit, Bildung und Schutz.
Deutlich wird: Wohlstand und eine florierende Wirtschaft bedeuten nicht unbedingt, dass die Jüngsten der Gesellschaft angemessen berücksichtigt werden.
Für die Autoren fallen die westlichen Staaten Neuseeland und Großbritannien bei der Bewertung durch. Sie landen fast am Ende der Liste, auf den Plätzen 169 und 170. Begründet wird die Platzierung hauptsächlich mit der Diskriminierung von Kindern, die zu Minderheiten gehören, wie Flüchtlinge oder Migranten. Außerdem würde die Meinung und die Bedürfnisse von Kindern besonders aus ärmeren Schichten in politischen Prozessen systematisch nicht gehört.
Vorreiter auf allen Kontinenten
Linda Zaiane vom Deutschen Kinderhilfswerk erwähnt Norwegen, Belgien und Südafrika als Positivbeispiele für Länder, in denen schon gesetzlich verankert ist, dass Kinder beteiligt werden müssen, dass ihr Wohl vorrangig berücksichtigt werden muss. Der KidsRights Index lobt Tunesien (Platz 14) und Thailand (15): Verglichen mit ihrem wirtschaftlichen Status stehen sie bei Kinderrechten gut da. Innerhalb ihrer Möglichkeiten hätten die Staaten es geschafft, ein günstiges Umfeld für Kinder zu schaffen, heißt es.
Ganz anders sieht es bei China, Myanmar und Indien aus. Obwohl die Wirtschaft in diesen drei Ländern zwischen 2010 und 2016 stark gewachsen sei, habe sich ihre Platzierung verschlechtert. "Es ist schockierend zu sehen, dass sich selbst in Ländern mit einem substantiellen Wirtschaftswachstum dieses nicht im Alltag der Kinder widerspiegelt", sagte der Gründer und Vorsitzende von KidsRights, Marc Dullaert, bei der Veröffentlichung der aktuellen Zahlen.
Ein großer Player fehlt in der Statistik: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind das einzige Mitgliedsland der Vereinten Nationen, das die Kinderrechtskonvention nicht ratifiziert hat. Daher mangelt es an Daten dazu, wie es den Kindern in dem mächtigsten Land der Erde geht.