Grund zur Freude?
9. Dezember 2022„Sie sind so jung, sie müssten doch optimistisch sein. Sie müssten Zutrauen haben in die Fähigkeit von Menschen.“ Das sagte der Moderator Markus Lanz vor Kurzem in seiner Sendung zur Klimaaktivistin Carla Rochel[1]. Ich bin nicht mehr ganz so jung wie Frau Rochel, und doch hat mich der Satz sehr irritiert, denn ich fand ihn anmaßend. Über die Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzen Genration“ und Kartoffelbrei auf van Gogh-Bildern möchte ich hier gar nicht schreiben. Was ich allerdings sagen kann, ist, dass auch mir bei immer mehr Problemen und Krisen in der Welt der Optimismus fehlt.
Russland führt Krieg gegen die Ukraine, Bilder von Zerstörung, Angst und Sterben erreichen uns täglich. Nicht nur aus der Ukraine: die Welt ist voll von Kriegs- und Krisengebieten, sodass die Bilder kaum noch Platz in den Zeitungen und Nachrichten bekommen. Im Irak revoltieren mutige Menschen, vor allem Frauen, unter Einsatz von Freiheit und Leben für ihre Menschenrechte, die in vielen Ländern noch lange nicht selbstverständlich sind. Umweltkatastrophen und Klimaextreme nehmen rasant zu und bedrohen immer mehr wirtschaftliche Existenzen und Gesundheit und Leben von Menschen. Die Energie- und Lebenshaltungskosten steigen stetig und nicht wenige Menschen haben Angst davor, die Kosten nicht mehr zahlen zu können, weil sie jetzt schon kaum von ihrem Gehalt leben können „Sie müssten doch optimistisch sein“, das klingt da fast wie Hohn. Ich ärgere mich über Herrn Lanz und viele, die seine Haltung zur Klimakrise zu teilen scheinen.
Und dann erreicht mich im Gottesdienst zum dritten Advent direkt zu Beginn eine Aufforderung, die in eine ähnliche Richtung geht. Christ*innen feiern am 3. Adventssonntag „Gaudete“, das heißt übersetzt „Freut euch!“ Mit diesem Apell beginnt der Gottesdienst. Zugegeben, es kommt ein bisschen darauf an, wie man diese Worte ausspricht. „Freut euch!“ barsch wie ein Befehl? Das wird nichts bewirken. Freude muss sich langsam einstellen können, sich entwickeln. Angeordnet ist sie nicht echt – ähnlich wie ein „jetzt lach doch endlich mal“.
Aber das „Gaudete“ im Advent ist anders. Es ist durchaus ernst gemeint – aber es ist kein Befehl, sondern eine Einladung. Diese Einladung macht drauf aufmerksam, dass es Grund genug gibt, sich zu freuen, und empfiehlt uns, sich diesem Grund zu nähern, so wie er sich uns nähert. „Gaudete“ kommt von dem Satz, den der Apostel Paulus an die Gemeinde in Philippi schrieb: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit. Noch einmal sage ich: Freut euch! Denn der Herr ist nahe!“ (Phil 4,4-5) „Freut euch!“ aus Vorfreude auf Weihnachten. Denn Weihnachten ist das Fest der begründeten Freude für Christ*innen. Gott ist Mensch geworden und als kleines Kind im Stall ganz tief hinein gegangen in unsere Welt, mit ihren Problemen, Krisen und Kriegen. Gott ist den Menschen so nahe gekommen, wie es eben geht. Weihnachten ist das Fest der begründeten Freude, weil uns dieses Kind zeigt, dass Gott seine Zusage gibt, das Leben mit uns Menschen zu teilen und mit uns auf Augenhöhe durch diese Welt zu gehen. Er stellt sich neben uns Menschen, gerade dann, wenn wir uns klein fühlen und flüstert in unseren Pessimismus hinein: „Du bist nicht allein. Traue dir zu, dich zu freuen, denn nicht Dunkelheit, Trauer, Schmerz und Pessimismus haben das letzte Wort. Das letzte Wort habe ich, und es ist Liebe.“ Das ist nicht nur eine Hoffnung auf die Zukunft, sondern es ist schon eine Einladung im Hier und Jetzt. Diese Einladung möchte ich annehmen und wie viele andere Menschen erfahrbar machen, dass auf unerklärliche und staunenswerte Weise Gottes Liebe schon wirkt. Sie wirkt in denen, die sich in gesellschaftliche Diskussionen einmischen für ein gerechtes Miteinander, in jenen, die auch zur Besonnenheit mahnen; in jenen, die Geflohene vielfältig unterstützen, in jenen, die das Wort erheben gegen Diskriminierung und Hass; in jenen, die Ressourcen sparen, oder sich in Wirtschaft und Wissenschaft für Nachhaltigkeit engagieren; in jenen, die einfach so ein Lächeln schenken in meinen Pessimismus hinein, die ein aufbauendes Wort finden, die Trost spenden und Optimismus verbreiten, aber auch in denen, die Sprachlosigkeit, Trauer und Pessimismus manchmal einfach nur mit aushalten. Die Liebe wirkt in aller Vielfalt.
Nein, mein Blick auf diese Welt ist nicht durch eine rosarote Brille gefärbt mit angeordnetem Optimismus. Aber ich weiß mich in allem, was ich tue und was ich vielleicht auch nur aushalten kann, begleitet und getragen von Gott. Er ist an Weihnachten mitten in diese Welt gekommen und zeigt sich bis heute und für immer in seiner unergründlichen Vielfalt als Freude und Hoffnung auf dem Weg durchs Leben. Durch diese Erfahrung gestärkt, kann ich heute, wie viele andere Menschen auch, die dritte Kerze am Adventskranz entzünden, und sagen: Trotz allem – freut euch!“
Ich wünsche Ihnen, dass sie diese Erfahrungen teilen können oder zumindest die Hoffnung auf Freude nicht verlieren, und so gesegnet in diesen dritten Advent gehen können.
Sonja Stratmann: Jahrgang 1985, hat in Paderborn praktische Theologie studiert und arbeitet als Pastoralreferentin für das Bistum Münster. Seit 2020 ist sie verantwortlich für die Schulpastoral an den weiterführenden und berufsbildenden Schulen im Dekanat Bocholt-Rhede-Isselburg.
[1] ZDF: Markus Lanz, 09.11.2022 Markus Lanz vom 9. November 2022 - ZDFmediathek