"Großer Betrug" von Nordkorea?
13. November 2018Das Regime in Pjöngjang hat sich trotz wiederholtem Drängen der USA bislang geweigert, eine Liste ihrer Nuklearanlagen oder Raketenbasen vorzulegen. Nun jedoch haben Experten der Washingtoner Denkfabrik "Center for Strategic and International Studies" (CSIS) glaubhaft die Existenz von 13 nordkoreanischen Raketenbasen identifiziert. Sie stützen sich dabei vorrangig auf kommerzielle Satellitenbilder, die vor allem belegen, dass Pjöngjang seine Raketenbasen über das Land verteilt hat. Viele Indizien sprechen zudem dafür, dass an vielen der Anlagen jüngst Wartungs- und Ausbauarbeiten durchgeführt wurden.
Die Verhandlungen über Nordkoreas atomare Abrüstung stecken seit Monaten fest. Der wohl größte Erfolg bisher: Pjöngjang hat seine Abschussanlage Punggye-ri geschlossen und seit über einem Jahr keine Langstrecken- und Atomraketen mehr getestet. Von bedeutsamen Schritten zur Denuklearisierung kann jedoch keine Rede sein.
Irreführende Schlussfolgerungen
Die "New York Times" hatte als erster über die Studie des CSIS berichtet und in einem prominent platzierten Artikel auf der Titelseite Nordkorea "großen Betrug" vorgeworfen. Weitere Publikationen folgten dem Aufschrei, im deutschsprachigen Raum etwa schlussfolgerte die "Neue Zürcher Zeitung", dass Trump von Nordkorea "an der Nase herumgeführt" wird. Die Botschaft ist klar: Während Nordkorea nach außen von Abrüstung redet, rüstet es heimlich auf.
Nüchtern betrachtet sind solche Rückschlüsse mehr als irreführend: Schließlich kann das Regime in Pjöngjang kein Versprechen brechen, das es niemals gegeben hat. Weder beim Gipfeltreffen in Singapur noch bei den bislang insgesamt drei innerkoreanischen Gipfeltreffen hat Kim Jong Un irgendeine Absichtserklärung bezüglich seines ballistischen Raketenprogramms abgegeben - weder, dass es seine Basen in einem Dossier preisgibt, noch dass es sie einseitig abrüstet.
Ganz im Gegenteil: Nordkoreas Machthaber hatte während seiner Neujahrsansprache im Januar öffentlich und unmissverständlich angekündigt, sich auf die Massenproduktion seiner nuklearen und ballistischen Sprengköpfe zu fokussieren. Sehr wohl angekündigt hat das nordkoreanische Regime den Stopp der weiteren Tests von Langstreckenraketen und Atomsprengköpfen - ein Versprechen, das es auch eingehalten hat.
Unter einigen renommierten Nordkorea-Experten ist eine erhitzte Debatte um die 13 identifizierten Raketenbasen entbrannt: "Manchmal bekomme ich das Gefühl, dass einige Leute in Washington D.C. sich geradezu wünschen würden, dass Nordkorea eine Dummheit begeht - damit sie den unerwünschten Aussöhnungsprozess endlich beenden können", twitterte etwa Rüdiger Frank, der das Institut für Ostasienstudien an der Universität Wien leitet.
Südkorea reagiert gelassen
Die südkoreanische Regierung reagierte mit demonstrativ deutlichen Worten: "Nordkorea hat niemals ein Abkommen unterschrieben, das die Schließung von Raketenbasen befiehlt. Es gibt auch keine Vereinbarung, dass die Deklarierung der Anlagen vorsieht", sagte Sprecher Kim Eui Kyeom.
Dennoch legt der mediale Wirbel die diplomatische Schwäche von US-Präsidenten Donald Trump offen. Dieser hat niemals öffentlich anerkannt hat, was seine Berater längst wissen: Dass nämlich Nordkoreas Atomprogramm nach wie vor hochgefährlich bleibt, und dass dessen Abrüstung nur bei gleichzeitigen Gegenmaßnahmen zustande kommen wird. Bereits nach dem Gipfeltreffen in Singapur behauptete Trump schließlich voreilig, dass Nordkorea "keine Bedrohung" mehr sei.
Die Verhandlungen sind nicht zuletzt deshalb festgefahren, weil Nordkorea auf einem gleichzeitigen, wechselseitigen Prozess besteht. Washington jedoch fordert weitgehend eine vollständige, unwiderrufliche Abrüstung, bevor es entsprechende Gegenmaßnahmen wie etwa die Lockerung der Wirtschaftssanktionen und einen Nicht-Angriffspakt anbietet.
Jene 13 vom CSIS identifizierten Militäranlagen betreffen dabei das Kurzstreckenraketenprogramm, das nicht zuletzt zur Abwehr eines Militärschlags gegen das Land dient. Dass Nordkorea dieses von sich aus abrüstet, ohne eine Sicherheitsgarantie Washingtons im Gegenzug zu erhalten, ist unrealistisch.
Von den meisten Experten wird erwartet, dass sich beide Seiten letztendlich auf einen hart ausgehandelten Kompromiss einigen, der im Idealfall beim zweiten Treffen von Kim und Trump Form annehmen könnte. Der Gipfel soll laut Angaben des Weißen Hauses nach wie vor zu Jahresbeginn 2019 stattfinden.