Warum Kulturbauten in Europa so teuer werden
28. März 2019Viele der Erklärungen liegen auf der Hand - wenn man sie denn kennt. Nicht nur in der Hansestadt Hamburg, wo die Elbphilharmonie - vom Volksmund liebevoll "Elphi" genannt - mit rund 800 Millionen Euro zehnmal so teuer wurde wie geplant, rauft sich der Kämmerer die Haare.
In Berlin verschlang die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden rund 400 Millionen Euro, veranschlagt waren 239. Die Kosten der Kölner Oper drohen sich nun auf 580 Millionen Euro zu verdoppeln. Rund 900 Millionen Euro könnte die Sanierung des Frankfurter Schauspiel- und Opernhauses zu Buche schlagen.
Astronomische Zahlen, die in den betroffenen Städten regelmäßig einen "Schock" auslösen, wie Andrea Jürges konstatiert, die stellvertretende Direktorin des Frankfurter Architekturmuseums DAM. Gemeinsam mit ihrem Kollegen York Förster hat sie europaweit die Gründe für die Kostenexplosionen bei großen Kulturbauten recherchiert. Daraus entstand die Ausstellung "Große Oper – Viel Theater?", die zuerst in Frankfurt und jetzt auch in Köln zu sehen ist.
So aktuell und vor allem lehrreich ist die Schau, dass viele der gebeutelten Stadtväter – und Mütter dorthin pilgern, um über die eigenen Fehler zu staunen. Manche scheiterten am eigenen Anspruch, viele an falschen Preisvorstellungen. Oft stimmte schon die Planung nicht. Am Ende klaffte dann ein Riesenloch in der Kasse. "Dabei sind die Kosten weitgehend realistisch", sagt Andrea Jürges. Nachdem sie Bühnenbauten europaweit verglichen hat, verweist sie Spekulationen über geldgierige Baulöwen, überdrehte Künstler und Architekten ins Reich der Fabel.
Doppeldeutiger Ausstellungstitel
Dabei hätte man es vorher wissen können. Ausgangspunkt der Ausstellung "Große Oper, viel Theater" ist der Fall des Frankfurter Schauspiel- und Opernhauses. Die noch zu Kaisers Zeiten 1902 errichtete Doppelanlage lässt schnell erkennen, wo der Hase im Pfeffer liegt: Zum einen wandeln sich die Zeiten, zum anderen die Ansprüche an so ein öffentliches Gebäude. Das Glasfoyer von 1963 etwa entstand als Zeichen für Aufbruch und neue Offenheit. "Kulturbauten waren immer Ausdruck des gesellschaftlichen Selbstverständnisses", erklärt Jürges.
Veränderte Ansprüche aber wirken sich auf die Planung aus: die Häuser werden immer größer und komplexer – und somit teurer. Der doppeldeutige Ausstellungstitel trifft ins Schwarze. Auch in Frankfurt war der Schock groß, als eine Machbarkeitsstudie die Sanierungskosten von Oper und Schauspiel mit erschreckenden 900 Millionen Euro bezifferte. Neu bauen käme nicht billiger.
Gleichwohl scheint die Rechnung aufzugehen, preist sie doch nicht nur Kosten, sondern auch Risiken des Projekts ein – und zusätzlich versteckte Kosten, die sonst gern unterschlagen werden: Dazu zählen etwa die Mieten für Interims-Spielstätten, ein Risikoaufschlag und noch diverse Teuerungszuschläge, vor denen selbst der Zwang zu öffentlichen Ausschreibungen nicht schützt.
Überhaupt die Gesetze: Werden sie verschärft oder verändert, kann das die Sanierungskosten schnell in die Höhe treiben. Ein Beispiel: Die geänderten Arbeitsstättenrichtlinien gestehen einem Orchestermusiker heute doppelt so viel Platz zu wie früher. Der Orchestergraben muss also mitwachsen.
Auch die Anforderungen an Brandschutz und Fluchtwege sind gestiegen, Belüftungsanlagen werden immer aufwändiger. All das kostet Geld. "Haustechnik", weiß Andrea Jürges, "hält in der Regel 25 Jahre. Dann muss man sie austauschen." Wer sich davor drückt, dem droht Ersatzteilmangel wegen veralteter Technik. "Fällt etwa die Lüftung im Zuschauerraum aus", so Jürges, "darf auch auf der Bühne nicht mehr gespielt werden." Dann kann gleich das ganze Theater dicht machen.
Achtung Haustechnik!
Die wichtigste Lektion für Bauherren lautet also: Die Haustechnik ist häufig der "schlummernde Drache", wie Jürges bestätigt. Er lauert überall dort, wo - wie in Frankfurt - alte Schätze in neuem Glanz erstrahlen sollen, noch dazu regelgemäß und auf dem neuesten Stand der Technik. Gleiches gilt für Köln mit seiner Oper, Dresden mit seinem Kulturpalast, Berlin mit der Staatsoper unter den Linden, Oslo, Hamburg oder Kopenhagen. Die Liste ließe sich fortsetzen, wie die Ausstellung zeigt.
Noch eins kommt hinzu: Kulturbauten dienen heutzutage nicht mehr nur dem abendlichen – und hoch subventionierten - Kulturgenuss eines betuchten Bürgertums. Vielerorts sind die Gebäude – siehe die "Elphi" in Hamburg – städtebauliche Landmarken. Wenn es gut läuft, steigen sie gar zum Image prägenden Wahrzeichen der Stadt auf, wie die Elbphilharmonie in Hamburg.
Anders als der wilhelminische Repräsentationsbau vor 100 Jahren öffnen sich in Deutschland viele Theater- und Konzerthäuser heute auch tagsüber für ihr Publikum. Das ist gewollt: In Dresden etwa zog die Stadtbibliothek in den soeben sanierten Kulturpalast ein. Cafés und Restaurants oder andere Mischnutzungen machen Kulturbauten, wie etwa die Oper in Oslo, zum öffentlichen Ort.
Aber auch das gibt es: In Kopenhagen hat ein Mäzen der Stadt eine neue Oper geschenkt. Athen kam auf diese Weise zu einem riesigen Kulturzentrum. In beiden Fällen waren die Stifter vermögende Reeder, die sämtliche Fäden in der Hand hielten - vom Kauf des Grundstücks, über die Auswahl des Architekten, Ausschreibung und Bau bis hin zur feierlichen Einweihung.
Von demokratischer Debattenkultur, die manchmal Jahre kostet, keine Spur: "Die Bewohner einer Stadt sollten diskutieren, was sie wollen und was nicht", meint Kuratorin Andrea Jürges. "Demokratische Entscheidungsprozesse sind wichtig." Warum also sind Kulturbauten so teuer? Ihre Antwort: "Weil ein Stück Oper und ein Stück Theater eben ein Stück Geld kosten!"