Große Bühne in Berlin
5. Mai 2017Es ist ein Muss-Termin für Theaterfreunde: Seit 1964 findet das Theatertreffen in Berlin statt - und in mehr als fünf Jahrzehnten hat es sich zu einem Festival entwickelt, in dem Genregrenzen auch schon mal fallen.Zwei Wochen lang werden Berliner Bühnen und mitunter ausgefallene Orte bespielt - das Zentrum des Treffens aber ist das Haus der Berliner Festspiele.
Jedes Jahr reist eine Jury aus sieben Kritikerinnen und Kritikern durch den deutschsprachigen Raum. Monatelang schauen sie sich an die 400 Theaterstücke an und entscheiden dann, wen sie nach Berlin einladen. Bei den zehn ausgewählten Inszenierungen in diesem Jahr treffen Klassiker auf Youngster - und geben einen guten Überblick auf die moderne deutschsprachige Theaterszene.
Modern, bunt und zauberhaft
In diesem Jahr startet das Theater Basel mit "Drei Schwestern", einer Anton Tschechow-Adaption von Simon Stone. In der rasant-witzigen Inszenierung treffen sich Freunde und Familie - und alle stecken irgendwie in einer Sinnkrise - in fröhlicher Oberflächlichkeit auf einer Party. "Tschechow auf Speed", sagt die Berliner Stadtzeitung "Zitty" - wobei in dieser Wohlstandssatire kein einziger Satz von Tschechow fällt.
Einen atmosphärischen Bilderrausch bietet Regisseur Kay Voges' Theater-Kunst-Film-Installation "Die Borderline Prozession", gezeigt vom Schauspiel Dortmund. Mehr als 30 Künstler sind an dieser Inszenierung beteiligt; auf der Bühne ist ordentlich was los. Die Dortmunder versprechen "sensationelles Musiktheater" in zahllosen Szenen und teilen mit dem Publikum Gedanken, Bilder und Musik aus 5000 Jahren Kulturgeschichte.
In Milo Raus "Five Easy Pieces" spielen Kinder das Leben des belgischen Kindermörders Dutroux nach. Es klingt nach sehr hartem Tobak, doch das Spiel der sieben jungen Darsteller vom belgischen Campo Gent nimmt der Inszenierung den Schrecken und macht das Unerträgliche aushaltbar.
"Traurige Zauberer" von Thom Luz (Staatstheater Mainz) führt die Zuschauer in die versunkene Welt der Tingeltangel-Shows. Das Publikum sitzt auf der Bühne und sieht im Zuschauerraum Magier und schwebende Jungfrauen, Kartentricks und verschlissenen Plüsch - die stumme Komödie mit Musik von unter anderem Debussy und Bach hat auch viele Kritiker verzaubert.
In "Real Magic" vom Theaterkollektiv Forced Entertainment (Pact Zollverein in Essen, Hebbel am Ufer in Berlin und weitere) landen die drei Protagonisten in einer bizarren Gameshow, aus der es kein Entrinnen gibt.
Claudia Bauer zeigt ihre Bühnenfassung von Peter Richters Wende-Roman "89/90". Das Ensemble des Schauspiels Leipzig wird kurzerhand zu einem Haufen bizarrer Freaks, die das schnelle Ende der DDR und die deutsche Wiedervereinigung in schnellen Sequenzen, mit schrillen, teils dadaistischen Tönen Revue passieren lassen. Ostalgie kommt garantiert nicht auf.
Herbert Fritsch verabschiedet sich mit "Pfusch" von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin - auf humorvolle Weise zitiert er seine eigenen Arbeiten aus der Vergangenheit - das verspricht ein vergnüglicher Theaterabend zu werden.
"Die Vernichtung" von Regie-Shooting-Star Ersan Mondtag spielt im Paradies. Nackte Menschen tummeln in einer opulenten Szenerie, tanzen zu Techno, haben Sex, nehmen Drogen oder hängen dekorativ auf Schaukeln rum. Gelangweilt von ihrer eigenen rauschhaften Party beginnen sie den Weltuntergang zu planen (Konzerttheater Bern).
Pech durch zwei Ausfälle
Dass in diesem Jahr die zwei Klassiker aus München und Hamburg nicht aufgeführt werden, liegt an technischen Problemen und an krankheitsbedingten Ausfällen. Ulrich Rasches Inszenierung von Schillers "Die Räuber" vom Münchner Residenztheater wird stattdessen in Form einer Fernsehaufzeichnung gezeigt, das Hamburger Thalia-Theater schickt Regisseur Johan Simons und das Ensemble, die ihre Arbeit an Theodor Storms Schimmelreiter bei einer Lesung vorstellen.
Ein umfangreiches Rahmenprogramm ergänzt die Auswahl - etwa spannende Diskussionen und Panels, ein Theatercampus und weitere Specials. Es gibt ein Public-Viewing, bei dem einzelne Aufführungen auf Leinwand übertragen werden - umsonst und draußen - auf Liegestühlen.
Der internationale Nachwuchs präsentiert sich auf dem "Stückemarkt" - in diesem Jahr hat die Jury des Stückemarkts nach innovativen Theatersprachen gesucht und legte bei ihrer Auswahl besonderen Wert auf Arbeiten, die sich mit Ausdrucksmöglichkeiten "in einer radikalen Ungewissheit der Realität" (Berliner Festspiele) befassen. Klingt sperrig, führt aber bei diesem 54. Theatertreffen zu einer Reihe von interessanten szenischen Lesungen und Performances aus verschiedenen Ländern.
Das Theatertreffen vergibt gleich mehrere Auszeichnungen, darunter den Theaterpreis Berlin an Herbert Fritsch und den Preis des Fernsehsenders 3sat an Milo Rau. Das Festival dauert bis zum 21. Mai.