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Neuer Katalog der Grausamkeiten

Jannis Papadimitriou, Athen23. Mai 2016

Das griechische Parlament hat ein weiteres Spar- und Steuerpaket gebilligt. Die Regierung Tsipras hofft auf weitere Kreditmilliarden der Gläubiger, viele Bürger sind entsetzt.

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Parlament in Athen (Foto: picture-alliance/dpa/O. Panagiotou)
Das Griechische Parlament hat eine Erhöhunh zahlreicher Steuern beschlossenBild: picture-alliance/dpa/O. Panagiotou

"Dieses Sparpaket ist unser Grabstein", empört sich Nikos Setfidis. Seine Bäckerei für Blätterteig-Käsetaschen ist eine Institution in der Athener Innenstadt, Setfidis führt den Laden in zweiter Generation - wie lange noch, steht in den Sternen. Seit 1965 hat seine Familie so manche Krise in Griechenland erlebt, aber die Depression der letzten Jahre übertrifft selbst seine schlimmsten Befürchtungen, klagt der Familienvater: "Schon heute muss ich über 600 Euro im Monat für Strom und genauso viel Geld für meine Sozialbeiträge zahlen. Und nun wird alles noch viel teurer", klagt er im Gespräch mit der DW.

Vor Ausbruch der Schuldenkrise zählte der Bäcker über 150 treue Stammgäste aus den umliegenden Büros, mittlerweile sind fast alle arbeitslos oder umgezogen. Sein Umsatz bricht weg. Erstmals seit 50 Jahren denkt die Familie Setfidis ernsthaft darüber nach, den Laden aufzugeben.

Aufgegeben hat schon die berühmte Papasotiriou-Buchhandlung im Herzen von Athen. Noch vor vier Jahren war sie vom Schweizer Verleger Markus Sebastian Braun in die illustre Runde der "49 schicksten Buchhandlungen der Welt" aufgenommen worden - ein beliebter Treffpunkt für Kulturfreunde und Flaneure aller Altersklassen. Nach Einführung der Kapitalkontrollen im Sommer 2015 versank der Traditionsbetrieb allerdings in Schulden. In der vergangenen Woche meldete Papasotiriou endgültig Bankrott an - wenige Tage vor der Verabschiedung neuer Steuererhöhungen im griechischen Parlament. Nur eine Zweigstelle am vielfrequentierten Athener Flughafen darf vorerst weitermachen. "Wir haben Glück, weil unser Chef kein Franchisenehmer, sondern Miteigentümer ist und diesen Laden nicht aufgeben wollte. Deshalb behalten wir hoffentlich unseren Job", sagt eine Verkäuferin.

Nikos Setfidis (Foto: DW/J. Papadimitriou)
Nikos Setfidis denkt schon darüber nach, seinen Laden aufzugebenBild: DW/J. Papadimitriou

Tsipras besteht Feuerprobe im Parlament

Ungeachtet aller Klagen hält der griechische Regierungschef Alexis Tsipras an seinem schmerzhaften Sparkurs fest. Am späten Sonntagabend hat das Parlament ein weiteres Steuerpaket abgesegnet, gebilligt wurden außerdem ein neuer Privatisierungsfonds nach Vorbild der deutschen Treuhandanstalt sowie die sogenannte "automatische Schuldenbremse", die in Kraft treten soll, falls Griechenland die vereinbarten Sparziele mittelfristig verfehlt. Der Katalog der Grausamkeiten ist lang: Steuern auf Benzin, Diesel, Heizöl, Tabak, Zigaretten und Bier werden erhöht, dazu kommt eine Sonderabgabe auf Bezahlfernsehkanäle und Festnetzanschlüsse. Außerdem wird die Mehrwertsteuer von 23 auf 24 Prozent angehoben - und das ausgerechnet zu Beginn der Hochsaison im Tourismus. "Vor meiner Rede hole ich erstmal tief Luft, bevor Sie auch noch die Luft besteuern", witzelte ein Oppositionsabgeordneter während der lautstark geführten Debatte.

Auch innerhalb der regierenden Linkspartei regte sich lange Zeit Widerstand, doch letztlich wagte es nur die Athener Abgeordnete Vassiliki Katrivanou, gegen Teile des Sparpakets zu stimmen. Sie musste daraufhin zurücktreten. Für Tsipras sei die Abstimmung im Parlament ein Erfolg, meint Jorgos Tzogopoulos, Politikwissenschaftler von der Athener Denkfabrik ELIAMEP. "Tsipras hat es geschafft, wertvolle Zeit zu kaufen und zu beweisen, dass er seine Partei im Griff hat", erklärt Tzogopoulos im Gespräch mit der DW. Im Gegenzug hofft der Linkspremier nun auf eine Einigung mit den Geldgebern über die Freigabe von weiteren Kreditmilliarden.

Am Dienstag sollen die Euro-Finanzminister darüber beraten. Zudem bringt Tsipras Schuldenerleichterungen ins Gespräch - in Form von Zinssenkungen oder längeren Kreditlaufzeichen. Voller Optimismus kündigt das regierungsnahe Blatt Ethnos für Dienstag "einen Vorvertrag für die Schuldenregelung" an. Kritiker sehen keinen Spielraum dafür, da den Griechen ohnehin alle Tilgungszahlungen in diesem Jahrzehnt erlassen sind.

Buchhandlung Papasotiriou in Athen (Foto: DW/J. Papadimitriou)
Den berühmten Buchladen Papasotiriou gibt es nicht mehrBild: DW/J. Papadimitriou

Auch Politikwissenschaftler Tzogopoulos zeigt sich skeptisch: "Tsipras darf auf die Freigabe von Hilfsgeldern hoffen, aber eine umfassende Schuldenregelung ist wohl außer Reichweite. Am Dienstag wird es höchstens eine Zusage geben, dass die Geldgeber Griechenland im Auge behalten und die Tragfähigkeit seiner Schulden sicherstellen."

Wenn die Rente in weite Ferne rückt

Für Nikos Setfidis kommt jede Zusage wohl zu spät. Eigentlich wollte der 57-jährige in drei Jahren, also mit 60, in Rente gehen. Nach der jüngsten Rentenreform muss er mindestens noch zwei Jahre auf seine Pensionierung warten. Bis dahin gilt: Morgens um vier Uhr aufstehen und mindestens zwölf Stunden durcharbeiten.

"Immerhin kommt meine Tochter manchmal vorbei und hilft im Laden mit", freut er sich. Um die jungen Leute in Griechenland macht sich Setfidis große Sorgen: "Ich kenne einen älteren Kollegen, der von seiner eigenen Rente sogar die Rentenbeiträge seines Sohnes bezahlen muss, weil bei dessen Verdienst zu wenig übrig bleibt", sagt der Bäckermeister.