Reformen im Schneckentempo
28. Oktober 2015Es steht schwarz auf weiß im dritten Hilfspaket für Griechenland: Premier Alexis Tsipras verpflichtet sich zur Umsetzung von insgesamt 223 Spar- und Reformmaßnahmen bis 2018, die akribisch aufgeführt und mit genauen zeitlichen Angaben versehen sind. 48 dieser Auflagen sollten bis Mitte Oktober eingeleitet werden, damit die internationalen Kontrolleure mit der Überprüfung griechischer Reformbemühungen rechtzeitig beginnen und ihren Bericht bis Mitte November den Euro-Finanzministern vorlegen können. Im Gegenzug sollte Griechenland im Oktober eine erste Teil-Tranche in Höhe von zwei Milliarden Euro erhalten, eine weitere Milliarde wäre im November fällig.
Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" ist Griechenland jedoch im Verzug mit seinen Reformbemühungen und habe bisher nur 14 der 48 zugesagten Schritte in die Wege geleitet, an deren Umsetzung Kreditzahlungen gekoppelt werden.
In Athen löste der Bericht widersprüchliche Reaktionen aus: Noch am Dienstagmorgen versicherte das Finanzministerium, 90 Prozent der zugesagten Reformen seien doch bereits unter Dach und Fach. Wenige Stunden später hieß es, die Regierung würde ein Eilgesetz über alle ausstehenden Sparauflagen ins Parlament einbringen. Besonders umstrittene Sparauflagen würden allerdings ausgeklammert.
Für Dimitra Kada, Chefredakteurin des Wirtschaftsportals "Capital.gr", steht fest: "Athen wäre gut beraten, das in Aussicht gestellte Eilgesetz spätestens am Donnerstag einzubringen, da an diesem Tag die Euro-Arbeitsgruppe in Brüssel zusammenkommt, um bislang erreichte Reformfortschritte zu bewerten." Ein für Mitte Oktober angesetztes Treffen dieser Arbeitsgruppe war kurzfristig abgesagt worden, da Griechenland kaum Fortschritte vermelden konnte.
Linke Tasche, rechte Tasche
Der Grund für die Verzögerung: Zum einen, erklärt Dimitra Kada, seien die Reformen kompliziert und im Eiltempo kaum zu bewältigen, zumal die Regierung Tsipras verpflichtet sei, innerhalb kurzer Zeit auch die Versäumnisse aller Vorgängerregierungen nachzuholen. Zum anderen gebe es immer noch offene Fragen und heftige innenpolitische Reaktionen, etwa im Umgang mit faulen Krediten oder bei der neu eingeführten Umsatzsteuer auf Privat- und Sprachschulen. Für politischen Sprengstoff sorgen zudem die zugesagte Liberalisierung des Apothekerberufs, sowie die Abschaffung von Steuerprivilegien für Landwirte. Um negative Reaktionen abzumildern, hatte Linkspremier Tsipras im Wahlkampf versprochen, einige besonders umstrittene Sparmaßnahmen auf Eis zu legen und dafür "Maßnahmen gleicher Wirkung" einzuführen. Bei der Umsatzsteuer auf Privatschulen bedeutet dies beispielsweise, die ursprünglich eingeführte Steuerbelastung zurückzunehmen und durch eine andere Maßnahme zu ersetzen, die genauso viel Geld in die Staatskasse spült.
Wie diese Ersatzmaßnahmen aussehen und gegenfinanziert sind, wollte im Wahlkampf allerdings niemand verraten. Damit stehe die Regierung nun vor einem Problem, erklärt Alexis Papachelas, Direktor der Zeitung "Kathimerini". "Politisch argumentieren ist eine Sache. Eine ganz andere Sache ist es, mit korrekten Zahlen zu agieren", mahnt der Politik-Experte im TV-Sender Skai. Die Regierung bekomme heftigen Gegenwind bei der Umsetzung ihrer Politik und versuche deshalb zu lavieren, ein Gleichgewicht herzustellen. Dabei gelte das Prinzip "Linke Tasche, rechte Tasche". Manchmal mache das ganze Taktieren einen komischen Eindruck, jedenfalls erklärt sich dadurch auch die Verzögerung bei der Umsetzung zugesagter Reformen, meint Papachelas.
Tsipras wirbt um Unterstützung im Ausland
Beim Besuch des französischen Staatspräsidenten François Hollande in Athen am vergangenen Freitag brachte Linkspremier Tsipras das umstrittene Regelwerk zur Konsolidierung der Bankkredite offen zur Sprache und erklärte, er würde Griechenland nicht "in eine Vollstreckungsarena verwandeln". Dafür schien Hollande Verständnis aufzubringen: Er bat um "Flexibilität für Griechenland" - etwa bei der Frage, ab welchem Immobilienwert ein Schuldner vor der Zwangsvollstreckung geschützt wird. Vieles deutet darauf hin, dass Athen auch in Zukunft auf französischen Beistand setzen will. Weniger einfühlsam zeigte sich der Vizepräsident der EU-Kommission Valdis Dombrovskis bei seinem jüngsten Besuch in Athen. Er mahnte bei Reformen zur Eile, warnte indirekt vor einem Rückgriff auf Bankeinlagen und lehnte einen Vorschlag zur Rentenreform auf Kosten der Arbeitgeber ab. Die schlechte Presse ließ nicht lange auf sich warten: Als "lettischen Merkel-Gesandten" bezeichnete ihn eine linksliberale Zeitung.
Mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kündigt sich für Donnerstag ein weiterer hoher Gast an. In Griechenland spricht er mit führenden Politikern und bekommt zudem die Ehrendoktorwürde der Universität Piräus verliehen. Nach Informationen der Athener Zeitung "Ta Nea" will sein griechischer Amtskollege Nikos Kotzias nicht zuletzt die Entwicklung auf dem Westbalkan zur Sprache bringen.