Athen konfrontiert Steinmeier mit Reparationsforderungen
30. Oktober 2024Die griechische Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou hat gleich zum Auftakt ihrer Begegnung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden ihres Landes und an die Zwangsanleihe erinnert, die ihr Land seinerzeit an Hitler-Deutschland gezahlt hat. Das Problem der Kriegsentschädigungen und der Zwangsanleihe habe für das griechische Volk noch immer "eine sehr große Bedeutung", sagte Sakellaropoulou. "Ein Problem, das immer noch in der Schwebe ist", fügte sie in Athen hinzu. Dabei handelt es sich um eine Größenordnung - je nach Rechenweise - zwischen 278 und 341 Milliarden Euro.
Steinmeier: Frage der Reparationen völkerrechtlich abgeschlossen
Steinmeier bekannte sich zur deutschen Verantwortung für die "Grausamkeiten" vor und während des Zweiten Weltkrieges, betonte aber: "In der von Ihnen angesprochenen Rechtsfrage vertreten wir eine andere Auffassung. Sie wissen, dass Deutschland die Rechtsfrage der Reparationen für völkerrechtlich abgeschlossen hält. Aber gleichwohl stehen wir zu unserer historischen und moralischen Verantwortung."
Der Bundespräsident erinnerte unter anderem an den von Deutschland vorangetriebenen deutsch-griechischen Jugendaustausch. Er nannte die deutschen Verbrechen während der deutschen Besetzung Griechenlands "ein schwieriges Thema, das in der Gegenwart unserer Beziehungen noch immer eine Rolle spielt, dem wir nicht ausweichen dürfen, deshalb widme ich ihm auch Raum während dieses Besuches".
Überraschender Schachzug
Griechenlands Präsidentin nutzte bei ihrem Vorstoß den Umstand aus, dass die Journalistinnen und Journalisten, die über Steinmeiers Besuch berichten, bei den Eingangsstatements anwesend sein durften - was ausgesprochen unüblich war. Offenbar wollte sie das Thema, das in der griechischen Öffentlichkeit derzeit kaum eine Rolle spielt, gezielt lancieren. Möglicherweise hatte sie dabei auch ihre angestrebte Wiederwahl im kommenden Jahr im Blick.
Steinmeier war zwar darauf vorbereitet, dass die Reparations- und Staatsanleihenfrage bei seiner mehrtägigen Griechenland-Visite thematisiert werden würde. Er ging aber nicht davon aus, dass ihn Präsidentin Sakellaropoulou so öffentlich darauf ansprechen würde. Vielmehr rechnet er damit, dass dies ein Thema am Donnerstag bei seinem Besuch des Dorfes Kandanos auf Kreta werden wird, das im Juni 1941 von den deutschen Besatzern vollständig zerstört wurde.
Auch Ministerpräsident spricht Reparationen an
Auch als Steinmeier anschließend mit Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis zusammentraf, kam das Thema kurz zur Sprache. Sowohl die Wiedergutmachung als auch die Zwangsanleihe seien "noch sehr lebendig für Griechenland", sagte er. "Wir hoffen, dass wir es irgendwann einmal lösen werden können." Steinmeier erwiderte darauf im öffentlichen Teil des Treffens nichts mehr. Stattdessen lobte er die ökonomische Entwicklung Griechenlands seit der Finanzkrise und zeigte sich erfreut, dass das Land wieder auf einen wirtschaftlichen Wachstumspfad zurückgefunden hat.
Steinmeier würdigt deutsche Archäologen
Am zweiten Tag seiner Reise würdigte der Bundespräsident die Arbeit des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Athen. Dieses sei 150 Jahre nach seiner formellen Gründung weiterhin ein "wichtiger Akteur in der deutschen auswärtigen Kulturpolitik, an der Schnittstelle von Wissenschaft und Außenpolitik", sagte Steinmeier laut Redemanuskript.
Die Bewunderung für das antike Griechenland als "Wiege unserer liberalen Demokratien" sei bis heute "ungebrochen", so der Bundespräsident. Daneben erforschten die deutschen Archäologen aber auch aktuelle Themen wie den Klimawandel. Weiter hob das Staatsoberhaupt die "kritische Aufarbeitung" der eigenen Geschichte des DAI hervor.
1941 hatte die deutsche Wehrmacht im Zuge des Balkanfeldzugs Jugoslawien und Griechenland besetzt. Zehntausende griechische Juden wurden in deutschen Konzentrationslagern ermordet. "Es ist wichtig, dass wir uns erinnern. Erinnern an die Verbrechen, die Deutsche auch hier in Griechenland begangen haben und die in Deutschland kaum bekannt sind", so Steinmeier.
Steinmeier gedenkt griechischer Holocaust-Opfer
Bereits zum Auftakt seiner dreitägigen Griechenland-Reise hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier der griechischen Opfer des NS-Regimes gedacht. Gemeinsam mit seiner Kollegin Sakellaropoulou besuchte er das in Bau befindliche Holocaust-Museum in Thessaloniki, das Griechenland gemeinsam mit Deutschland errichtet. Neben einem Treffen mit israelischen Vertretern stand auch die Begegnung mit zwei Holocaust-Überlebenden auf dem Programm.
Das Museum entsteht an der Stelle des Bahnhofs, von dem im Zweiten Weltkrieg Zehntausende Juden die Fahrt in deutsche Konzentrationslager antraten. Steinmeier sprach von jenem Ort, an dem der "Horror" einst begann. Wer als deutscher Bundespräsident hier stehe und spreche, sei mit "Scham" erfüllt, so Steinmeier. Gemeinsam mit Sakellaropoulou pflanzte der Politiker anschließend symbolisch zwei Bäume.
Nur 12 Prozent überlebten
Vor dem Krieg zählte die jüdische Gemeinde in Griechenland rund 80.000 Mitglieder. Etwa 50.000 von ihnen lebten in Thessaloniki. Ab März 1943 wurden sie vorwiegend in das Vernichtungslager Auschwitz im besetzten Polen deportiert und dort ermordet. Nur etwa 12 Prozent überlebten den Holocaust.
Das Museum solle nicht nur eine Gedenkstätte für die Millionen Opfer werden, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Thessalonikis, David Saltiel. "Es soll zum Leuchtturm, zum leuchtenden Symbol gegen Rassismus und Antisemitismus werden, eine ständige Mahnung für die Werte der Menschlichkeit, der Toleranz und des friedlichen Zusammenlebens."
Tumultartige Szenen bei Besuch von Flüchtlingslager
Beim Besuch Steinmeiers in einem Flüchtlingslager in Malakasa nahe der griechischen Hauptstadt Athen kam es derweil zu tumultartigen Szenen. Hunderte Flüchtlinge empfingen ihn mit lautstarken "Ausweis, Ausweis"- und "Deutschland, Deutschland"-Rufen und folgten ihm hinter einem hohen Zaun bei seinem Gang durch Einrichtungen des Lagers. Einige von ihnen versuchten, bis zu Steinmeier durchzudringen. Sie wurden aber von Sicherheitskräften weit von ihm entfernt zurückgehalten.
Der Bundespräsident verkürzte angesichts der aufgebrachten Stimmung seinen Besuch um eine halbe Stunde. Er informierte sich in dem Lager über die Registrierung und Erstaufnahme von Flüchtlingen, die derzeit wieder vermehrt nach Griechenland kommen. Während im gesamten vergangenen Jahr 41.500 Neuankünfte gezählt wurden, sind es in diesem Jahr bereits mehr als 48.000. Für Griechenland mit seinen 10,5 Millionen Einwohnern stellen die über das Mittelmeer kommenden Migranten eine große Herausforderung dar.
kle/sti (afp, dpa, kna)