Griechenland hofft auf bessere Zeiten
19. August 2018Dieser Sommer sei ganz merkwürdig, meint Polyxeni Koutsantoni, Inhaberin einer Strandbar in Marathon, an der Ostküste Athens. "Im Juni hatten wir starke Regenfälle, Ende Juli wurde unsere Küstenregion von verheerenden Bränden geplagt und trotzdem habe ich den Eindruck, dass mehr Urlauber unterwegs sind und sogar etwas mehr Geld ausgeben", sagt sie im Gespräch mit der DW. Große Sprünge sind natürlich nicht drin. Eine sorglose Urlaubsstimmung wie damals, vor Ausbruch der Schuldenkrise, ist auch nicht ersichtlich. "Aber die Menschen fühlen sich etwas freier in letzter Zeit, das merkt man schon."
Seit 25 Jahren betreibt die energische Frau die Strandbar gemeinsam mit ihrem Mann. Die meisten Kunden sind Griechen, doch in letzter Zeit kämen auch Russen und Franzosen nach Marathon. Wenn es hektisch zugeht, müssen auch ihre drei Töchter an der Theke mithelfen. Neues Personal kommt nicht in Frage. "Gerade in Krisenzeiten soll man die Kosten in Schach halten", mahnt Koutsantoni. Und fügt mit einem Lächeln hinzu: "Kosten sparen und Geduld haben - so lautet mein Motto."
Ein Motto, das ebenso für ganz Griechenland gelten könnte, das am Montag aus dem Rettungsprogramm der Euro-Zone entlassen wird. Sämtliche Politiker in Athen und Brüssel erklären die Schuldenkrise zwar für beendet. Aber die Familienunternehmerin glaubt nicht, dass die Wirtschaftsprobleme des Landes tatsächlich gelöst sind. Bestes Beispiel: der Tourismus, der als wichtigste Säule der griechischen Wirtschaft gilt. Hier erzielt das Land ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung - Tendenz steigend. Doch die Steuern und Abgaben sind hoch. "Allein die Mehrwertsteuer auf unsere Dienstleistungen beträgt 24 Prozent, das hält doch niemand auf Dauer aus", klagt Koutsantoni.
Kürzungen ohne Ende für Rentner
Besonders harte Einschnitte mussten die Rentner in Hellas hinnehmen. Rentner wie Mary Tsoni, eine pensionierte Zahnärztin aus Athen: Insgesamt 35 Jahre hat sie in der eigenen Praxis und zudem für die einst größte Krankenkasse des Landes gearbeitet. Dadurch hat sie einen Rentenanspruch von mehr als 1.000 Euro monatlich begründet. Seit Ausbruch der Schuldenkrise ist ihre Rente allerdings um die Hälfte geschrumpft. Weitere Kürzungen drohen ab 2019, dazu kommt eine Senkung des jährlichen Steuerfreibetrags. Klagen will Mary Tsoni trotzdem nicht: "Immerhin habe ich Glück, weil meine beiden Kinder arbeiten und ihre Familien ernähren können", sagt sie der DW. In diesen Krisenzeiten ist das nicht selbstverständlich: Andere Rentner müssen mit ihrem knappen Einkommen noch ihren arbeitslosen Kindern oder Enkelkindern finanziell unter die Arme greifen.
Sie könne nur hoffen, dass Griechenland in Zukunft ein organisiertes und bezahlbares Sozialwesen bekommt, sagt die pensionierte Ärztin. Gewiss, viele Einzelpersonen und NGOs hätten in Krisenzeiten notleidenden Menschen geholfen. Sozialpolitik sei jedoch keine Frage der Barmherzigkeit, dafür müsse der Staat zuständig sein, meint die 80-Jährige.
Was nach dem beschlossenen Ende des Rettungsprogramms auf das Land zukomme, sei ihr ein Rätsel. Aber sie sei ein grundsätzlich optimistischer Mensch. "Es kann nur noch besser werden. Und ich will auch, dass es besser wird. Nicht wegen mir, ich habe ja mein Leben gelebt. Sondern wegen der jungen Menschen, die ihren Verpflichtungen nachkommen müssen, die Kinder großziehen, die irgendwann auch in Rente gehen."
Glas halbvoll oder halbleer?
Wer in der Causa Griechenland optimistisch sein will, hat gute Gründe dafür: Erstmals seit Ausbruch der Schuldenkrise hat die Wirtschaft im Jahr 2017 deutlich zugelegt. Für 2018 wird ein noch höheres Wachstum von zwei Prozent prognostiziert. Die Exporte sind im ersten Quartal 2018 um 13 Prozent gestiegen. Seit Jahren weist der Staatsaushalt einen sogenannten "Primärüberschuss" auf. Das bedeutet, dass der Fiskus mehr einnimmt, als er ausgibt - Zinszahlungen an die internationalen Geldgeber allerdings nicht mitgerechnet. Finanzminister Eukleid Tsakalotos verspricht einen noch höheren Überschuss von bis zu 5,2 Prozent bis 2022 und darüber hinaus. Das war Voraussetzung für die im Juni vereinbarten Schuldenerleichterungen für Griechenland.
Die Kehrseite der Medaille: Schuldenerleichterungen werden von neuen Sparrunden begleitet. Und bei allen Reformansätzen seit 2010 erreicht die Schuldenlast weiterhin knapp 180 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung - eine noch höhere Schuldenquote als vor der Krise. Also doch kein Grund zum Optimismus? Panagiotis Petrakis, Wirtschaftsprofessor an der Universität Athen, erklärt die scheinbar widersprüchlichen Wirtschaftsdaten so: "Wachstumsraten und Primärüberschüsse sind der Beweis dafür, dass die griechische Wirtschaft zur Normalität zurückkehrt, davon profitieren der Tourismus und die Bauwirtschaft. Doch unser Wirtschaftsmodell hat sich nicht geändert." Sollte es dabei bleiben, käme die Schuldenfrage spätestens nach 15 oder 20 Jahren erneut auf den Tisch.
Polyxeni Koutsantoni sieht jedenfalls Chancen für Hellas, zumindest im Tourismus-Geschäft: "Griechenland bedeutet nicht nur Strandurlaub, sondern hat noch viel mehr zu bieten - von den zahlreichen Wintersportzentren bis hin zum Religionstourismus."