Hilfe nicht um jeden Preis?
12. Juli 2015Ein einfaches "Nein" war die Antwort auf die Frage, ob es in der Euro-Zone noch Einigkeit in der Griechenland-Krise gibt. Joseph Muscat, der Premierminister des kleinsten Euro-Landes Malta, bestätigte, was nach stundenlangen Beratungen der Finanzminister der 19 Euro-Staaten nicht mehr zu verdecken war: Die Währungsunion ist tief gespalten, eine Einigung wird nur sehr schwer zu erreichen sein. Soll man mit Griechenland überhaupt noch über ein drittes Hilfpaket verhandeln oder das Land aus der Union ausscheiden lassen? Joseph Muscat ist im Prinzip dafür, Griechenland in der Euro-Zone zu halten. "Aber die Reformen, die vor zehn Tagen vielleicht noch ausreichend waren, reichen heute nicht mehr, weil sich die Verhältnisse in Griechenland auf so tragische Weise von Tag zu Tag verschlechtern."
Die griechische Regierung hat Hilfen aus dem europäischen Rettungsschirm ESM beantragt. Die Liste von Reformen und Sparmaßnahmen, die sie am Donnerstag vorlegte, reicht aber nach Auffassung von rund der Hälfte der Euro-Staaten nicht aus, um überhaupt die Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket aufzunehmen. Mittlerweile müsste das Hilfspakete für drei Jahre rund 80 Milliarden Euro umfassen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte moniert, dass das ganze neue Zahlen seien. Es nutze sich ja nichts, sich mit Berechnungen zufrieden zu geben, die nicht stimmen könnten.
Merkel: "Nerven sind gespannt"
Seine Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, wollte nicht vorhersagen, wie dieser zweite Sondergipfel der Euro-Staaten innerhalb einer Woche ausgeht. "Wir werden heute harte Gespräche haben", sagte sie vor Beginn der Beratungen. "Und es wird auch keine Einigung um jeden Preis geben. Ich weiß, dass die Nerven angespannt sind, aber es muss sichergestellt sein, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Und zwar sowohl für die Zukunft Griechenlands als auch für die Euro-Zone als Ganzes." Die Beratungen dürften sich bis in die Nacht ziehen.
Während Merkel einen Grexit nicht mehr ausschließt, fordert der französische Staatspräsident François Hollande, die Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland zu beginnen. Deutsche Vorstellungen von einem vorübergehenden "Grexit auf Bewährung" lehnte Hollande ab. "Hier geht es ja nicht nur darum zu bestimmen, was mit Griechenland passiert", sagte er. "Wir müssen zeigen, wie unsere Konzeption von Europa aussieht. Es kann nicht um nationale Interessen, sondern nur um europäisches Interesse gehen, das wir gemeinsam haben." Der Riss in der Euro-Zone geht also mitten durch das deutsch-französische Tandem.
Deshalb warnte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, eindringlich vor einem Scheitern der Gespräche oder gar einer erneuten Vertagung der Entscheidung. "Das ist nicht irgendeine Verhandlung. Das ist nicht irgendein Europäischer Rat. Das ist eine Zusammenkunft der Regierungschefs der Euro-Zone, die über die Zukunft Europas entscheidet", mahnte Schulz, der als Beobachter an der ersten Arbeitssitzung teilnimmt.
Tsipras gibt sich kompromissbereit
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat sich vor dem schickalsträchtigen Gipfeltreffen für sein Land noch einmal Rückendeckung in den USA geholt. Er telefonierte vor dem Start der Sitzung in Brüssel mit dem amerikanischen Finanzminister Jack Lew, der für den Zusammenhalt der Euro-Zone eintritt. Tsipras hatte sich nach der Vorlage der Reformliste auch noch einmal ein Mandat seines Parlaments eingeholt. Bei seinem kurzem Statement vor der Presse in Brüssel ließ er sich nicht anmerken, ob seine Nerven so angespannt sind wie die der Bundeskanzlerin. "Ich bin hier, um erneut einen Kompromiss einzugehen", sagte Tsipras. "Das schulden wir den Völkern Europas." Der Kompromiss könne aber nur gelingen, wenn alle Seiten ihn wollten, fügte er hinzu.
Zahlreiche Finanzminister und Regierungschefs hatten kritisiert, dass Griechenland im Grunde nur die Liste von Reformen wieder vorgelegt hat, die vor einer Woche in einem Referendum von der Bevölkerung auf Empfehlung der Regierung abgelehnt worden waren. Viele trauen Alexis Tsipras nicht zu, dass er hinter den Reformen steht und sie tatsächlich auch umsetzen will. Deshalb forderte der irische Ministerpräsident Anda Kenny, dass das Parlament in Athen schon am Montag eine ganze Reihe von Gesetzen auf den Weg bringen müsse. Auch der französische Präsident Hollande verlangte eine Art Vertrauensbeweis von der griechischen Seite. "Griechenland hat ja bereits aufgelistet, was seine Anstrengungen und Reformen sein sollen. Es ist jetzt nötig, dass Griechenland schnell demonstriert, dass es seine Anstrengungen verstärkt."
Als möglichen Ausweg haben die Euro-Finanzminister vorgeschlagen, dass Griechenland bis kommenden Mittwoch bereits entscheidende Gesetze zu Reformen im Parlament verabschieden muss. So könne die Regierung guten Willen zeigen und Vertrauen wiederherstellen. Erst danach wolle die Euro-Gruppe dann wirklich entscheiden, heißt es von EU-Diplomaten.
Vertagen als Ausweg?
Sollte der griechischen Regierung dafür erneut Zeit eingeräumt werden, dann müssten die 19 Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone sich erneut vertagen, um irgendwann nächste Woche eine Entscheidung über die Verhandlungen zu einem dritten Hilfspaket zu fällen. "Die können sich jetzt nicht vertagen", stieß EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hervor. Eigentlich hatten die Staats- und Regierungchefs bei ihrem letzten Sondergipfel am Dienstag festgelegt, dass Griechenland bis zum heutigen Sonntag die Bedingungen für ein drittes Programm erfüllen müsse. "Die Lage der EU ist zu dramatisch. Es geht um das Schicksal von Millionen Griechen", sagte Schulz.
Die Zeit drängt, denn in Griechenland bleiben die Banken geschlossen. Die Wirtschaft steht vor dem Kollaps. Am Montag wird eine weitere Kreditrate an den Internationalen Währungsfonds fällig, der Griechenland für zahlungsunfähig erklärt hat. Eigentlich hätte Griechenland dringend eine Übergangsfinanzierung nötig, um die nächsten Wochen zu überstehen.
Doch darüber sei offiziell noch gar nicht gesprochen worden, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. "Das wäre fünf Schritte weiter. Wir ja ganz am Anfang des Prozesses, um zu sehen, ob Europa bereit ist die Verhandlungen über ein Rettungsprogramm überhaupt zu eröffnen. Der Moment für andere Schritte ist noch nicht da."
Ringen "bis zur letzten Sekunde"
Sollten sich die 19 Staats- und Regierungchefs gegen ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland entscheiden, wäre zumindest de facto ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone nicht mehr aufzuhalten. Die Europäische Zentralbank wäre dann gezwungen, die griechischen Banken endgültig pleite gehen zu lassen.
Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, der sich als Vermittler bemüht hatte und persönlich von Premier Tsipras schwer enttäuscht ist, will trotzdem weiter für den Zusammenhalt der Währungsunion kämpfen. "Wir werden heute bis zur letzten Millisekunde arbeiten. Ich befinde mich in gehobenem Kampfesmut. Wir werden, wie ich hoffe, zu einer Lösung kommen."
Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hatte vor dem Gipfel schon einmal per Zeitungsinterview angekündigt, er wolle den sturen Deutschen die Meinung sagen. Beim Eintreffen am Ratsgebäude in Brüssel beherrschte er sich noch. Er zeigte sich genervt, von der Dauerdiskussion um Griechenland. "Wir können nicht immer nur über ein Land reden. Europa wird gebraucht bei der Bewältigung aller möglichen Krisen." Renzi erinnerte an den Krieg in der Ukraine, die Atomverhandlungen mit dem Iran und die Bedrohung durch islamistischen Terror.