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Politik

Griechenland - Ein Land der Demos

Florian Schmitz Thessaloniki
12. Dezember 2018

Demonstrieren ist Tradition in Hellas. Vor allem linke Jugendliche machen so auf sich aufmerksam. Doch immer weniger Menschen gehen auf die Straße - und bekommen Konkurrenz von rechts.

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Demo-Kultur in Griechenland
2011: das Jahr, als Demonstranten die Strassen Athens bevölkerten Bild: Christos Avramidis

"Es gibt da dieses Foto von einer Schüler-Demo gegen die Einigung im Namensstreit mit Mazedonien. Da reitet ein Junge auf einem Pferd, um die Schultern trägt er die griechische Flagge und schaut auf sein Handy", schmunzelt Alexandra Koronaiou. "Ein Jugendlicher, der auf der einen Seite Alexander den Großen gibt und gleichzeitig im Internet surft - sehr symbolisch für das heutige Griechenland." Die Soziologin ist Professorin und Dekanin am Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Athen. Seit 2011 forscht sie in Zusammenarbeit mit 14 europäischen Hochschulen zum Thema jugendlicher Rechtsruck.

Gerade der Streit mit Mazedonien und die Flüchtlingskrise habe den Ultrarechten Aufwind gegeben. Dabei seien es in Griechenland traditionsgemäß Linke, die sich regelmäßig zum öffentlichen Protest versammeln. Und nicht nur zu aktuellen Anlässen, sondern auch in Gedenken an wichtige, historische Ereignisse. "Es gibt in Griechenland eine Art Demonstrations-Kultur, die von der Linken ausgeht und eng zusammenhängt mit der Diktatur. Damals waren Demonstrationen verboten und dann gab es den Aufstand am polytechnischen Institut in Athen 1973."

Demo-Kultur in Griechenland
"Alexander der Große" - mit HandyBild: ProNews

Ich demonstriere, also bin ich

Als die Militärjunta diesen Aufstand blutig niederschlug, besiegelte sie damit ihr eigenes Ende. Die beteiligten Studenten wurden zu Gründungshelden des postdiktatorischen Griechenlands. Seitdem ist der Campus polizeifreie Zone. Politische Studentenvereinigungen jeglicher Couleur sind hier zugegen. Doch die Banner mit Aufrufen zu Demos gehen nahezu alle auf linke Gruppierungen zurück. Solidaritätsbekundungen mit anarchistischen Genossen, Forderungen nach freier Bildung und besseren Lernbedingungen an den Unis und immer wieder die Parole: Schluss mit dem Kapitalismus!

Christos Avramidis ist Doktorand der Politikwissenschaften und linker Aktivist. Er kennt die Szene und geht regelmäßig protestieren. Für ihn nicht nur Ausdruck einer politischer Gesinnung, sondern Baustein des gesellschaftlichen Lebens. "Das Bewusstsein von Millionen von Menschen wird nicht allein durch die Mechanismen und die Ideologie des Staates oder durch die Medien geprägt. Wichtig ist vor allem, am politischen Leben teilzunehmen und sich gemeinsam an Ereignisse zu erinnern, in denen man zusammen gekämpft hat."

Demo-Kultur in Griechenland
Griechenland hat eine Demonstrations-Kultur - eine, die von der Linken ausgehtBild: DW/F. Schmitz

Das Ritual des öffentlichen Protestes sei in Griechenland eher kulturell verankert, als in anderen europäischen Ländern, erklärt Koronaiou. Heute sei dies nicht zuletzt Ausdruck eines inneren Ungleichgewichts: "In Griechenland haben wir ein Identitätsproblem. Es gibt da diesen Konflikt mit dem antiken Griechenland, das man ruhmreich in den Schulbüchern darstellt. Doch die Realität der jüngeren Geschichte dreht sich viel mehr um politische und wirtschaftliche Probleme. Wenn man heute in den Spiegel schaut, dann sieht man keinen antiken Griechen, sondern einen Menschen mit den Problemen unserer Zeit."

Krise nach der Krise

Gerade die jungen Griechen können mit den optimistischen Prognosen ihres Ministerpräsidenten oder seiner europäischen Kollegen nichts anfangen. Perspektivlosigkeit, Massenabwanderung, Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne: Von Aufschwung ist kaum etwas zu spüren. Betroffen ist vor allem die Mittelklasse, jene Familien, die ihre Kinder in die Universität schicken und für die Selbstwahrnehmung des Landes eine entscheidende Rolle spielen. Depression macht sich breit. Die Motivation, ein besseres Leben vor Ort zu schaffen, schwindet. Für Koronaiou ist dies Grund zur Sorge: "Diese Jugendlichen sehen sich selbst nicht mehr in Griechenland. In einigen Fällen wird das auch von den Eltern unterstützt, die sagen: Geh und schaue nicht zurück."

Demo-Kultur in Griechenland
Alexandra Koronaiou ist Soziologin und erforscht, warum Jugendliche nach rechts rückenBild: Press Publica

Untersuchungen zeigen: Die meisten Jugendlichen in Griechenland glauben an Demokratie und freie Wahlen. Gleichzeitig fehle ihnen das Gefühl, Einfluss nehmen zu können auf die herrschenden Zustände. "Die gegenwärtigen Kundgebungen sind vor allem von Emotionen gelenkt. Es herrscht große Wut. Aus unserer Forschung wissen wir, dass die Jugend neue Formen des Ausdrucks sucht, nicht nur in Griechenland, sondern überall in Europa. Sie wollen nicht einfach Unterschriften sammeln, sondern sehr viel direkter Einfluss nehmen." Dabei sei auch ein Negativtrend zu beobachten. Auch wenn die Medien immer wieder von Ausschreitungen linker Demonstranten berichten, sei die Anzahl der Teilnehmer an den linken Demonstrationen stark rückläufig.

Ultrarechte entdecken eine Tradition

Davon profitieren vor allem ultrarechte Gruppierungen. Vermehrt versuchen diese, den öffentlichen Raum für sich zu beanspruchen. Mit den wirtschaftlichen Problemen der Krise haben Parteien wie die faschistische Goldene Morgenröte an Anhängern gewonnen. Die Flüchtlingsthematik und der Hass auf Ministerpräsident Alexis Tsipras aufgrund der Einigung im Namensstreit mit Mazedonien sorgen für weiteren Aufwind. Immer häufiger komme es zu ernsthaften Ausschreitungen durch rechte Demonstranten, weiß auch der Journalist Kostas Koukoumakas. Es seien zumeist kleine Gruppen, die jedoch genau wüssten, wie man die Aufmerksamkeit auf sich lenkt.

Dass selbst Gymnasialschüler auf die Straße gingen und nationalistische Parolen brüllten, sei auf den Einfluss dieser Gruppierungen zurückzuführen, sagt Koukoumakas: "Es ist einfach, Schüler für sich zu gewinnen und sie auf die Straße zu schicken, gerade wenn es um Tabuthemen wie die Mazedonien-Frage geht. Dahinter stehen Parteien wie die Goldene Morgenröte, aber auch Teile der konservativen Oppositionspartei Nea Demokratia in Nordgriechenland." Eltern und Lehrer, die entweder gegen die Einigung mit Mazedonien sind oder denen es schlichtweg egal sei, würden die politische Einflussnahme tolerieren. Für die Schüler ginge es oft einfach darum, einen Tag Schule zu schwänzen.

Demo-Kultur in Griechenland
Alltag an griechischen Universitäten - Linke rufen zu Protesten aufBild: DW/F. Schmitz

Alexandra Koronaiou kann dies bestätigen: "Die Goldene Morgenröte geht nicht nur in Schulen, sondern auch etwa in Sportvereine, wo sie die Jugendlichen direkt erreichen und ihre politische Gesinnung verbreiten." Dass dies Erfolg hat, hängt für Koronaiou vor allem mit einem Gefühl der Machtlosigkeit zusammen: "Das Problem ist, dass die Politik den jungen Menschen nicht zuhört. Sie verstehen nicht, dass es ihnen nicht reicht, einmal alle vier Jahre ein Kreuz zu machen." Viele Linke haben die Hoffnungen auf eine politische Wende längst aufgegeben - und überlassen dabei den Ultrarechten die ur-linke Tradition des Protestes im öffentlichen Raum.

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Florian Schmitz Reporter mit Schwerpunkt Griechenland