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Griechenland vor der Wahl

Konstantinos Symeonidis 28. August 2015

In Griechenland wird es am 20. September Neuwahlen geben. Trotz der Spaltung der bisher regierenden Syriza gilt ihr Chef Alexis Tsipras als großer Favorit. Er wird den Weg der Reformen fortsetzen, meint Heinz-Jürgen Axt.

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Alexis Tsipras im Parlament (Foto: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images)
Alexis Tsipras im ParlamentBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Deutsche Welle: Herr Axt, bereits Mitte Juli hatten Sie Neuwahlen prophezeit. War dies unvermeidbar?

Heinz-Jürgen Axt: Es war zu erwarten, weil die Tendenzen in Griechenland und auch die Umschwünge, die erfolgt sind, so heftig gewesen sind, dass man davon ausgehen konnte, dass etwas passiert.

Alexis Tsipras implementiert einerseits das Gegenteil dessen, was er versprochen hat. Andererseits gibt es die Syriza wie bei den letzten Wahlen nicht mehr, weil sich der linke Flügel unter Lafazanis abgespalten und eine eigene Partei gegründet hat. Glauben Sie, dass Syriza und Alexis Tsipras trotzdem aus den Wahlen gestärkt hervorgehen werden?

Es gibt schon erste kleine Umfragen, die zeigen, dass Syriza ein Stück weit gegenüber den letzten Wahlen verliert, einfach weil Lafazanis mit seiner Parteigründung Syriza Stimmen wegnehmen wird. Aber soweit andere Umfragen herangezogen werden können, sieht man, dass Tsipras immer noch sehr populär ist. Ich kann das auch gut nachvollziehen. Es gibt nach meiner Beobachtung ziemlich großen Unmut in der Bevölkerung gegenüber der politischen Klasse in Griechenland überhaupt.

Heinz-Jürgen Axt (Foto: Nemanja Rujević/dw)
Heinz-Jürgen AxtBild: DW/N Rujevic

Und Tsipras macht jetzt eigentlich so einen Tanz auf der Rasierklinge. Auf der einen Seite präsentiert er sich als derjenige, der unter dem Druck der Gläubiger für Griechenland noch das Beste herausgeholt hat. Und auf der anderen Seite muss er, wenn er tatsächlich Griechenland in relativ ruhiges Fahrwasser bringen möchte, auch gegenüber dem Ausland das Memorandum umsetzen. Das ist tatsächlich ein Husarenstück. Ich denke, dass bei den Neuwahlen im September Tsipras noch nicht entzaubert wird. Aber wenn Steuererhöhungen, wenn Rentenanpassungen und alle anderen Reformen greifen, dann werden sich die Griechen sicherlich auch von ihm ein Stück weit enttäuscht abwenden.

Wie wird diese Wahl also ausgehen? Welche möglichen Regierungskonstellationen stehen uns bevor?

Es scheint so zu sein, dass wir eine Vielzahl von Parteien haben, die möglicherweise die Dreiprozenthürde überspringen. Natürlich, die beiden größten Syriza und Neue Demokratie, aber auch To Potami, die Kommunisten (KKE), PASOK oder auch die Lafazanis-Partei und ANEL dürften Chancen haben, ins Parlament zu kommen. Aber, das bedeutet natürlich, dass wir auch für griechische Verhältnisse ein ganz ungewohntes Bild haben, dass wir nämlich eine Vielzahl von Parteien, sechs bis acht vielleicht, im Parlament haben werden. Wenn man eine stabile Regierung haben möchte, dann müsste man in Griechenland eigentlich darüber nachdenken, eine große Koalition zwischen der Neuen Demokratie und Syriza zu bilden. Diese wäre zumindest außenpolitisch in Bezug auf die Politik gegenüber den Gläubigern vertrauenswürdig, aber natürlich innerlich sehr stark mit Spannungen gesegnet. Denn es ist vollkommen klar, dass Meimarakis und Tsipras nicht gerade die besten Freunde werden können, weil sie sehr unterschiedliche Ziele verfolgen.

Halten Sie es für möglich, dass Syriza alleine regieren kann?

Das glaube ich eigentlich nicht. Beim letzten Mal hatte Syriza 36 Prozent, brauchte aber für die absolute Mehrheit noch ANEL. Ich schätze, dass werden jetzt vielleicht sieben, acht oder neun Prozent sein, die Syriza verlieren wird, zum einen wegen der neuen Partei von Lafazanis. Man hört aber auch, dass die Parlamentspräsidentin eine eigene Partei gründen will. Dann gibt es auch offensichtlich große interne Zwistigkeiten und Spannungen innerhalb von Syriza. Insofern sehe ich die Chance, dass Syriza allein regiert, nicht.

Glauben Sie, dass eine Partei die offen für einen Grexit plädiert, wie die neue Partei von Herrn Lafazanis, eine echte Chance beim Wahlvolk hat? Anders gefragt, wer wählt eine Partei die den Austritt aus dem Euro bevorzugt?

Das sind wahrscheinlich systemkritische Griechen, die sozusagen antikapitalistische Positionen vertreten, die gegen die Orientierung an der EU sind, also sozusagen ein Sammelbecken von all dem. Man kann meiner Ansicht nach die Lafazanis-Partei vergleichen mit der Kommunistischen Partei Griechenlands, KKE, nur Lafazanis ist eleganter, modischer und vielleicht auch moderner als sie. Die KKE erscheint eher als verstaubt und rückwärtsgewand. Lafazanis ist da mit seinen Getreuen weit offener und stellt sich den Fragen flexibler. Aber im Grunde genommen ist es die Frage: Wir treten gegen das System insgesamt auf. Nicht so wie Tsipras, der versucht, im System das Beste für sich und wie er behauptet, für die Griechen herauszuholen, sondern das sind Positionen, die gegen das System insgesamt gehen.

Panagiotis Lafazanis (Foto: EPA/ORESTIS PANAGIOTOU)
Bildet eine neue linke Partei - Panagiotis LafazanisBild: picture-alliance/epa/O. Panagiotou

Abgesehen von den gravierenden Veränderungen, die die Krise in Griechenland in der Wirtschaft und in der Gesellschaft hervorgebracht hat, hat sich auch die politische Landschaft enorm umgekrempelt. In Griechenland gibt es nun mehr kein Zwei-Parteien System, Regierungskoalitionen scheinen zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Parteien müssen miteinander reden, verhandeln und einen gemeinsamen Nenner finden, um regieren zu können. Beides war unvorstellbar bis von ein paar Jahren, bis vor der Krise. Ist in diesem Sinne die Krise eine Bereicherung für die politische Kultur Griechenlands?

Das kann durchaus ein Reinigungsprozess sein. Diese Chance sehe ich durchaus. Dass Griechenland bisher keine Zwangsbildung von Koalitionen kennengelernt hat, war eher eine Ausnahmesituation, wenn man sich das in Europa insgesamt anschaut. Wir haben ja Verhältniswahlrecht, wir haben kein Mehrheitswahlrecht. Trotzdem war es in Griechenland immer so, dass es relativ einfach war, Mehrheiten zu finden und auch die Wähler haben insofern relativ klare Entscheidungen getroffen. Das macht die Tiefe der Krise, eben nicht nur ökonomisch und finanziell, sondern auch in Bezug auf die politische Orientierung, die politische Kultur insgesamt aus. Bei den Menschen entwickeln sich sehr unterschiedliche Sehnsüchte und sie finden sich den großen Parteien kaum noch wieder, derzeit mit Ausnahme von Syriza und Neue Demokratie. Insofern sehe ich die Koalitionsbildung durchaus als einen Schritt in Richtung einer moderaten Modernisierung in Griechenland. Ich darf daran erinnern, dass Anfang der 90er Jahre, nachdem die PASOK ihre ganzen Skandalgeschichten hatte, wir auch mal eine All-Parteien-Regierung hatten. Die dauerte damals nur einige Monate. Dann kam die Neue Demokratie an die Macht. Aber das scheint mir nicht mehr die Situation zu sein, sondern wir haben hier wirklich eine vollkommen neue Situation, was die politische Positionierung in Griechenland angeht.

Prof. Heinz-Jürgen Axt ist Politologe und Südosteuropaexperte. Bis zu seiner Emeritierung war er an der Universität Duisburg-Essen Innhaber des Lehrstuhls für Europäische Integration und Europapolitik.