Griechenland ab jetzt Chefsache
23. März 2015Der Umgang mit dem vermutlich schwierigsten Euro-Patienten aller Zeiten ist nicht nur eine Angelegenheit von Finanzexperten. Die Therapie der griechischen Wirtschaftsmisere, das erklärte Ziel der EU, ist vor allem reine Nervensache. Nicht nur der strenge deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble ist fassungslos über den laxen Umgang der neuen griechischen Regierung mit den Anforderungen aus Brüssel angesichts des drohenden Finanzinfarkts. Auch die kleineren EU-Mitglieder ballen schon seit langem die Faust in der Tasche, wenn Athen mal wieder nicht liefert, was vertraglich vereinbart und mit einem Stichtag versehen ist. Insbesondere die EU-Rekonvaleszenten Irland und Portugal, die dem plötzlichen Finanztod schon einmal ganz nahe gekommen sind und sich schmerzvoll aus der Krise hochrappeln mussten, haben die Faxen aus Hellas langsam satt.
Der Showdown ist unvermeidlich. Alle Augen sind nun auf Berlin gerichtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel empfängt an diesem Montag den griechischen Premier Alexis Tsipras - der Primus der EU nimmt sich das Sorgenkind vor. Nicht nur, weil Deutschland das ökonomische Schwergewicht der EU ist, sondern auch aus politischen Gründen. Ganz in der Tradition Helmut Kohls will Merkel den Euro retten und damit die EU zusammenhalten. Eine Probe aufs Exempel für die neue deutsche Außenpolitik, die nicht mehr nur mitmachen will, sondern nun auch vorangehen möchte. Griechenland ist nun Chefsache, denn auf der Fachebene der Finanzminister Wolfgang Schäuble und Yanis Varoufakis ist das Arbeitsklima schon seit Wochen ruiniert. Merkel will die scheinbar ausweglose Situation nun richten.
Griechenlands systemische Schwächen
Alexis Tsipras, der griechische Regierungschef, bringt etwas mit nach Berlin. Noch eilig am Wochenende vom Parlament verabschiedet, soll nun ein neues Steuergesetz für mehr Geld in der klammen Staatskasse sorgen. Rund 3,7 Millionen Griechen schulden ihrem Land noch Steuern und Sozialabgaben, fast 450.000 Unternehmen ebenso. In toto schädigt das den Haushalt in Athen um rund 76 Milliarden Euro. Knapp neun Milliarden davon sollen jetzt mit einem Kunstgriff eingesammelt werden. Wer bis Ende März zahlt, dem werden Bußgelder und Zinsen erspart, Ratenzahlung ist inklusive. Die Operation "ehrlicher werden" läuft.
Das Thema Steuern ist in Griechenland ein besonders heikles und lässt zudem tiefe Einblicke in die Seele seiner Bewohner zu. Seit langem verwurzelt in der griechischen Gesellschaft ist die Vermeidung von Staatsabgaben. Im Dienstleistungsbereich werden besonders häufig "Steuern gespart". Die Mehrwertsteuer führen viele Griechen bestenfalls unvollständig ab. 2010 hat die Regierung sie von 19 auf 23 Prozent erhöht, doch wenn sie davon kaum etwas bekommt, bleibt der Effekt aus. Griechenland ist zudem ein Land, dem Quittungen und elektronische Belege für Zahlungen weitgehend fremd sind. Geradezu Volkssport ist hingegen die Kapitalflucht. Milliarden Euro haben seit Ausbruch der Krise 2010 das Land Richtung Zypern und Schweiz verlassen.
Spitzenverdiener werden dabei steuerlich geschont. Während die Geringverdienenden seit 2010 über 300 Prozent mehr Abgaben an den Staat berappen müssen, kommen Millionäre und Milliardäre mit läppischen neun Prozent Steuererhöhung billig weg. Mit 175 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist das Land aktuell verschuldet. Und trotzdem wird es denen, die investieren wollen, nicht leicht gemacht. Nirgendwo in der EU ist die Unternehmensgründung so zeitraubend und kompliziert. Auf der anderen Seite haben rund 230.000 Firmen seit Beginn der Krise vor fünf Jahren bankrott gemacht.
Ein Kernproblem Griechenlands ist der ausufernde Hang, Wohlfahrtsstaat sein zu wollen. Jeder fünfte Arbeitsplatz ist im öffentlichen Dienst angesiedelt. Seit den 1980er Jahren zeigt sich der Staat großzügig gegenüber seinen Bürgern. Besonders krasse Beispiele: Rentner haben 14 Monatsrenten im Jahr erhalten und Angestellte des Parlaments 16 Monatsgehälter. Vor diesem Hintergrund empfinden viele Griechen die harten Sparmaßnahmen nun als Zumutung. In den vergangenen fünf Jahren wurden 370.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen und nur jede fünfte durch Pensionierung freigewordene Stelle wieder neu besetzt.
Deutschlands Haushaltsdisziplin
Jetzt sind nicht nur deutsche Politiker zunehmend erbost über das saloppe Auftreten, das sich Griechenland gegenüber den Kreditgebern leistet. Auch der normale Deutsche begegnet den Griechen inzwischen mit Vorbehalten. Gerade mal ein Drittel der Bundesbürger äußert Verständnis für einen Aufschub bei Kreditrückzahlungen. Sogar 80 Prozent halten das beliebte Urlaubsland für nicht mehr vertrauenswürdig. Und sollte Athen den Sparauflagen nicht nachkommen, wären fast zwei Drittel der Befragten für einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion. Die Deutschen, mit 27 Prozent größter Kreditgeber und somit Garant für die europäischen Rettungsmaßnahmen, verlieren gegenüber dem griechischen Krisenmanagement langsam ihren sowieso schon seltenen Humor.
Vor allem Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister steht für das Austeritätsprinzip. Der Begriff kommt ausgerechnet aus dem Altgriechischen und bedeutet Strenge, Entbehrung, Sparsamkeit. Staatsökonomen meinen damit einen ausgeglichenen Haushalt, der ohne Neuverschuldung auskommt. Schäuble hat das tatsächlich geschafft. Mit Sparvorgaben, mit Disziplin und vor allem mit Regeln.
Und genau die scheinen griechische Regierungen seit Jahrzehnten nicht zu kennen. "Die Griechen sind ein Volk", behauptet Jens Bastian, "das sich die Regelverletzung zur Regel gemacht hat". Der promovierte Ökonom muss es wissen. Seit 1998 lebt der Deutsche in Athen, die griechische Krise identifizierte er schon 2010 als hausgemacht. Und den Umgang mit derselben hält er für geradezu infantil. Das griechische Leben nach dem Prinzip "kaufe jetzt, zahle später" steht vor seinem Ende. Angela Merkel wird Alexis Tsipras kaum etwas anderes mitteilen können.