Deutschland macht dicht - ein Gedankenspiel
18. Februar 2016Früher gab es hier eine "Grüne Grenze". Nun trennen fast vier Kilometer Stacheldrahtzaun den südösterreichischen Ort Spielfeld vom Nachbarland Slowenien. Für Flüchtlinge ist die Weiterreise hier deutlich schwieriger geworden. Bald schon könnte die ganze Südgrenze Österreichs so aussehen: Denn die Regierung in Wien setzt jetzt auf eine deutlich restriktivere Flüchtlingspolitik: mit Grenzzäunen und Obergrenzen. "So lange es keine europäische Lösung gibt, ist es eine Frage der Vernunft, die eigenen Grenzen zu sichern", so Österreichs konservative Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.
Österreichs Abschottung - vorerst keine Auswirkung auf Deutschland
Österreich macht nun vor, was es heißt, eine Kehrtwende im Flüchtlingskurs zu vollziehen: Künftig dürfen nur noch 80 Menschen pro Tag an der Grenze einen Asylantrag stellen, maximal 3200 Flüchtlinge dürfen das Land passieren, um dann in Nachbarländer wie Deutschland weiterzuziehen. Für die Deutschen ändert sich demnach nicht viel. Wenn täglich 3200 Menschen durch Österreich hindurch ins Bundesland Bayern kämen, wären das weiterhin über eine Million Menschen pro Jahr.
Nationale Alleingänge als Notlösung, weil sämtliche europäische Bemühungen bisher gescheitert sind? Nach Ansicht der EU-Kommission verstößt die Begrenzung der Zahl von Asylanträgen gegen internationales Recht, da sie nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sei.
Dennoch dürfte in Deutschland so mancher Kritiker des offenen Flüchtlingskurses von Kanzlerin Angela Merkel aufgehorcht haben und sich zu einem Gedankenspiel inspiriert gesehen haben: Was wäre, wenn auch Deutschland seine Grenze schrittweise abriegelt?
Dazu bräuchte es, ähnlich wie in Österreich geplant und in Ungarn bereits umgesetzt, zunächst eine klar markierte Grenze. Sämtliche Verkehrswege - also auch Trampelpfade durch den Wald und andere "Grüne Grenzen" - müssten aufwändig überwacht werden. Dazu bräuchte man Hunderte von zusätzlichen Grenzpolizisten. Das kostet Geld und einige Anlaufzeit - und wirklich absichern lässt sich eine Grenze letztlich nur durch einen militärisch überwachten Zaun. "Grenzkontrollen sind nur dann überhaupt realisierbar, wenn sie von erheblichen Grenzsicherungsmaßnahmen begleitet werden", so Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück im DW-Gespräch.
(Schreckens-)Szenario Zaun
Denn Menschen auf der Flucht lassen sich nicht von Grenzen abhalten. Die Erfahrung zeigt, dass Flüchtlinge immer neue, teils gefährliche Wege und Schlupflöcher finden, um doch in ein bestimmtes Land zu gelangen.
"Wenn es allerdings darum geht, solche Bewegungen aufzuhalten, dann sind wir mit massiven Problemen konfrontiert", sagt Oltmer. Grenzen funktionieren nur dann als Bollwerke, wenn Staaten bereit sind, Waffengewalt anzuwenden. Also in letzter Konsequenz auch auf Menschen schießen würden, die trotz aller Hindernisse versuchen, die Grenze zu überwinden. Das war bei der innerdeutschen Grenze der Fall, welche die DDR in einen "Todesstreifen" verwandelt hatte, und ist es heute noch an der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea sowie zwischen den Palästinensergebieten und Israel.
Eine weitere heikle Frage: Was passiert mit den Menschen, die versuchen, illegal über denn Zaun zu klettern und von einem Grenzpolizisten aufgehalten werden? Man müsste sie - gemäß Dublin-Abkommen - konsequent in das EU-Land zurückschicken, in dem sie zuerst registriert wurden. "Das wäre jedoch eine reine Problemverlagerung", so Oltmer, "Deutschland wälzt damit am Ende die Verantwortung auf andere Staaten ab."
Worst Case-Szenario: Flüchtlingsland Griechenland
Die österreichische Innenministerin Mikl-Leitner hofft indes auf genau jenen "Domino-Effekt": Dass weitere Länder auf der Balkanroute ebenfalls ihre Grenzen dicht machen und so von vorne herein dafür sorgen, dass weniger Flüchtlinge in Zielländern wie Österreich oder Deutschland ankommen.
Je mehr Kontrollen und Grenzschließungen es jedoch gibt, desto weiter verlagert sich das Problem auf angrenzende Staaten, prognostiziert Migrationsforscher Oltmer. Schon jetzt staut sich der Flüchtlingsstrom in Slowenien auf der anderen Seite des abgeriegelten Grenzorts Spielfeld. Würde Deutschland ebenfalls nur noch bestimmte Tageskontingente von Flüchtlingen ins Land lassen, müssten die anderen jenseits der Grenze in Österreich ausharren. Rückstaus in riesigen Auffanglagern wären die Folge. "Damit ist kein Problem gelöst", kritisiert Oltmer.
Grenzen sind am Ende eine Lösung zu Lasten Dritter: Ein Worst-Case-Szenario könnte ein riesiges Auffanglager in Griechenland sein. "Wenn wir hier nicht Lösungen schaffen, wird das im wirtschaftlich destabilisierten Griechenland zu einer humanitären Katastrophe führen", fürchtet der Osnabrücker Migrationsforscher.
Auch für die Wirtschaft bliebe eine Abschottung wohl nicht ohne Folgen: Durch Grenzkontrollen kann ein erheblicher Schaden entstehen. So schätzt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, dass eine Stunde mehr Wartezeit pro Lastwagen an der Grenze zu jährlich drei Milliarden Euro Verlust in Europa führen kann.
Neue Grenzen führen zu neuen Flüchtlingsrouten
Letztlich lässt sich das zentrale Ansinnen von Grenzen - Menschen an der Einreise in ein Land zu hindern - aber wohl kaum mit Grenzzäunen und strikteren Kontrollen alleine beantworten.
Die Flüchtlingsrouten auf dem Balkan im vergangenen Jahr zeigen: Immer wenn Grenzen geschlossen wurden, hat das zu einer Verlagerung der Fluchtrouten geführt - nicht zu einem Ende der Fluchtbewegung. Führt eine Route in eine Sackgasse, suchen Flüchtlinge andere, teils beschwerlichere Wege, um in Schutzstaaten wie Deutschland zu gelangen.
Sollten die EU-Außengrenzen zwischen Griechenland und der Türkei tatsächlich, wie von vielen EU-Politikern gefordert, strenger gesichert werden, verlagert sich das Problem weiter in die Türkei, wo bereits jetzt zwei Millionen Schutzsuchende mehr schlecht als recht leben.
Zudem gibt Migrationsforscher Jochen Oltmer zu Bedenken: "Wir können davon ausgehen, dass es bei massiven Grenzsperren in Europa zu einer starken Destabilisierung der Erstaufnahmeländer wie dem Libanon oder Jordanien kommen wird." Und je instabiler der Nahe Osten, desto mehr Menschen sind auf der Flucht. Jahrzehntelang habe Europa eine "Kultur des Wegsehens" praktiziert und sich einfach nicht für die Flüchtlingsbewegungen etwa im Nahen Osten interessiert. Sollte Deutschland sich abschotten, ähnlich wie Österreich es nun versucht, könnten in der Folge langfristig noch mehr Flüchtlinge kommen, warnt Oltmer daher.