Grenze zu - Geschäft dicht
24. Oktober 2015Regina Pichler wirkt eigentlich nicht wie jemand, der leicht verzweifelt. Ganz im Gegenteil: Seit ihrer Kindheit arbeitet sie in der familieneigenen Gärtnerei in Freilassing. Den Laden hat sie im Griff. Dennoch graben sich in den letzten Wochen tiefe Sorgenfalten in das Gesicht der rüstigen Endfünfzigerin. So schlimm wie jetzt war die Situation noch nie: "Es kommen einfach weniger Österreicher zum Einkaufen." Der Umsatz sei um mehr als die Hälfte eingebrochen.
Grund sind die wiedereingeführten Grenzkontrollen und deren Folgen. Denn alleine im Monat September sind 225.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, ein Großteil über die österreichisch-deutsche Grenze bei Freilassing. Im Schnitt kommen hier an einem Wochenende bis zu 15.000 Menschen an. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl der Kleinstadt. Die Behörden waren überfordert, forderten Unterstützung vom Bund. Auf Druck der bayerischen Staatskanzlei zog Bundesinnenminister Thomas de Maiziere dann Mitte September die Reißleine: Grenzkontrollen wurden wieder eingeführt.
Folgen für die heimische Wirtschaft
Ziel der Kontrollen ist es, den Strom der Flüchtlinge zu kanalisieren, die Menschen zu registrieren und dann in Erstaufnahmelager in ganz Deutschland zu verteilen. Das hat jedoch für die Region Berchtesgaden teilweise dramatische Folgen. Vor den Kontrollen fuhr alle zehn Minuten eine S-Bahn von Freilassing nach Salzburg, während der Rush-Hour sogar noch häufiger. Nach der Einführung der Kontrollen wurde der Zugverkehr teilweise oder auch mal ganz ausgesetzt. Wann wieder der normale Betrieb aufgenommen wird, kann momentan niemand sagen. Hinzu kommen ständige Fahrzeugkontrollen an den Autobahnen. Die Folge sind teils kilometerlange Staus auf den Straßen von und nach Österreich.
Anke Demmrich leitet das größte Bekleidungsgeschäft im Ort. Auch sie spürt die Einführung der Grenzkontrollen deutlich: "Durch die Grenzkontrollen kommt ein Drittel weniger Kunden aus Salzburg zu uns, das führt natürlich zu starkem Umsatzverlust. Salzburger sind eigentlich treue Stammkunden, von ihnen leben wir." Obwohl sie einen finanzstarken Mutterkonzern im Rücken hat, macht sie sich Sorgen.
Europa-Gedanke - dahin?
Thomas Scheid vom Wirtschaftsforum Freilassing bestätigt den Rückgang der Einnahmen in der gesamten Region. Er bedauert die Situation aber auch aus ideeller Sicht. "Sehen Sie, wir hatten hier doch schon seit Jahren keine Grenzen mehr."
In der Tat: Täglich pendeln tausende Schüler aus Deutschland nach Österreich, Geschäftsleute wohnen hüben wie drüben. Schon seit Jahrhunderten fühlt sich die Bevölkerung in der Grenzregion miteinander verbunden, vor 20 Jahren schloss sie sich zur "EuRegio" zusammen. Diese umfasst neben Salzburg und dem Berchtesgadener Land auch Traunstein.
Vor Alpenkulisse mit grasenden Kühen und der nahen Musikerstadt Salzburg gab es in den letzten Jahren vor allem im Tourismus-Sektor eine Reihe grenzübergreifender Projekte. Alles gefördert durch die Europäische Union und getragen von einem Europa-Gedanken ohne nationale Grenzen. Zumindest Letzteres scheint nun wieder passé.
Verzerrte Berichterstattung
Den Kontrollen an den Grenzen fällt dabei wohl nur ein Teil der Schuld zu. Die Menschen hier sehen auch die Medien in der Pflicht. Denn die stellten die Situation dramatischer dar, als sie sei. Anke Demmrich erzählt, dass sie vor wenigen Tagen in einer Filiale in Rosenheim, einer Stadt 80 Kilometer weiter im Landesinneren, Kunden aus der Nähe von Freilassing getroffen habe. "Obwohl das für sie ein weiterer Anfahrtsweg war, sind sie extra nicht nach Freilassing gefahren. Durch die Berichterstattung dachten sie, dass hier das reinste Chaos herrscht."
In der Tat merkt man in der Stadt selbst gar nichts von den Tausenden Flüchtlingen, die hier täglich durchgeschleust werden. Die Bundespolizei fängt die Flüchtlinge direkt am Bahnhof ab und bringt sie in die eingerichtete Registrierungsstelle, ein umfunktioniertes Möbelhaus.
Für Bernhard Zimmer von den Grünen liegt das vor allem am Einsatz der Menschen: "An der Situation vor Ort ist absolut nichts Chaotisches". Es gehe gut organisiert zu: "Sowohl Polizei, als auch Caritas, Rotes Kreuz und engagierte Bürger arbeiten wahnsinnig gut zusammen."
Existenzangst
Auch Regina Pichler erlebt die Situation an der Grenze viel weniger dramatisch als oftmals dargestellt. Ihre regelmäßigen Fahrten von und nach Österreich verlaufen reibungslos: "Wir kommen immer gleich durch. Wenn wir mal zehn Minuten an der Grenze gewartet haben, dann war das schon viel." Die Berichte in den Medien hingegen würden die Kunden nur abschrecken. "Wenn die im Radio oder im Fernsehen durchgeben, dass man eine Stunde warten muss - das nimmt doch keiner in Kauf."
Der Zukunft blickt sie sorgenvoll entgegen: "Das belastet sehr stark, weil man nicht weiß, wie es weitergehen soll." Wenn sich nicht bald etwas ändert, sagt sie, wären die wirtschaftlichen Folgen fatal: "Wir haben zwei Betriebe, eine Gärtnerei und einen Blumenladen. Wenn das so weitergeht, dann müssen wir Leute entlassen und ein Geschäft zusperren, weil uns die Einnahmen fehlen."