Graziella Schazad im Interview
19. Januar 2016Deutsche Welle: Dein Vater kam aus Afghanistan nach Deutschland. Wie war das für ihn? Heute hat man beim Thema Afghanistan ja vor allem Bilder vom Krieg im Kopf.
Graziella Schazad: Wenn mein Gegenüber fragt, wo mein Vater her kommt, und ich sage Afghanistan, hat man immer sofort ein Klischeebild im Kopf. Aber tatsächlich hatte mein Vater großes Glück. Er kommt aus einer sehr wohlhabenden Familie - mein Opa war Arzt. Als ältester Sohn hatte mein Vater das Privileg, mit 17 Jahren nach Deutschland zu kommen, um hier zu studieren. Er wurde Diplompsychologe. Aber es ging ihm in Deutschland nicht unbedingt besser. Er hat seine Familie wahnsinnig vermisst, kannte die Sprache nicht und stand, wie er selber immer so schön sagt, unter Kulturschock. Heute fühlt er sich viel mehr als Deutscher, als dass er sich als Afghane fühlt. Er ist sehr dankbar, dass er hier sein kann und liebt dieses Land. Das ist eigentlich sehr schön.
Deine Mutter kommt aus Polen. Was ist ihre Geschichte? Warum hat sie das Land verlassen?
Meine Mutter ist in Polen geboren und dann mit circa sechs Jahren hierher gekommen. Sie war tatsächlich ein Flüchtling - kein Kriegsflüchtling, eher ein wirtschaftlicher Flüchtling. Sie lebte zuerst im Flüchtlingslager. Weil sie dort immer mit ihrer Familie zusammen war, hat sie aber keine schrecklichen Erinnerungen an die Zeit. Es war trotzdem hart, denn sie musste sich die ersten Jahre ganz schön durchkämpfen.
Die Geschichten Deiner Eltern sind sehr unterschiedlich. Siehst Du eine Verbindung zu den Flüchtlingen von heute?
Ich glaube, jeder, der seine Heimat nicht freiwillig verlässt, fühlt sich erst mal wahnsinnig alleine und isoliert. Zum Beispiel weil man die Sprache nicht beherrscht. Man kennt das ja selbst aus dem Urlaub. Schon allein die angrenzenden Länder haben eine ganz andere Kultur und auch die Sprachen sind anders.
Hast Du auch negative Erfahrungen bezüglich der ausländischen Herkunft Deiner Eltern gemacht?
Mein Vater, der in einem Asylantenheim gelebt hat, hatte es mit Sicherheit nicht immer leicht, vor allem, weil er einfach überhaupt kein Wort Deutsch konnte - und das mit 17 Jahren. Meine Mutter wurde tatsächlich auch in der Schule beschimpft. Sie hat dann aufgehört, Polnisch zu sprechen. Sie spricht die Sprache heute gar nicht mehr, was sie sehr bereut. Von daher machten sie beide diese schmerzhaften Erfahrungen, die sehr viele kennen, die einen Migrationshintergrund haben. Aber sie haben mir als Kind nie davon erzählt. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich mit einer absoluten Naivität großgeworden bin. Wir hatten ja auch immer Kontakt mit unserer Familie. Also, ich hatte nie das Gefühl: Oh, ich muss mich vielleicht irgendwie ducken oder ich muss mich irgendwie anders verhalten. Ich habe mir natürlich Gedanken gemacht, wenn irgendwas nicht stimmte, aber ich habe es nie auf meine Haarfarbe oder meine Herkunft bezogen.
Wie hast Du Deine Kindheit in Berlin erlebt?
Ich bin im Berliner Stadtteil Moabit geboren und die ersten Jahre dort aufgewachsen. Das war schon richtig Multikulti und das hat mir auch gefallen. Damals waren wir ganz viel mit der Familie seitens meines Vaters zusammen und haben viel Zeit mit meinen Onkels, Cousinen und Tanten verbracht. Ich habe das wahnsinnig genossen. Es gab außerdem Kontakt zu Familienmitgliedern auf der ganzen Welt, ob in Kanada, New York oder Ohio, wo meine Großeltern gelebt haben. Auch unsere Tante Walli aus Polen kam mindestens einmal im Jahr für ein paar Wochen. Diese Kontakte habe ich immer als eine ganz große Bereicherung empfunden.
Von Berlin bist Du erstmal ins süddeutsche Ingolstadt gezogen und dann in den Norden nach Hamburg, wo Du jetzt eine Familie und ein Kind hast. Warum gerade Hamburg?
Ich glaube, es ist ganz wichtig, sich von seinem Elternhaus und seinem ganzen Umfeld zu lösen und einfach mal rauszugehen in die Welt. Das war bei mir Süddeutschland - die große Welt! Da habe ich aber ziemlich schnell festgestellt, dass das nicht der Ort ist, wo ich mich entfalten kann – musikalisch, kreativ und so. Dann hat mein Mann vorgeschlagen: “Hamburg ist eine gute Stadt, wenn Du nicht nach Berlin möchtest, da war ich viele Jahre“. Und dann sind wir nach Hamburg gezogen. Jetzt sind wir schon acht Jahre hier. Hamburg ist sehr viel kleiner als Berlin aber eine tolle Stadt.
Kommen wir zur Musik. Du bist ein absoluter Frühstarter, was die Musik angeht. Wie kam es dazu?
Schon als Kind wollte ich immer Klavier spielen. Oben bei den Nachbarn stand ein altes Klavier und da habe ich immer drauf rumgehauen. Ich habe dann mit drei Jahren angefangen, Gitarre zu spielen, und mit vier Geige. Ich wollte aber vor allem Klavier spielen. Mit neun kam dann das ersehnte Klavier und das war, glaube ich, entscheidend für mein Songwriting.
Wie bist Du an Deinen ersten Plattenvertrag gekommen?
Mein Hauptziel war, ganz viel zu spielen, von kleinsten Festivals hin bis zu Messen oder Hochzeiten. Die Erfahrungen, die du dabei sammelst, dich selber kennen zu lernen und direkten Kontakt zum Publikum zu haben - die kannst du einfach nicht kaufen, auch nicht durch einen Deal mit einer Plattenfirma. In dem Jahr, in dem ich meinen ersten Vertrag bekam, habe ich über 70 Konzerte gespielt, ich war mir für nichts zu schade. Irgendwann hab ich dann einen Anruf von einer Plattenfirma bekommen, sie hätten gerne Demo-Aufnahmen von mir. Dann habe ich gesagt: “Super gerne, aber ich komme lieber vorbei und spiele euch was live vor.“ Und dann bin ich rein und habe denen mit der Gitarre und der Geige etwas vorgesungen. Und da stand sogar ein Klavier und das habe ich dann auch noch gespielt. Das war einfach ein cooler Moment.
Lässt sich Dein musikalischer Stilmix auf Deine multikulturelle Herkunft zurückführen?
Die Tatsache, dass ich diese Wurzeln in mir trage, beeinflusst das natürlich schon. Wenn wir Musik aufnehmen und uns fragen, welche Trommel wir nehmen sollen, dann tendiere ich natürlich eher zu einer indischen Tabla als zu einer normalen Trommel. Aber letztendlich würde ich sagen, die Kultur, die wir zu Hause gelebt haben, die Eigenarten meines Vaters und meiner Mutter, die haben mich als Mensch geprägt. Und somit prägt das natürlich auch meine Musik.
Auf Deinem aktuellen, zweiten Album "India" sind viele gesellschaftkritische Songs. In "How Many People" zum Beispiel geht es um Flüchtlinge und Krieg. Willst Du etwas bewegen mit Deiner Musik?
Ich fühle mich manchmal schlecht, wenn ich das sage, aber ich schreibe die Songs tatsächlich, um ein Gefühl zu verarbeiten oder um doch nochmal genauer hinzuschauen, wenn ich merke: Das geht einfach nicht weg dieses Gefühl. Aber es passiert nie mit dem Hintergedanken, "für etwas" zu schreiben. Es gab diese furchtbare Massenvergewaltigung an diesem indischen Mädchen in Neu-Delhi - das hat mich über Wochen und Monate nicht losgelassen. Auch nach ein, zwei Anläufen hat es nicht geklappt, darüber zu schreiben, weil ich so geschockt war. Aber ich hatte zwei tolle Songwriter, die mir dann geholfen haben, das alles auf den Punkt zu bringen. Und dass es jetzt ein Song geworden ist, der nach draußen geht, ist natürlich toll, doch die erste Blase ist immer erst mal in mir. Genauso war es bei "How Many People", wo ich diesen Jungen gesehen habe, einen syrischen Flüchtling, der mit seinem Vater nach Deutschland kam, alles verloren hatte und hier erst mal saß. Das war so plakativ. Es war so deutlich zu sehen, wie er hier einfach rein gestolpert ist in dieses Leben und jetzt einfach damit klarkommen muss.
Was empfindest Du angesichts der vielen Flüchtlinge, die jetzt nach Deutschland kommen?
Diese ganze Thematik ist natürlich sehr aktuell. Sie ist ja um uns herum, sie ist nicht irgendwie im Nachbarland. Und ich freue mich, dass sich Deutschland wirklich so hilfsbereit gezeigt hat, es wurde ja auch schon tausend Mal angesprochen, aber ich finde es sehr, sehr rührend und bin wirklich stolz, dass sich das Land so verhalten hat. Jetzt hoffe ich, dass jeder seinen Platz findet und dass jeder es schafft, sein Leben zu meistern.
Bist du ein gutes Beispiel für Menschen, die neu nach Deutschland kommen und es hier geschafft haben?
Ich finde, dass man meine Situation gar nicht vergleichen kann mit der Lage, in der sich die Flüchtlinge befinden. Ich habe dieses Riesen-Privileg, hier in diesem Wohlstandsland aufgewachsen zu sein. Hier bieten sich alle Möglichkeiten, die es gibt. Deswegen mache ich mir das auch bewusst und bin von Herzen dankbar, dass es so ist, und wünsche den Flüchtlingen einfach nur das Beste.
Das Interview führte Willie Schumann.