Gotzmann: "Tiefschlag für saubere Athleten"
9. Mai 2016Kenias und Russlands Athleten stehen vor dem Olympia-Aus. Die beiden Länder haben gegen verschiedene Anti-Doping-Richtlinien verstoßen: Es existiert keine handlungsfähige Anti-Doping-Agentur, kein Kontrollsystem und beide haben mehrfach WADA-Fristen verstreichen lassen. Nun will die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) eine Empfehlung an das Internationale Olympische Komitee (IOC) abgeben. Im Schlimmsten Fall dürfen die russischen und kenianischen Sportler in Rio nicht an den Start gehen. Im DW-Interview spricht Andrea Gotzmann, die Chefin der nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA), über die bevorstehende Entscheidung und die unterschiedlichen Qualitätsunterschiede der Anti-Doping-Forschung.
DW: In einigen Ländern gibt es im Kampf gegen Doping nur unzureichende Kontrollsysteme. Die IAAF hat dies als "entsetzlich" beschrieben. Wie schätzen Sie diese Lage ein?
Andrea Gotzmann: Zu Beginn des Jahres gab es 35 von der Welt-Anti-Doping-Agentur akkreditierte Laboratorien. Also solche, die genau nach den Vorgaben der WADA Doping-Analytik durchführen können. Es werden höchste Qualitätsansprüche an diese Laboratorien gestellt und sie werden auch regelmäßig kontrolliert. Man hat nun bei einigen Laboratorien auf verschiedenen Ebenen, teilweise auch administrativ, gewisse Fehlerträchtigkeit gefunden, aber darauf sofort reagiert. Das ist für mich ein Zeichen, dass das System funktioniert. Es muss jetzt schnell eine Lösung her, dass diese Labore wieder auf höchsten Qualitätsstandards arbeiten können.
Die Qualitätsunterschiede der Laboratorien weltweit sorgen immer wieder für Kritik. Wie lange wird es dauern die Situation zu verbessern?
Es gibt einen Standard, den alle erreichen müssen, das ist klar. Er wird von der WADA vorgegeben und ist in vielen Dokumenten festgelegt. Dieser Standard muss von allen gewährleistet sein. Dass es darüber hinaus einige Labore gibt, die spezialisierter sind und dann vielleicht auch noch eine höhere Empfindlichkeit in der jeweiligen Messtechnik haben, das ist normal. Trotzdem sollten alle den geforderten Standard erreichen.
Doping-Labore in Lissabon, Moskau oder auch Peking wurden suspendiert. Ist das ein Hinweis darauf, dass sich der Anti-Doping-Kampf an einem Scheideweg befindet?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich sehe einfach, dass der Weg in die Richtung "Null Toleranz" geht und das ist richtig. Ich denke, dass die Qualität hochgehalten werden muss, dass die Kontrollmechanismen aber funktionieren. Es geht jetzt darum, dass die Labore, die suspendiert wurden, in einem gewissen Zeitraum die Möglichkeit bekommen unter Beobachtung der WADA die Schwächen aufzuarbeiten und auf so ein Niveau zu kommen, mit dem sie die Akkreditierung wieder vollumfänglich erhalten.
Die WADA fordert von Russland in kürzester Zeit ein neues funktionierendes Anti-Doping-System aufzubauen. Ist das in so wenigen Wochen überhaupt möglich?
Meiner Erfahrung nach ist das in der Kürze der Zeit nicht möglich. Die Ansätze sind richtig, hier muss ganz dringend etwas passieren. Aber, das wissen wir aus eigener Erfahrung, dass wir da einen langen Weg gehen mussten. Wir haben es 2003 geschafft, die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) zu gründen und wichtig ist hier auch die operative Unabhängigkeit, dass die Systeme von äußeren Zwängen frei ablaufen können. Für mich ist ganz wichtig, dass der Bewusstseinswandel, eben die "Null-Toleranz-Politik", wirklich auch gelebt wird und ich glaube, dass es eines längeren Prozesses bedarf.
Kenia und Russland droht der Ausschluss von den Olympischen Spielen in Rio. Würden Sie eine Suspendierung nach den Vorkommnissen und Versäumnissen der beiden Sportnationen befürworten?
Gerade im Bereich dieser beiden Länder ist so viel passiert, was uns wirklich schockiert hat. Das muss man ganz klar sagen. Das ist ein Tiefschlag für die sauberen Athleten gewesen zu sehen, wie hier die Anti-Doping-Arbeit mit Füßen getreten wurde und das dies auch nur durch einen Whistleblower ans Tageslicht gekommen ist. Ich glaube, dass hier eine harte Entscheidung fallen muss und wir werden sehen, wie es dann in Rio aussieht.
Das heißt, sie würde einen Ausschluss befürworten?
Das muss ausdrücklich geprüft werden. Es müssen alle Fakten auf den Tisch, aber ich glaube es ist relativ viel passiert. Ich frage mich: Was muss noch passieren, bevor Konsequenzen gezogen werden.
Viele Athleten arbeiten sauber. Diese Sportler sehen jetzt, wie in anderen Ländern teilweise betrogen wird. Was sagen Sie diesen Athleten?
Ich kann diese Ungerechtigkeiten sehen, und Chancengleichheit ist für uns etwas ganz wichtiges, das ganz oben auf der Fahne steht. Aber eins müssen wir auch sehen: Wir dürfen jetzt nicht nachlassen. Das wäre der absolut falsche Umkehrschluss. Die anderen machen nichts, dann machen wir auch etwas weniger. Im Gegenteil: Es hat sich gezeigt, dass unser System gut ist und das die Athleten sehr viel auf sich nehmen, aber auch eine gewisse Sicherheit haben, dass sie selbst aus einem guten Dopingkontrollsystem kommen. Vielleicht können wir anderen dabei helfen, besser zu werden und unser Know-How weiter zu vermitteln. Daran arbeiten wir international.
Seit 2011 ist Dr. Andrea Gotzmann ist Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) mit Sitz in Bonn. Seit 2004 ist sie Mitglied der Organisation World Association of Anti-Doping Scientists (WAADS). Vor drei Jahren wurde die ehemalige Basketball-Spielerin in den Aufsichtsrat des Instituts der Nationalen Anti-Doping Organisationen (INADO) gewählt.
Das Interview führte Thomas Klein.