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Gold verloren, Silber gewonnen

14. August 2016

Welch eine Enttäuschung: Angelique Kerber unterliegt überraschend im Olympia-Finale einer Außenseiterin aus Puerto Rico - macht danach aber ihren Frieden mit Olympia, wie Joscha Weber beobachtet.

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Angelique Kerber im Tennis Finale (Foto: dpa)
Erst am Boden, kurz darauf wieder versöhnt mit Olympia: Angelique KerberBild: picture alliance/Sven Simon/F. Hoermann

Sie hadert mit sich, schwingt gefrustet den Schläger hin und her, blickt nach unten und redet ein paar Worte mit sich selbst. Angelique Kerber weiß offensichtlich nicht, was hier gerade los ist. Wieder ein einfacher Ball, den sie ins Netz setzt. Gerade war sie noch im Vorteil und nun muss sie schon wieder einen Matchball von Monica Puig abwehren, den vierten bereits. Diesmal scheitert sie. An einer mit einem beeindruckenden Willen aufspielenden Puerto Ricanerin, an ihrer eigenen Unkonzentriertheit und vielleicht auch am eigenen Anspruch. 6:4, 4:6, 6:1 für Puig steht am Ende auf der Anzeigetafel. Ein Ergebnis, das kaum ein Tennisexperte erwartet hat.

Der Kindheitstraum

Nicht nur die Fans, die Medien und ihr Umfeld erwarten vor dem Finale von ihr nicht weniger als den Olympiasieg. Angelique Kerber, die Nummer zwei gegen die Nummer 34 der Welt, Monica Puig. Die Australien-Open-Gewinnerin gegen eine junge Spielerin ohne größere Referenzen. "Ich kämpfe um Gold. Eigentlich träume ich schon seit meiner Kindheit davon", sagt Kerber, die bereits im Alter von gerade einmal drei Jahren mit dem Tennisspielen begann, vor dem Spiel und macht sich selbst mächtig Druck. Sie ist die logische Favoritin dieses Finals, doch an einem dramatischen Tennisabend auf dem olympischen Center Court in Barra ist es mit der Logik schnell vorbei.

Angelique Kerber im Tennis Finale (Foto: dpa)
Was ist nur los? Kerber zeigt erstmals im Turnier Schwächen beim eigenen AufschlagBild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

Gleich zu Beginn zeigt Kerbert Zeichen von Nervosität, in diesem "sehr speziellen Moment", wie sie später sagt. Ab dem ersten Aufschlagspiel für Puig wirkte Angelique Kerber fahrig und nicht richtig auf der Höhe. Und dann auch noch das: Plötzlich zieht Kerber das rechte Bein ein wenig nach, scheint sich eine nicht näher auszumachende Verletzung zugezogen zu haben. Puig nutzt diese Schwäche aus: Beim Aufschlagspiel der Puerto Ricanerin ist Kerber plötzlich chancenlos und verliert das Spiel zum 3:4 glatt. Mit betretener, fast resignierender Miene setzt sich Kerber in der Pause auf die Bank und atmet durch. Sie scheint zu ahnen, das wird ein hartes Stück Arbeit. Puig schickt Kerber immer wieder die Grundlinie entlang: Antreten, abstoppen, wieder antreten - Gift für ihren angeschlagenen Körper. Ein Schmerz vom "unteren Rücken bis in den Gesäßmuskel herunterziehend", habe sie gespürt, sagt Kerber später, die den ersten Satz folglich mit 4:6 verliert und in der Pause von ihrer Physioterapeutin in der Kabine behandelt wird.

Das vorzeitige Aus droht

Man muss eine Aufgabe befürchten, doch Kerber kehrt unter dem Jubel ihrer Anhänger zurück. Und zeigt sich prompt wie ausgewechselt: Den Aufschlag von Monica Puig kann sie jetzt nicht nur returnieren, sondern auch wieder Druck auf ihre Gegnerin ausüben. Nach einer starken Vorhand geht die Faust nach oben und dann holt sie sich tatsächlich das erste Break. "Jetzt geht's los", singen die deutschen Fans und Athleten auf der Tribüne. Doch Monica Puig hat etwas dagegen. Sie arbeitet sich mit starkem Laufspiel wieder heran und holt ihrerseits ein Break zum 4:4. Aber auch Angelique Kerber ist eine "Kämpfernatur", wie Altmeister Boris Becker sie adelte, und holt sich mit präzisen langen Bällen den zweiten Satz, gleicht damit aus. Gold scheint wieder möglich.

Doch dann geschieht das Unglaubliche: Kerber verliert völlig den Faden. Sie verliert gleich ihr erstes Aufschlagspiel an eine konditionell überzeugende Monica Puig, die wiederum ihren eigenen Aufschlag durchbringt und so auf 3:0 davonzieht. Kerber wackelt jetzt bedenklich. Auch ihr zweites Aufschlagspiel schenkt sie leichtfertig her. 0:4, die Vorentscheidung. Kerber klatscht auf ihrem Schläger in Richtung Publikum, ganz so als wolle sie sich schon bei ihren Fans bedanken. Als habe sie das Finale schon abgeschrieben. Kurz darauf ist es geschehen: Puig verwandelt nach über zwei Stunden packendem Tennis ihren vierten Matchball und fällt voller Freude auf den Boden. Sie streckt alle Viere von sich, die Arena steht. Angelique Kerber geht dagegen zügig zu ihrer Bank und packt zusammen. Die Enttäuschung steht ihr auch kurz darauf bei der Pressekonferenz noch ins Gesicht geschrieben.

Monica Puig im Tennis Finale (Foto: dpa)
Die 22-jährige Außenseiterin Monica Puig holt Gold - und wie...Bild: Getty Images/AFP/L. Acosta

Kerbers mit Abstand bestes Jahr

"Das ist nicht die Medaille die ich wollte. Ich habe mein Herz heute auf dem Platz gelassen", sagt die 28-Jährige mit einem für sie eher seltenen Anflug von Emotionalität. Kerber wirkt niedergeschlagen. Sie habe das Olympische Turnier sehr ernst genommen, stellt Kerber klar, die bis ins Finale keinen Satz verlor. Doch dort scheitert sie an einer jungen Puerto Ricanerin in der Form ihres Lebens. "Monica hat es verdient. Ich habe Gold nicht verloren, sie hat es gewonnen", sagt Kerber und versucht damit bereits den Perspektivwechsel. Sie will die Enttäuschung über das verlorene Finale am liebsten noch hier im Bauch des olympischen Tennis-Stadions zurücklassen, gibt sich nun plötzlich wieder selbstbewusst. Mit dem Australian Open-Sieg, dem Erreichen des Wimbledon-Finales sowie Silber bei Olympia ist es mit Abstand das erfolgreichste Jahr ihrer Karriere. "Ich bin sehr stolz auf all das, was ich dieses Jahr erreicht habe", sagt Kerber und kann nun wieder lächeln. Mit einer Hand an der Silbermedaille um den Hals steht sie auf und verschwindet mit federndem Schritt durch den Hinterausgang. Sie hat ihren Frieden mit Olympia 2016 gemacht.