Von der Zukunft der Menschheit
23. Juni 2019Sie sind winzig klein, pfeilschnell und überwinden jedes Hindernis: Killer-Roboter richten im Hörsaal der Uni ein Blutbad an. Eine Mutter, gerade im Video-Chat mit ihrem Sohn, muss mit ansehen, dass auch der Klappsitz, unter dem er sich versteckt, keinen Schutz bietet. Später ist in den Nachrichten von etwa 8300 getöteten Studierenden die Rede. Ihr Vergehen? Womöglich ein geteilter Facebook-Post, der irgendjemandem oder einem Algorithmus nicht gefallen hat. Die Geschichte, erzählt in einem knapp dreiminütigen Film, ist Fiktion. Aber sie könnte wahr sein. Es gibt sie nämlich längst - Maschinen, die entscheiden, dass Menschen sterben müssen.
Neue Kultur der Gewalt
"Diese Waffen sollten verboten werden", sagt Toby Walsh in Weimar. Er ist Professor für Künstliche Intelligenz an der University of New South Wales, Australien, und einer der führenden Köpfe in diesem Bereich. Mehr als 100 NGOs hat er mittlerweile hinter sich und rund 30.000 Wissenschaftler aus aller Welt. Sie alle wollen keineswegs mit der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz abschließen. Aber sie sagen nein zu einer ganz neuen Kultur der Gewalt und fordern, dass die Vereinten Nationen ein Verbot von Killer-Robotern vereinbaren. Bislang ist das am Widerstand Russlands, der USA, Israels und Australiens gescheitert.
Weltweite Herausforderungen
Weltweit stehen die Menschen vor gewaltigen Herausforderungen: Wie beeinflussen Digitalisierung und Globalisierung die Wirtschaft und unsere Gesellschaften? Was müssen wir tun, um weiterhin Autoren unseres Lebens zu bleiben? Wie können wir in der zunehmend komplexer werdenden Welt den Überblick behalten? Und wie gehen wir um mit erstarkenden rechten Kräften und einem weltweit zu beobachtenden Rückzug in Nationalismen? Fragen, denen das Goethe Institut unter dem Titel "Die Route wird neu berechnet" nun nachgegangen ist - in Weimar, der geschichtsträchtigen mitteldeutschen Kulturstadt, und im Rahmen eines Symposiums mit rund 400 Gästen aus 70 Ländern, darunter zahlreiche Experten und Expertinnen aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Publizistik, Medien und Politik.
Goethe-Institut will Zukunft denken
Ein exklusiver Think-Tank über drei Tage, während derer man von Veranstaltung zu Veranstaltung unterwegs war, zu Fuß oder mit dem Leihrad, sich in den Kaffee- und Mittagspausen miteinander anfreundete und abends auf dem Festivalgelände rund ums E-Werk bei Wein und Live-Musik weiter redete, lachte, tanzte und sich berühren liess von den zarten Bewegungen, mit denen der taiwanesische Tänzer Huang Yi und Industrieroboter KUKA umeinander kreisten. Oder man ging ins Nationaltheater von Weimar, wo "The Circle" nach dem Roman von Dave Eggers in einer Opernfassung gezeigt wurde. Oder ins Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zum Blauen Sofa, auf dem eine Reihe von Autoren und Autorinnen zentrale Fragen des Symposiums diskutiert haben.
Vielfältige Weltsichten
Die großen Zukunftsfragen, daran besteht kein Zweifel, gehen uns alle an. Umgegangen aber wird mit ihnen auf der Welt höchst unterschiedlich: In der gefestigten Demokratie Estland etwa kann man heute bis aufs Heiraten alles online erledigen. Erhoben werden nur die Daten, die der Staat wirklich braucht. Und es heißt, sie seien gut gesichert und für den Nutzer einsehbar.
Im Vielvölkerstaat Indien mit seinen vielen Analphabeten ist die Angst vor staatlicher Daten-Erfassung hingegen groß. Die chinesische Zentralregierung wiederum ist überzeugt, so Rogier Creemers, Professor für Chinawissenschaften an der niederländischen Universität Leiden in einem Kurzvortrag, dass der Erfolg ihrer Arbeit mit der Menge der gesammelten Daten einhergeht. Sie erleichtern die Beeinflussung der Bevölkerung - Belohnung oder Bestrafung inklusive.
Das autokratische Russland aber, erläuterte der renommierte Historiker und Bestsellerautor Timothy Snyder, zeichne sich aus durch die Abwesenheit einer klaren Idee von Zukunft. "Das Problem der Abschaffung von Demokratie ist, dass es keine Nachfolge gibt. In Rußland ist das ein Tabu. Keiner weiß, was nach Putin kommt. Es gibt keine Zukunft."
Ob die britisch-indische Designerin und Futuristin Anab Jain dort überhaupt auftreten dürfte? In Weimar hat sie zum Auftakt des Symposiums kurzweilig erläutert, warum sie Zukunftsszenarien kreiert: damit wir die Weichen möglicherweise noch anders stellen. Die Scheichs, denen sie eine Kostprobe der von Abgasen vergifteten Luft Dubais aus dem Jahre 2025 unter die Nase gehalten hat, werden sich seitdem hoffentlich mehr Gedanken über den weiteren Ausbau der Infrastruktur ihres Landes machen.
Die Zukunft hat längst begonnen
Die Zukunft, sagt der Australier Toby Walsh, ist schon fast da. Und im Jahr 2062 werden Maschinen klüger sein als der Mensch. Volvo kündige bereits für 2025 autonom fahrende Autos an. Es werde weniger Verkehrstote geben, man könne beim Fahren schlafen, arbeiten, was auch immer.
Tatsächlich verändert sich das Leben radikal. Die Frage ist, wie managen wir die Veränderungen? Und wer verteilt den Reichtum, den die Maschinen erwirtschaften?
57 Prozent der Jobs von heute seien automatisierbar, sagte Nicole Scoble-Williams, Leiterin des Deloitte's Future of Work Centre of Excellence in Singapur in einem Panel zur Zukunft der Arbeit. Roboter übernehmen in Zukunft auch Altenpflege und Krankenbetreuung. Schon jetzt können sie Partner oder Partnerin im Alltag sein. Maschinen ohne Emotionen, für die der Mensch Gefühle entwickelt. Muß man sich für ihn freuen oder ihn bedauern?
Nicht alle werden gewinnen
Gewinner in dieser neuen Welt wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein, wer weiß, wie man lernt. Und die neue Währung heisst Kompetenz - so Krish Chetty, Forschungsleiter bei Human Sciences Research Council in Südafrika. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass die Gruppe der Abgehängten deutlich größer wird. Es wird nicht mehr genug Arbeit für alle geben.
Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Schon jetzt, so der Publizist und Schriftsteller Pankaj Mishra in seinem Beitrag, leben wir in einem Zeitalter des Zorns. Wütende Modernisierungsverlierer und -verliererinnen trieben ziellos in die Arme rechter Demagogen - in Ungarn genauso wie in Italien oder in Lateinamerika. "Heute wissen die Menschen überall auf der Welt, dass sie mit Menschen woanders auf der Welt konkurrieren."
Zum ersten Mal seit 200 Jahren bestünde die Möglichkeit, dass die Zukunft nicht besser wird. Selbst in Deutschland gibt es erstmals ein abnehmendes Grundvertrauen in die Absicherung der nächsten Generationen. Darauf hat Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringens Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, in seinem Grußwort zur Eröffnung des Kultursymposiums hingewiesen. Auf diesem Nährboden kochen Rechtsextreme ihre giftige Suppe. Sie hetzen und verleumden in den sozialen Netzwerken. Und sie lassen ihren Worten Taten folgen. Seit 1990 starben in Deutschland bis zu 196 Menschen durch rechte Gewalt, titelt die Tageszeitung taz an diesem Wochenende. Der bislang letzte ist mit großer Wahrscheinlichkeit der CDU-Politiker Walter Lübcke. Er wurde am 2. Juni in Wolfhagen aus nächster Nähe erschossen.
Die Route neu berechnen
"Wir brauchen dringend eine globale Bewegung zur Wiedererlangung dessen, was Menschenwürde heißt", forderte die ungarische Medienwissenschaftlerin Anna Szilágyi in Weimar. Und eine wirklich gut ausgebildete Jugend sowie mutige Journalisten und Journalistinnen - das hat man in diesen Tagen immer wieder gehört. Bei aller angebrachten Skepsis: Die Zukunft kann noch gut werden. Dieser Eindruck wurde bei "Die Route wird neu berechnet" in Weimar vermittelt. Dafür müssten wir uns nur mehr engagieren und einmischen. Alle.
"So many roads to the future need some navigation", singt der Rapper Blumio zum Ausklang des Weimarer Kultursymposiums. "Wanna connect with the world, with every nation. Let's go the right path before we lose it all. Let's evolve - human 2.0!" (Ich möchte mich mit der Welt verbinden, mit jedem Land. Lasst uns den richtigen Weg einschlagen, bevor wir alles verlieren. Lasst uns uns weiterentwickeln, als Menschen 2.0.)