'Es ist eine moralische Verpflichtung'
28. Juli 2015
DW: Herr Lacoste, Ende des Jahres werden sich Politiker aller 196 UNO-Mitgliedsstaaten in Paris versammeln, um über ein neues Klimaabkommen zur Begrenzung des Ausstoßes von Treibhausgasen zu verhandeln. Es ist die wichtigste Klimakonferenz des Jahrzehnts, denn es geht um nichts Geringeres als die Rettung unseres Planeten. Aber für viele ist Klimawandel ein trockenes und abschreckendes Thema. Warum sollte den Menschen die Klimakonferenz trotzdem nicht gleichgültig sein?
Philippe Lacoste: Es ist lustig, dass Sie das Wort “trocken” verwenden, denn es ist in der Tat ein trockenes Thema. Wir erleben zurzeit extreme Wetterbedingungen, wie Hitzewellen und Wasserknappheit, die beide mit dem Klimawandel zusammenhängen. Die Auswirkungen des Klimawandels sind nicht nur eine Theorie, wir erleben sie hier und jetzt.
Und das ist der Grund dafür, dass in Paris Ende des Jahres die Vertreter von 196 Ländern zusammenkommen werden. Sie alle haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie wir den Klimawandel bekämpfen sollen, aber wir arbeiten zusammen, um die globale Erwärmung bei weniger als 2 Grad Celsius zu halten (3,6 Grad Fahrenheit), was ehrgeizig ist. Wir diskutieren jetzt schon seit geraumer Zeit über ein neues Klimaschutzabkommen und wir wollen in Paris endlich ein Abkommen liefern. Und deshalb ist diese Konferenz spannend und wichtig.
Worum wird es in dem Klimaabkommen genau gehen?
Wir haben bereits langfristige Ziele, wie etwa die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen, was wir in dem Abkommen festhalten könnten. Vielleicht werden wir auch andere Ziele aufnehmen, um dieses langfristige Ziel, die globale Erwärmung gering zu halten, zu erreichen. Den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um ein gewisses Maß zu reduzieren, zum Beispiel. Abgesehen davon müssen wir auch Wege finden, Ländern zu helfen, die bereits unter den Folgen des Klimawandels leiden, wie kleine Inselstaaten.
Welche Nationen werden bei den Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen?
Die wichtigsten Emittenten von Treibhausgasen. Unter den Industrieländern sind das die USA, die Europäische Union und Russland. Und unter den sogenannten Entwicklungsländern wären das China und Indien. Das sind die wichtigsten Länder, die wir an Bord haben müssen, denn wenn man die Emissionen reduzieren will, ist deren Beitrag entscheidend.
Was wird die größte Herausforderung der COP21 sein?
Die größte Herausforderung wird sein, eine rechtlich verbindliche, allgemeingültige Vereinbarung zu erreichen. Das ist eine schwierige Aufgabe, denn es bedeutet, dass sich alle 196 Mitgliedsstaaten einigen müssen. Aber im UNO-System hat jedes Land das Recht, sein Veto einzulegen. Somit hat Tuvalu mit 10.000 Menschen dasselbe Recht auf ein Veto wie große Länder wie die USA oder China.
Wenn sich einige Länder bei wichtigen Themen nicht einigen können, bedeutet das also, dass wir eine Lösung finden müssen, indem wir den Text zu diesen Themen im Abkommen umformulieren, bis alle Länder zustimmen. Das ist in etwa so, als ob man beim Kauf eines Hauses über den Preis verhandelt.
Um alle 196 UNO-Mitgliedsstaaten dazu zu bekommen sich zu einigen, werden Politiker also täglich bis in die Nacht diskutieren und streiten. Was genau geschieht während dieser 12 Tage hinter verschlossenen Türen?
Das geschieht nicht wirklich hinter verschlossenen Türen. Vieles davon geschieht öffentlich und ist für Beobachter zugänglich. Wir haben einen geschriebenen Text, und wir werden die Sätze, die Struktur und die Worte der Vereinbarung diskutieren. Und jedes Land hat das Recht, seine Ideen vorzutragen und Vorschläge zu machen, sodass wir am Ende einen Text haben, der von allen Ländern gemeinsam geschrieben wurde. Sie können sich also die Delegierten vorstellen, wie sie am Bildschirm arbeiten, Wörter ändern, Klammern verwenden, wenn sie mit gewissen Passagen nicht einverstanden sind. Am Ende wollen wir dann einen Text ohne Klammern, dem alle zustimmen.
Dann sagen wir mal, alle 196 Länder schaffen es irgendwie, sich zu einigen und unterschreiben dieses “rechtlich verbindliche” Abkommen. Was passiert dann, wenn ein Land sich nicht an die Auflagen hält? Oder wenn ein Land einen Rückzieher macht, so wie Kanada, nachdem es das Kyoto-Protokoll, unser jetziges Klimaabkommen, unterschrieben hatte?
Wir haben keine Polizei oder internationale Sanktionen oder Grünhelme, die diese Länder bestrafen. Es ist nur Peer Review. Man verpflichtet sich zu gewissen Maßnahmen und fünf Jahre später trifft man sich wieder und sagt: “Aus dem und dem Grund haben wir unsere Ziele nicht erreicht”. Oder vielleicht: “Wir haben unsere Ziele übertroffen”. Aber es gibt kein internationales Umweltgericht, wenngleich das seit Jahren vorgeschlagen wird.
Wie verbindlich ist dieses sogenannte “rechtlich verbindliche” Abkommen dann, wenn es keine Strafverfolgung gibt, die dafür sorgt, dass Versprechen eingehalten werden?
Es kann Sanktionen geben oder Gesetze auf der nationalen Ebene. Viele Länder haben Gesetze zur Verbesserung der Luftqualität verabschiedet. Wenn sie die nicht befolgen, können sie vor einem nationalen Gericht verklagt werden. Aber schlussendlich ist es eine moralische Verpflichtung. Wenn Länder das Abkommen unterschreiben und später einen Rückzieher machen, oder sich nicht daran halten, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. Im Sinne des internationalen Rechts ist es nicht verpflichtend, aber im Sinne der internationalen Beziehungen schon.
Viele Menschen haben das Vertrauen in die internationale Klimapolitik verloren und glauben nicht, dass Klimakonferenzen wie COP21 echte Auswirkungen haben werden. Was würden sie diesen Skeptikern sagen?
Ich kann ihre Sichtweise verstehen. Das UNO-System kann manchmal frustrierend sein, weil es jedem Land das Vetorecht einräumt. Dadurch geht es nicht so schnell voran, wie man es sich manchmal wünscht. Aber ich glaube, dass sich die Dinge ändern und es gibt viel Initiative von Städten, Firmen und Vereinigungen. Das zeigt, dass Menschen den Klimawandel jetzt als ein wichtiges Thema ansehen.
Und das ist auch etwas, das wir in Paris zeigen wollen: Selbst wenn es schwer ist, sich auf eine Vereinbarung zu einigen, weil es zu viele Menschen und Meinungen im Raum gibt, kann trotzdem etwas passieren. Ich glaube, die Menschen leugnen das Phänomen nicht mehr. Die Herausforderung ist, ein kollektives System zu finden, um das Problem zu bewältigen. Und das sollte ein System sein, das alle mit einbezieht, nicht nur die Staaten. Das ist etwas, was wir in Paris versuchen zu erreichen.
Was wäre das bestmögliche Ergebnis von COP21?
Das bestmögliche Ergebnis wäre es, am Ende eine Einigung zu erzielen. Und diese Einigung wäre nicht das Ende der Geschichte, sondern ein neuer Anfang, ein neues System. Und ich hoffe wirklich, dass wir das erreichen werden.
Philippe Lacoste ist stellvertretender Botschafter für Verhandlungen zum Klimaschutz der französischen Delegation bei der COP21, der UNO Klimakonferenz in Paris, bei der Frankreich Ende des Jahres Gastgeber sein wird.