Eine Party fürs Weltretten
7. Juli 2017Es sollten strenge Sicherheitskontrollen sein, darauf müssten sich die Besucher des "Global Citizen Festivals" einstellen, hieß es vor dem Megaevent in Hamburg am Rande des G20-Gipfels. Gut gelaunt und lachend reihen sich die gut 11.000 Besucher in die mehrere hundert Meter lange Schlange an, um dann nach etwa einer Stunde endlich an der Eingangskontrolle anzukommen.
Einer von denen, die unter der Nachmittagssonne ausharren, ist Hughan. Er ist aus Wales extra für das Festival nach Hamburg geflogen. Namen wie Coldplay, Shakira, Pharrell Williams und Ellie Goulding haben ihn nur für diesen Tag von Großbritannien nach Deutschland gelockt.
Acht Millionen "Global Citizen" für eine bessere Welt
Ganz so weit ist Tobias nicht gereist. Aus Essen kam er, weil er - wie er selbst sagt - ein großer Fan von Herbert Grönemeyer ist, der am Abend ebenfalls auftreten wird. Der IT-Fachmann ist aber nicht nur Musikfan. Er ist auch einer von insgesamt acht Millionen "Global Citizen". Globales Bewusstsein und Beseitigen von Missständen sei ihm wichtig. "Das kann man über die Plattform Global Citizen sehr gut lösen, indem man via Twitter Links teilt, Email-Petitionen unterschreibt oder anders aktiv wird."
Ziel dieser Kampagnen ist es, massenhaften Druck auf Politiker aufzubauen und damit sie sich für die Ziele des Netzwerks einsetzen. Wer sich mit Tweets und Mails bei Global Citizen engagiert, sammelt Punkte und kann dann zwei der begehrten Eintrittskarten für ein Global Citizen Festival bekommen. So auch Tobias. "Das Lineup ist sensationell und das wird ein toller Abend", sagt er bevor er durch die Eingangskontrolle ins Innere der Veranstaltungsarena verschwindet.
"Every girl counts"
Drinnen tauchen Scheinwerfer die Besuchermenge abwechselnd in rotes oder blaues Licht. Um 18 Uhr betreten die Moderatorin Barbara Schöneberger und Comedystar Carolin Kebekus die Bühne. Und sofort kommen die beiden auf das erste große Thema, das sich Global Citizen auf die Fahnen geschrieben hat: Die Rechte junger Frauen und Mädchen. "Every girl counts" rufen sie der Menge zu, die bereitwillig den Ruf wiederholt.
Etwas Unruhe kommt auf, als Olaf Scholz, Hamburgs Bürgermeister, auftritt und das Publikum begrüßt. Einzelne, aber unüberhörbare Buh-Rufe schallen durch die Arena. Die Zahl seiner Kritiker ist in den vergangenen Monaten gewachsen - nehmen sie ihm doch übel, dass er den G20-Gipfel mit all seinen Straßensperren und Demonstrationsverboten in die Stadt ließ.
"Ihr seid schon heute Anführer"
Scholz wird nicht der einzige Politikerauftritt bleiben. Aber bei Kanadas Premierminister Justin Trudeau bricht das Publikum in Jubel aus, als ob der erste musikalische Superstar die Bühne betreten hätte. "Ihr seid nicht die nächsten Anführer, ihr seid es schon heute!" Kämpferisch fordert der Regierungschef in Jeans, T-Shirt und Jacket die Anwesenden auf, sich gegen extreme Armut und Ungleichheit auf der Welt zu engagieren.
Dann endlich gegen 19 Uhr ist es soweit: Chris Martin mit Coldplay treten als erster Act auf. Irgendwo zwischen Coldplay-Hits und einem Duett mit Shakira appelliert auch Chris Martin: "Engagiert Euch!"
Haltet zusammen
Die Boxen dröhnen, der Bass wummert, die Menge jubelt. Die folgenden vier Stunden sind ein Mix aus Show und Unterhaltung. Die einzelnen Acts werden immer wieder von Moderationen, Talks und Einspielfilmen unterbrochen. Bildung, Klimaschutz, sauberes Wasser, Seuchenbekämpfung, Frauenrechte, Kampf gegen den Hunger. Die Botschaft aller Beiträge: Es ist schon viel geschafft, aber es gibt auch noch viel zu tun. Haltet zusammen, dann können wir es schaffen.
Trotz vieler ernster Themen und vieler Appelle bleiben die meisten "Global Citizen" im Saal, wenn Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vor einem neuen Rüstungswettlauf warnt, Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe bemüht emotional ins Mikrofon sagt: "Die Ungeduld der Global Citizen ist die Rückenstärkung für die Weltgesundheitsorganisation." Der Chef des Welternährungsprogramms, David Beasley, ruft zum Kampf gegen den Hunger auf. Und ein Kreditkartenunternehmen verspricht öffentlichkeitswirksam, 100 Millionen Mahlzeiten für die Hungernden der Welt finanzieren zu wollen. Umjubelt wird auch die alternative Nobelpreisträgerin Vandana Shiva als sie das Publikum daran erinnert, dass der Klimawandel meist auf Kosten derer gehe, die die Umweltverschmutzung nicht hauptsächlich verursacht haben.
Lob und Belohnung für die "Global Citizen"
Die Liste der Redner ist lang an diesem Abend. Zum G20-Gipfel treffen sich Mächtige, Wichtige und Schlaue. Auf die Bühne dürfen jene, die die Ziele von "Global Citizen" öffentlich unterstützen und fördern. Sie treffen auf Gleichgesinnte, die für ihr Engagement an diesem Abend nicht nur immer wieder gelobt, sondern in Form von Musik auch belohnt werden.
Es ist ein Fest für alle Altersgruppen. Jugendliche stehen neben ihrer Elterngeneration - und auch bereits ergraute Menschen sind im Saal. Die Atmosphäre pendelt zwischen Enthusiasmus und Aktionswille - gepaart mit Respekt. Als das für solche Massen übliche Grundrauschen die zarten Mondscheinsonatenklänge von Khatia Buniatishvili am Flügel stört, gehen Schscht-Laute durch die Arena und es wird sofort leiser.
Beim Auftritt von Pharell Williams hört man dagegen kaum das Publikum. Er holt etwa 50 Zuschauer auf die Bühne, tanzt mit ihnen und singt "Freedom".
"Es bleibt alles anders"
Mit Herbert Grönemeyer, auf den Tobias aus Essen so sehnsüchtig wartet, läuft das Global Citizen Festival in Hamburg auf seinen letzten Höhepunkt zu. Grönemeyer ruft Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, beim G20-Gipfel fehlende Milliarden Euro für die Bekämpfung des Hungers in der Welt von den anwesenden Staats- und Regierungschefs zusammenzutragen, ansonsten könne sie den Gipfel gleich absagen. Die Menge jubelt. "Wir müssen zusammenhalten. Es bleibt alles anders." Der Jubel wird noch lauter.
Grönemeyer steht dann noch gemeinsam mit Chris Martin auf der Bühne und den Hit "Zeit, dass sich was dreht" singt er zusammen mit Andreas Bourani. Nach einem Abschlusslied über einen Flüchtling ist das Festival vorbei. "Nehmt den Spirit mit nach Hause", ruft Moderatorin Schöneberger den Massen hinterher, die in Richtung Ausgang strömen.
"Mit neuer Energie nach Hause"
Lea kann sich nicht mehr erinnern, wie viele E-Mails und Tweets sie geschrieben, wie viel Geld sie an Organisationen gespendet hat, um an die Karten ranzukommen. Für sie hat es sich gelohnt: "Ich gehe mit neuer Energie nach Hause." An Leas Seite steht ihre Mutter und auch sie ist von dem Abend beeindruckt: "Ich bin ganz aufgewühlt und aufgerüttelt. Es war cool." Die Art, wie Global Citizen Menschen politisiert, findet Gabi richtig: "Lea hat sich vorher nie wirklich Gedanken um so etwas gemacht." Nicht nur die beiden verlassen lächelnd und sichtbar glücklich das Festival. Es ist fast Mitternacht.
Draußen - unter einer Straßenlaterne - spielt jemand sanft E-Gitarre, einige Festivalbesucher bleiben stehen, scharren sich um ihn. Sie stimmen in die Melodie ein und singen leise: "Killing me softly with this song." Der Lärm eines landenden Passagierflugzeugs stört die Szene. Offenbar kommt gerade ein Staats- oder Regierungschef an. Eigentlich gilt ein striktes Nachtflugverbot in Hamburg, aber nicht in diesen Tagen. Der G20-Gipfel macht dieser Tage vieles möglich.