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Glaubensnöte

Amin Farzanefar, Qantara.de29. März 2007

Im deutsch-türkischen Film "Takva" geht es um den Konflikt zwischen traditionell-religiösen und modernen Lebenswelten. Amin Farzanefar hat sich mit dem Regisseur unterhalten.

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Ein streng religiöser Moslem aus einfachen Verhältnissen begibt sich in eine Welt von Heuchelei und AlkoholmissbrauchBild: picture-alliance/dpa

Qantara.de: In Deutschland ist eine Debatte in den Medien entbrannt, inwieweit der extreme Islam eine Gefahr darstellt. Türkische, arabische und andere Muslime geraten dadurch verstärkt unter Generalverdacht. Ihr Film zeigt uns nun einen Fundamentalisten, der überhaupt nicht gefährlich lebt, aber dennoch seine Probleme hat. Ist das eigentlich der erste Film über dieses Thema in der Türkei?

Özer Kiziltan: Es gibt viele Filme über islamische Themen im türkischen Kino, aber innerhalb einer Moschee, einer Ordensgemeinschaft zu drehen, das hat es bisher noch nicht gegeben. Das so genannte white Cinema hat einige islamische Propagandafilme hervorgebracht. Vor allem aber gab es viele Filme, welche die Derwische angreifen und den Islam verspotten, wie etwa "Vurun kahpeye" ("Erschlagt die Dirne"). Wir wollten dagegen einen friedlichen Ansatz finden.

Und wie kam es zu der Geschichte Ihres Films?

Der Vater unseres Drehbuchautors, Önder Cakar, war bis zum Alter von 55 Jahren Atheist. Dann fand er zum Glauben und wurde ein sehr frommer Muslim. Die Hauptidee zum Film stammt von seinem Vater, und wir haben etwa fünf Jahre daran gearbeitet, das Drehbuch 20 Mal überarbeitet und sechs neue Fassungen geschrieben. Dabei entstanden neue Ideen, neue Figuren und andere Schauspieler kamen hinzu.

"Takva" wirkt außerordentlich realitätsnah - etwa das Sufiritual, das so genannte "Dhikr", das wie aus einem Dokumentarfilm wirkt. Inwieweit sind auch dokumentarische Elemente im Film enthalten?

Alles sollte eng an die Realität des Ordenslebens angelehnt sein. Und das war vor allem Ergebnis intensiver Recherchen und Gespräche. Allerdings hatten wir beim "Dhikr" tatsächlich sowohl Schauspieler als auch richtig strenggläubige Derwische dabei, deren Freunde auch mitgespielt haben.

Gab es von Seiten des Ordens denn keinen Widerspruch gegen das Projekt?

Die Derwische haben uns während des gesamten Film-Entstehungsprozesses sehr stark geholfen, weil der Film ja von ihren eigenen Problemen erzählt, und weil sie sich von unserem Drehbuch angesprochen fühlten. Da sie glauben, dass uns in dieser Welt nichts wirklich berühren oder schaden kann, war es für sie kein Problem, am Film mitzuwirken. Sie sahen darin positive Ansätze und hatten nichts hieran auszusetzen.

Wollen sich diese Derwische auch persönlich verändern, wenn sie jetzt die Existenz solcher Probleme und Gewissenskonflikte akzeptieren?

So etwas kann man sie nicht direkt fragen. Aber sie sind im Zweifel darüber, ob sie weiterhin vergeistigt leben oder sich mehr dem Weltlichen zuwenden sollen. Das ist tatsächlich ein Problem.

"Takva" bedeutet ja Askese. Und der sexuelle Notstand treibt den Protagonisten allmählich in den Wahnsinn. Sollte Muharrem noch enthaltsamer leben oder sein Begehren akzeptieren?

Es gibt viele Gründe, warum Muharrem allmählich verrückt wird. Er will ein guter Mensch sein, Gott nahe sein, aber es gibt die Verlockungen des Geldes, die Politik, und die Tochter des Scheichs. Das ist ein kompliziertes Puzzle, eine tragische Geschichte und viele Muslime empfinden Mitleid für Muharrem.

Bisweilen hört man die Meinung von aufgeklärten Türken: "Wir sind aus Istanbul, bei uns, in unserer Umgebung gibt es das nicht". Sind sie wirklich so entfremdet von den religiösen Traditionen des Landes?

In der Geschichte von Istanbul spiegelt sich die Geschichte dieser Ordensgemeinschaften wider. In Istanbul gibt es 2500 Ordenshäuser, in der gesamten Türkei sind es 25.000, und selbst unsere Regierung gehört zu ihnen. Sie sind überall vertreten.

Die Trennung zwischen Moderne und Religion geht also nicht so tief?

Ich selber bin Atheist, ich glaube nicht an Gott, und doch haben Derwische und Gläubige mit mir zusammengearbeitet. Also kann ich diese Trennung nicht erkennen. Viele unserer modernen Atheisten haben gläubige Eltern. Wir sind gar nicht so weit auseinander. Und der Scheich des betreffenden Ordens hat gerade den Film gesehen und mir vor ein paar Minuten gratuliert.

Dieser Film hätte sicher ohne einen Ausnahmeschauspieler wie Erkan Can nicht funktioniert. War es schwierig, die Rolle zu besetzen - und wie kam es, dass er sie so gut umsetzte?

Er hatte fünf Jahre lang Zeit, sich auf diese Rolle vorzubereiten. Und als bedeutender Schauspieler ist er für uns unersetzlich gewesen. Von Anfang an war klar, dass Erkan Can mitspielen würde. Er gehört zu unserer Gruppe "Yeni Sinemacilar" ("Neue Filmemacher") und hat zuvor bei fünf meiner Produktionen mitgewirkt. Er wird auch an unserem 150. Projekt beteiligt sein.

Sie haben in Antalya neun Preise gewonnen, und danach einen Überraschungserfolg beim türkischen Publikum erzielt. Zuletzt lief "Takva" auf der Berlinale. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Um ehrlich zu sein: Das frage ich mich auch.

Wie kam es eigentlich zur Zusammenarbeit mit Fatih Akin, der ja als Ko-Produzent auftritt?

Ich habe Fatih vor vielen Jahren auf dem "Antalya Film Festival" kennen gelernt, und wir sind jetzt befreundet. Wir denken sehr ähnlich über das Kino, und als wir die Story zu "Takva" fanden, wurden wir uns schnell einig. Dabei muss auch unser verstorbener Freund Andreas Thiel erwähnt werden. Er wollte als Koproduzent das Projekt unbedingt umsetzen.

Apropos: Hat sich eigentlich seit "Gegen die Wand" etwas in der deutsch-türkischen Zusammenarbeit verändert?

Diese Freundschaft reicht doch viel weiter zurück als bis "Gegen die Wand" - bis hin zu Serif Gören, der mehrere Koproduktionen in Deutschland gemacht hat. Wir kennen viele Regisseure, die dort leben. Auch Fatih Akin hat jetzt in der Türkei einen neuen Film gedreht, und wir haben ihm dabei geholfen. Man kann vieles zusammen machen. Es ist nicht wichtig, ob man in Deutschland oder Kanada lebt.