Gipfeltreffen gibt Hoffnung für Ukraine
20. Oktober 2016Der wohl letzte Demonstrant vor dem Kanzleramt stapft langsam abends mit seinem Pappschild vor der Polizeiabsperrung hin und her: "Stop talking, stop putin, time for action, stop war", steht auf dem Schild von Mohammed Ali: "Hört auf zu reden, stoppt Putin, handelt, beendet den Krieg." Die Schrift ist ein wenig krakelig und schief. Ein Kamerateam beobachtet ihn kurz, wendet sich dann wieder ab.
Er wisse, sagt der Syrer, der seit fast fünf Stunden seine Runden dreht, dass das Ganze doch nichts bringe. Er zuckt mit den Schultern. Aber: "Ich musste doch irgendetwas tun." Er stammt, sagt er, aus dem Osten von Syrien, dort, wo die Kämpfe, die Bomben und das Sterben seit Langem Alltag sind.
Denn im Kanzleramt, hinter der Absperrung trifft sich die sogenannte Normandie-Gruppe, um über die Ukraine und Syrien zu beraten. Sie besteht aus den Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, der Ukraine, Petro Poroschenko, dem französischen Präsidenten Francois Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schon im Vorfeld hatten alle Seiten abgewiegelt - Fortschritte seien, so der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert, eher nicht zu erwarten. Er wolle, erklärte er Journalisten in Berlin am Nachmittag vor dem Treffen, die "Erwartungen tief hängen."
Fünf Stunden Gespräche über die Ukraine
Das Zusammentreffen an sich gilt schon als Erfolg. "Eine Bestandsaufnahme" hatte die deutsche Regierungschefin angekündigt. In dieser Zusammensetzung hat man sich das letzte Mal vor einem Jahr getroffen. Kremlchef Putin erreichte das Kanzleramt gegen 18.30 Uhr, da warteten seine Gesprächspartner Poroschenko, Hollande und Merkel schon eine Stunde auf ihn. Lächeln für die Kameras, Handschlag. Es war der Auftakt für eine lange Nacht.
Zunächst setzten sich die vier Politiker zusammen, um über die Ukraine zu sprechen. Dort ist der Friedensprozess, den die Runde seit 2014 in Gang gebracht hatte, seit langem festgefahren. Im Februar 2015 wurde im weißrussischen Minsk ein Friedensplan geschlossen, der weiterhin als Grundlage für die Verhandlungen gilt. Dieses sogenannte Minsk-Abkommen sieht neben einem Waffenstillstand und dem Abzug schwerer Waffen von der Front auch Wahlen in den Separatisten-Gebieten vor. Eigentlich ist bisher kein Punkt wirklich umgesetzt worden, die Situation festgefahren. Kurz: Eine "friedliche, abschließende Lösung" nicht in Sicht, so sagte es der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor den Gesprächen.
Doch dann, den Prognosen zum Trotz: Poroschenko verließ das Kanzleramt um 23.15 Uhr nicht mit gänzlich leeren Händen. Man habe sich auf eine neue Roadmap auf Grundlage der Minsker Vereinbarungen geeinigt, sagte der ukrainische Präsident. In vier Frontabschnitten sollten die Kampfverbände abziehen und im Donbass soll eine bewaffnete Polizeimission beginnen. Aber Poroschenko beharrt auch darauf, dass es in den umstrittenen Gebieten erst dann Wahlen geben könne, wenn alle ausländischen - das meint russische - Truppen abgezogen seien. "Das Gute ist, dass wir jetzt eine Ausgangsvereinbarung haben, aber es ist noch ein hartes Stück Arbeit", sagte Merkel im Anschluss.
Ringen um Waffenruhe in Aleppo
Danach blieben Hollande und Putin bei Merkel zurück, um über die Lage in Syrien zu sprechen. Die deutsche Regierungschefin und der französische Präsident hatten bei diesem Punkt in den vergangenen Wochen nicht an Kritik gespart. Sie werfen Moskau vor, zusammen mit der syrischen Luftwaffe massive Angriffe auf die Zivilbevölkerung und vom Westen unterstützte Rebellen durchzuführen. Russland hatte kurz vor dem Gipfel eine einseitige Waffenruhe für die einstige Handelsmetropole Aleppo verkündet und diese darauf sogar etwas verlängert.
Aber bei diesem Thema blieben die Fronten offenbar verhärtet. Die Kanzlerin sprach im Anschluss an das Gespräch zu Dritt von einer "klaren und harten Aussprache". Sie habe deutlich gemacht, dass die Bombardierungen "unmenschlich" seien. Es sei nicht gerechtfertigt, eine Stadt mit 300.000 Menschen zu bombardieren, um den Terrorismus zu bekämpfen. "Wir können die Sinnhaftigkeit dieser Strategie nicht erkennen - wie will man einen Friedensprozess aufbauen, wenn so ein Angriff auf die Zivilbevölkerung passiert?" Was in Aleppo geschehe, sagte Hollande, "ist ein Kriegsverbrechen." Er plädierte für eine "echte" Waffenruhe durch das russische und syrische Regime.
Deutschland und Frankreich drängen auch auf eine Waffenruhe für ganz Syrien, damit humanitäre Hilfe vor Ort geleistet werden kann und einen politischen Prozess, um den Krieg zu beenden. Es gebe, so Merkel, eine russische Verantwortung Einfluss auf Assad auszuüben. "Das geht über den heutigen Tag hinaus." Merkel kündigte weitere Gespräche auf der Ebene der Außenminister an.