Gidon Kremer: "Nicht gleichgültig bleiben"
4. Oktober 2013DW: Herr Kremer, was wollten Sie mit dem Konzertmotto "To Russia With Love" ausdrücken?
Gidon Kremer: Dass es uns nicht gleichgültig ist und wir jenen beistehen, die in Not sind. Wir lieben Russland - unabhängig davon, wo wir wohnen.
Das Konzert findet am 7. Oktober statt – dem Todestag von Anna Politkowskaja…
Das ist eher ein symbolischer Zufall. Der Tod dieser großartigen Frau ist das Eine. Das Andere ist der ganze Kreis der Opfer von Ungerechtigkeit und Verfolgungen in Russland. Es geht genauso um Mikhail Khodorkowski oder die Mädels von "Pussy Riot". Ich will konkrete Namen nicht aufzählen. Man kommt schnell in Gefahr, jemanden zu vergessen.
Meinen Sie, dass man mit solchen Aktionen etwas Konkretes erreichen, etwas verändern kann?
Ich glaube nicht, dass dieses Konzert einen unmittelbaren Einfluss auf die Situation in Russland haben kann. Ich bin auch kein Politiker und hatte nie vor, einer zu werden. Meine Sache ist die Musik. Nur bin ich von meiner Jugend an mit der Überzeugung aufgewachsen, meine Tätigkeit als Musiker muss auch einen Sinn haben. In einem solchen Konzert sehe ich durchaus einen Sinn. In vielen anderen Konzertveranstaltungen dagegen nicht. Oft geht es bloß um Eitelkeiten, Geld und Unterhaltung.
Zum Programm des Konzertes gehören russische Klassiker wie Rachmaninov und Tschaikowski. Dazu noch Werke lebender Komponisten wie Leonid Desyatnikov, Arvo Pärt, Sofia Gubaidulina oder Gia Kancheli. Haben diese Komponisten den Wunsch geäußert, in diesem Konzert vertreten zu sein?
Arvo Pärt hat bereits mit seiner Vierten Symphonie seine Solidarität mit Mikhail Khodorkowski bezeugt. Ebenso Gia Kancheli: Sein Werk "The Angel of Sorrow", dessen Uraufführung im Mittelpunkt des Berliner Konzertes stehen wird, ist dem 50. Geburtstag von Khodorkowski gewidmet.
Das Konzert findet in Berlin statt. Sie wollen aber noch ein viel breiteres Publikum ansprechen, auch in Russland?
Natürlich. Noch vor drei Jahrzehnten habe ich den Spruch gehört: "Wenn Sie im Ausland leben, sind Sie kein sowjetischer Musiker mehr!". Stimmt nicht: Sehr viele, die nicht in Russland leben, lieben dieses Land und machen sich Sorgen um bestimmte Prozesse, die da zu beobachten sind und uns allzu stark an die alte Sowjetunion erinnern.
Was sind es für Prozesse?
Wenn man den Brief von Nadeschda Tolokonnikova von "Pussy Riot" über die Haftbedingungen in der Strafkolonie liest, muss man regelrecht an die Inquisition denken. Man kann da einfach nicht gleichgültig bleiben. Ich glaube auch, dass man heute in Russland dazu tendiert, den Feind in dem Anderen zu sehen, statt bei sich selbst anzufangen. Ich muss immer an den Satz von einer meiner guten russischen Bekannten denken: "Du verstehst nicht, Gidon - hier herrscht ein schreckliches Chaos, aber genau das liebe ich!". Diese Chaos-Liebe, verbunden mit dem Unwillen, selbst Verantwortung zu übernehmen, geht aber Hand in Hand mit der Anbetung der "starken Hand", die dann doch eine gewisse Ordnung schafft. Und genau diese Mischung aus Passivität und dem Gefühl, einer höheren Macht ausgeliefert zu sein, lehne ich ab.
Das "Konzert für die Menschenrechte in Russland" findet am 7. Oktober statt - jenem Tag, an dem die russische Bürgerrechtlerin und Journalistin Anna Politkowskaja vor sieben Jahren (2006) vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen worden ist. Ganz zufällig hat der russische Präsident Wladimir Putin am gleichen Tag Geburtstag.
Der renommierte Violinist Gidon Kremer versteht unter Musik mehr als schöne Töne. Bereits 2009 in Leipzig und 2011 in Straßburg hat er mit ähnlich politisch motivierten Konzerten auf die untragbare Menschenrechtssituation in Russland hingewiesen. Nun wird die Reihe mit einem Konzert im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie fortgesetzt. DW sprach mit Gidon Kremer über das Projekt.
DW-Reporterin Anastassia Boutsko hat mit Gidon Kremer über das Projekt gesprochen.