Gewalt im Südsudan zerstört Hoffnung auf Demokratisierung
17. Dezember 2013Noch bevor er ein Wort sagte auf der Pressekonferenz am Montag (16.12.2013), hatte Südsudans Präsident Salva Kiir allen Anwesenden vor Augen geführt, für wie ernst er die Lage hält: Zum ersten Mal seit er an der Spitze des erst zweieinhalb Jahre alten afrikanischen Staates steht, trat er nicht im schwarzen Anzug mit seinem Markenzeichen, einem riesigen Cowboy-Hut auf, sondern in der Kampfmontur des Oberkommandierenden der südsudanesischen Armee. Kiir gab bekannt, dass ein Putschversuch "unzufriedener Soldaten" gegen ihn gescheitert sei.
Seit Sonntagnacht waren in Südsudans Hauptstadt Juba heftige Schießereien zu hören gewesen. Offenbar wurden unter anderem Verteidigungsministerium und Kasernen der Armee angegriffen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Dienstag unter Berufung auf das Gesundheitsministerium von mindestens 26 Toten, die in Krankenhäusern registriert worden seien. Die tatsächliche Opferzahl dürfte deutlich höher liegen, sagte ein Ministeriumssprecher. Mehr als zehntausend Zivilisten suchten Schutz bei der UN-Blauhelmtruppe UNMISS. Der Flughafen von Juba wurde geschlossen. Der Präsident erklärte jedoch am Montag seinen Landsleuten, die Regierung habe die Lage "unter ihrer vollen Kontrolle. Die Angreifer sind geflohen und unsere Kräfte haben die Verfolgung aufgenommen. Ich verspreche Ihnen, die Gerechtigkeit wird siegen!"
In der Nacht zum Dienstag flammten die Kämpfe wieder auf. Nach Augenzeugenberichten, waren in mehreren Teilen Jubas wieder Schüsse zu hören. Die Sicherheitskräfte würden letzte, vereinzelte Aufständische bekämpfen, teilte das Außenministerium am Dienstag mit.
Dominanz der Ex-Rebellen
Der Gewaltausbruch, dessen Hintergrund bis jetzt nicht gänzlich aufgeklärt ist, Kiirs ungewöhnlich martialischer Auftritt und sein Versprechen von "Gerechtigkeit" gegenüber seinen Gegnern beunruhigen Beobachter. Seit der Südsudan 2011 seine Unabhängigkeit erlangte, machte der junge Staat, der trotz reicher Ölvorkommen zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehört, hauptsächlich negative Schlagzeilen. Mehrfach kam es zu gewalttätigen ethnischen Auseinandersetzungen. Politiker sollen mehrere Milliarden Dollar veruntreut haben. Im Streit mit dem ehemaligen Mutterland Sudan stoppte Kiir den Export von Erdöl, die einzige nennenswerte eigene Einnahmequelle des Südsudan. In diesem Jahr hatten mehrere Spitzenpolitiker der regierenden Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) erstmals eine Art Oppositionsgruppe gegenüber dem Präsidenten gebildet. Unter anderem hatte der von Kiir im Sommer 2013 entlassene Ex-Vize-Präsident Riek Machar angekündigt, 2015 zur Präsidentschaftswahl anzutreten.
"Erstmals zeichnete sich so etwas wie eine politische Ausdifferenzierung in der südsudanesischen Politik ab", sagt Annette Weber, die bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin über den Südsudan forscht. Wären diese Auseinandersetzungen mit Hilfe von Wahlen auf politischer Bühne ausgetragen worden, hätten sie eine Chance sein können, das politische System vielfältiger und demokratischer zu machen, sagt Weber. Bislang wird die sudanesische Politik völlig von der ehemaligen Rebellenbewegung SPLM dominiert, die mehr als 90 Prozent der Parlamentssitze innehat und eng mit Armee, Polizei und Bürokratie verflochten ist. Trotz eines formell demokratischen Systems gibt es bislang keine politischen Alternativen.
Kiirs Gegner verhaftet
Die Hoffnung, dass sich eine solche Alternative entwickle, habe sich inzwischen allerdings zerschlagen, sagt Weber. Eine Gruppe geschasster SPLM-Funktionäre um Ex-Vizepräsident Machar hatte Anfang Dezember bei einer aufsehenerregenden Pressekonferenz Kiir diktatorisches Verhalten vorgeworfen, und eine Neuwahl der Parteiführung durch die zuständigen Gremien gefordert. Auch die einflussreiche Witwe des legendären SPLM-Gründers Johng Garang, Rebecca Nyandeng Garang, schloss sich diesem Kreis an. Kiir und seine Unterstützer ignorierten diese Forderungen jedoch und warfen ihren Gegner vor, zu einem Kreis korrupter Politiker zu gehören, die den Staat ruiniert hätten. Auch den mutmaßlichen Putsch schrieb Kiir umgehend dieser Gruppe unter Machars Führung zu. Die meisten von ihnen, darunter der ehemalige Außenminister und der ehemaliger SPLM-Generalsekretär, sind inzwischen verhaftet. Nyandeng Garang steht seit Dienstag unter Hausarrest. Nur Machar konnte offenbar untertauchen.
"Statt sich für eine demokratische Auseinandersetzung zu entscheiden, hat diese Generation von Politikern im Südsudan, die so lange in Kriegen und Konflikten verbracht hat, wieder auf das besonnen, was sie am besten kann: Konflikte militärisch austragen", sagt Annette Weber mit dem Blick auf die Kämpfe in Juba. Kiir, dem Menschenrechtler seit Langem vorwerfen, seine Macht unter anderem mit massiven Einschränkungen von Presse- und Meinungsfreiheit zu zementieren, könnte die Gelegenheit nutzen, jetzt mit seinen Gegnern ein für alle Mal aufzuräumen, fürchtet Weber. Das lege nicht zuletzt sein ungewohnter Auftritt im Kampfanzug nahe. Sie sei "nicht optimistisch", dass die verfeindeten Gruppen ihren Streit schnell und friedlich beilegen könnten, sagt Weber.
Machtbalance zerstört
Ähnlich beurteilt Marc Lavergne, politischer Analyst vom französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung, die Entwicklung. Bereits die Entlassung von Vize-Präsident Machar sei eine "Mini-Revolution" gewesen, denn die Machtbalance dieser zwei Rivalen und ehemaligen Bürgerkriegsführer sei "Grundlage der Regierung" gewesen. Verschärft werde der Machtkampf durch die bereits jahrzehntealte Feindschaft zwischen Kiir und Machar, die in den 90er Jahren unterschiedlichen Flügeln der SPLM angehörten, die sich brutal bekämpften. Zudem mischten sich zunehmend ethnische Rivalitäten mit den politischen Auseinandersetzungen. Kiir gehört zu den Dinka, zur größten Volksgruppe im Südsudan, während Machar der Nuer-Minderheit angehört.
James Shimanyula, DW-Korrespondent in Kenia und Autor mehrerer Bücher über die SPLM und den Südsudan, vermutet, dass es sich bei den mutmaßlichen Putschisten um Gefolgsleute Machars handelt. Sorge bereiten ihm Berichte aus Juba, dass Machar mit der Regierung des Sudan in Khartum Kontakt aufgenommen habe, von der sich der Südsudan 2011 nach einem jahrzehntelangen, blutigen Krieg gelöst hatte. "Sollte Khartum zugunsten Machars in den Machtkampf eingreifen, würde das die Situation vollends destabilisieren."