Innenminister alarmiert
27. Dezember 2015Ein Brandanschlag auf eine im Bau befindliche Flüchtlingsunterkunft im baden-württembergisch schwäbischen Gmünd, Angriffe auf zwei Asylunterkünfte in Sachsen und in Dresden und ein Brandanschlag im bayerischen Wallerstein auf zwei Häuser, in denen Menschen mit Migrationshintergrund wohnen - das ist die traurige Bilanz fremdenfeindlicher Übergriffe während der Weihnachtsfeiertage.
Jeden Tag mindestens ein Mensch Opfer fremdenfeindlicher Gewalt
Die Zahl solcher Attacken hat in diesem Jahr stark zugenommen. So verzeichnet das Bundesinnenministerium bis Mitte Dezember 850 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, das sind mehr als vier Mal so viele wie 2014. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsheime gegenüber dem Vorjahr sogar mehr als versechsfacht auf 187. Eine Entwicklung, die Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) als "zutiefst beschämend" empfindet.
Gleichzeitig wächst auch die Zahl der Gewalttaten aus fremdenfeindlichen Motiven - in den vergangenen fünf Jahren um 50 Prozent. Nach Zahlen des Bundesinnenministeriums wurde dieses Jahr jeden Tag mindestens ein Mensch Opfer fremdenfeindlicher Gewalt in Deutschland. Bis einschließlich September wurden bereits 389 Gewalttaten aus fremdenfeindlichen Motiven mit 300 Verletzten registriert.
Rechtsextremisten werden militanter
Zahlen, die die Innenminister der Bundesländern und Verfassungsschützer alarmieren. Zwar gebe es seit mehr als zehn Jahren eine "schleichende Radikalisierung" im rechten Lager, aber auch bei Linksextremen sowie gewaltbereiten Fußballfans, wie Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU), betont. Doch nach seiner Einschätzung hat die Flüchtlingsdebatte die Hemmschwelle der Rechtsextremisten weiter herabgesetzt.
"Die Szene wird militanter", stellt auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Jäger fest. "Die Zahl der Veranstaltungen und Demonstrationen, die Hass und Wut auf Flüchtlinge schüren, hat deutlich zugenommen." Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) registriert, dass die Hetze im Internet zunehmend schärfer werde. Schleswig-Holsteins Verfassungsschutzchef Dieter Büddefeld beobachtet in seinem Land zwar nur einen moderaten Anstieg beim Rechtsextremismus, macht sich aber auf Schlimmeres gefasst: "Die Rechtsextremisten sind in Lauerstellung. Sie sagen sich: Das Thema Flüchtlingskrise treibt uns die Leute automatisch zu."
Zulauf für rechte Szene
Auch andere Verfassungsschützer und Innenminister fürchten, dass die rechte Szene im Windschatten des anhaltenden Flüchtlingszustroms Zulauf bekommt. So beobachte man in Nordrhein-Westfalen, dass die Rechtsextremisten verstärkt versuchten, die bürgerliche Gesellschaft mit ihren Parolen zu erreichen, berichtet Innenminister Jäger. "Dass Rechtsextreme Wind in ihren Segeln fühlen, lässt sich nicht bestreiten", betont auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Leider seien bundesweit einige Menschen derzeit verunsichert und dadurch empfänglich für ausländerfeindliche Parolen.
Nach Ansicht von Weil kann nur ein klarer Kurs der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik den Erfolg von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien und Gruppierungen verhindern. "Es reicht nicht, nur zu sagen 'Wir schaffen das', der Staat muss auch belegen, dass er es schafft und auch sagen, wie er es schafft", sagte der SPD-Politiker mit Blick auf das Thema Flüchtlingshilfe.
Politik in der Pflicht
Sein Innenminister Boris Pistorius (SPD) sieht alle Politiker in der Pflicht: Sie müssten offen sein, informieren und denjenigen Menschen, die verständliche Sorgen haben, auch helfen. Es sei nicht sinnvoll, jemanden in die rechte Ecke zu stellen, weil er sich Sorgen mache, dass es zu viele Flüchtlinge werden oder dass die Gesellschaft es nicht schafft, sie zu integrieren, meinte Pistorius.
In Niedersachen könne man bislang noch keine allgemeine Radikalisierung feststellen, hob Ministerpräsident Weil hervor. Zwar habe es 2015 auch in seinem Bundesland schlimme Vorfälle gegeben. "Aber das sind erfreulicherweise absolute Ausnahmen." In Ostdeutschland stelle sich die Situation leider anders dar. Tatsächlich geht beispielsweise der Verfassungsschutz in Dresden von "einer sehr hohen Gefahrenlage" und weiterem Zulauf für die Rechtsextremisten-Szene aus. Bislang sind ihnen schon 2500 Radikale bekannt.
Keine härteren Strafen
Mit schärferen Strafen sei dem aber nicht beizukommen, sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz und rheinland-pfälzische Amtschef Roger Lewentz (SPD). Stattdessen sei das mögliche Strafmaß auszuschöpfen. Bürger, die an Demonstrationen des islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses teilnehmen, warnte er: "Diese Menschen müssen alle wissen, wen sie dort durch Anwesenheit unterstützen und im Zweifelsfall auch potenziell stark machen, nämlich Rechtsextreme."
ww/fab (dpa, BMI)