Geteiltes Echo auf Mercosur-Abkommen
29. Juni 2019Der Präsident des Deutschen Industrie und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer, sprach von einer "überaus positiven Nachricht in einem ansonsten eher trüben weltwirtschaftlichen Umfeld". Noch euphorischer äußerte sich der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Holger Bingmann: "Wir sind überglücklich, dass dieses historische Abkommen nach äußert langen und zähen Verhandlungen nun zu einem erfolgreichen Abschluss kommt."Damit entstünde die größte Freihandelszone der Welt mit mehr als 770 Millionen Menschen.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel feierte gemeinsam mit anderen Staats- und Regierungschefs aus der EU und Südamerika die Einigung. Bei einem kurzen Spitzentreffen am Rande des G20-Gipfels lobte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker den Abschluss der Verhandlungen "als echten historischen Moment".
Sorgen bei deutschen Bauern und Grünen
Kritik kommt vom Deutschen Bauernverband (DBV). Dieser befürchtet, dass das Handelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten die Zukunft vieler deutscher Familienbetriebe bedroht. Ungleiche Anforderungen bei Umwelt- und Klimaschutz, Antibiotikaeinsatz und Pflanzenschutz sowie eine mangelhafte Absicherung des europäischen Marktes würden zu einer dramatischen Wettbewerbsverzerrung führen - insbesondere bei Rindfleisch, Geflügel und Zucker, warnte der Verband. "Es ist nicht zu akzeptieren, dass die EU-Kommission diese völlig unausgewogene Vereinbarung unterzeichnet. Dieses Handelsabkommen ist Doppelmoral pur", erklärte DBV-Präsident Joachim Rukwied. Dabei übersieht Rukwied offenbar, dass in Uruguay, einem der größten Rindfleischproduzenten, von Gesetz wegen in der Viehwirtschaft der Gebrauch von Hormonen und Antibiotika sowie aller Arten von antimikrobiellen Stoffen zur Leistungsförderung (AML) verboten ist, wie die "Neue Zürcher Zeitung" schreibt.
Rukwied forderte die Staats- und Regierungschefs und das Europäische Parlament auf, die europäischen Standards für Landwirtschaft und Lebensmittel zu schützen. "Die Landwirtschaft darf nicht zugunsten der Automobilindustrie geopfert werden", so Rukwied.
Die Grünen werten das Abkommen als "fatale Entscheidung für Klimaschutz und Menschenrechte". "Dieses Abkommen sollte so nicht zum Abschluss gebracht werden", forderte die handelspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge. Die EU tausche "besseren Marktzugang für Autos gegen riesige Importe von Rindfleisch, Geflügel, Zucker und anderen Agrargütern". Das bedeute neue Weide- und Anbauflächen und werde "weitere Rodungen im Amazonasgebiet zur Folge haben".
Schub für Südamerika
In Südamerika ist man erleichtert, dass das Abkommen zustande gekommen ist. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro sprach von einem historischen Durchbruch. Sein Land erwarte in den kommenden 15 Jahren eine wachsende Wirtschaft und steigende Investitionen. EU-Handelskomissarin Cecilia Malmström wertete die Einigung als "eine laute und klare Botschaft" zur Unterstützung des freien Handels.
Ähnlich äußerte sich auch Argentiniens Präsident Mauricio Macri. "Das ist das wichtigste Abkommen, das wir unterzeichnet haben", sagte er. Es werde für zusätzliches Wachstum und neue Möglichkeiten für die Menschen in den beteiligten Ländern sorgen.
Für Mercosur ist die EU der erste größere Partner, mit dem der Bund einen Handelsvertrag abschließt. Nimmt man den Umfang der Zollerleichterung zum Maßstab, könnte das Handelsabkommen das lukrativste für die EU werden. Die Europäische Union kann mit dem Wegfall von Zöllen im Umfang von vier Milliarden Euro rechnen.
Zuletzt hatte die EU Bedenken bei Fleischimporten geäußert, während die südamerikanischen Ländern sich gegen eine Öffnung bestimmter industrieller Sektoren wie der Automobilindustrie sträubten. Brasiliens Präsident erklärte, sein Land werde nun bestimmte Quoten von Fleisch, Zucker und Ethanol in die EU exportieren können. Mehrere Agrarprodukte würden nun nicht mehr Zöllen unterliegen.
Das Abkommen muss noch einige Hürden nehmen. Frankreich und andere Länder fürchten eine starke Zunahme der Rindfleischimporte. Umweltgruppen kritisieren, durch das Abkommen könnte die Abholzung von Urwäldern beschleunigt werden. Alle EU-Mitglieder sowie das Europäische Parlament müssen dem Vertrag zustimmen.
Zeichen gegen Trump
Der gemeinsame Auftritt beim G20-Gipfel galt auch als Zeichen an US-Präsident Donald Trump. Dieser hatte Pläne für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP eingestampft und auch die US-Beteiligung am Pazifik-Handelsabkommen TPP aufgekündigt. Sowohl DIHK als auch BGA sehen den Abschluss der Verhandlungen als Zeichen gegen die aktuellen Handelskonflikte. "Die entstehende größte Freihandelszone der Welt ist mehr als nur ein Ausrufezeichen gegen den weltweit grassierenden Protektionismus", erklärte BGA-Präsident Bingmann. Ähnlich äußerte sich DIHK-Chef Schweitzer. Er erwartet einen verbesserten Marktzugang für Maschinenbauer, Automobilhersteller und die Ernährungsindustrie.
Die politischen Verhandlungen zwischen der EU und den Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay waren am Freitagabend abgeschlossen worden. Sie liefen mit Unterbrechungen bereits seit dem Jahr 2000. Über das Abkommen sollen Zölle und andere Handelshemmnisse abgebaut werden, um den Warenaustausch zu stärken und Unternehmen Kosteneinsparungen in Milliardenhöhe zu bringen.
Der Staatenbund Mercosur ist mit einer Bevölkerung von mehr als 260 Millionen Menschen einer der großen Wirtschaftsräume der Welt. Die EU kommt sogar auf mehr als 512 Millionen Einwohner.
cgn/kle (afp, dpa, rtr, nzz.ch)