Künstler und die Politik
18. September 201367.000 Unterschriften, 30 angesehene Autoren, ein Anliegen: Deutschland darf nicht zum Überwachungsstaat werden. Die Schriftstellerin Juli Zeh hat in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine klare Forderung formuliert: Sie soll die deutschen Bürger vor einer Ausspähung durch ausländische Geheimdienste schützen. Juli Zeh angeschlossen haben sich Schriftsteller-Kollegen wie Moritz Rinke, Eva Menasse oder Ilja Trojanow.
Die Unterschriftenlisten hat die Gruppe am Mittwoch (18.09.2013) vor dem Kanzleramt zu einem Turm aufgestapelt und der Regierung übergeben. In der Ankündigung für den "Marsch auf das Kanzleramt" hat die Gruppe der Regierung eine "strategische Verharmlosung" der NSA-Spionageaffäre vorgeworfen.
Tatsächlich ist es seit Langem der erste öffentliche Auftritt von deutschen Autoren zu einem politisch brisanten Thema. Viele von ihnen, so sagt Juli Zeh selbst, würden sich sonst eher ungern öffentlich zusammen tun und politisch aktiv werden. Datenschutz sei aber ein Thema, das die Intellektuellen wieder mehr an die Öffentlichkeit treibt, sagt sie in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
"Politisches Verbrechen"
In Juli Zehs Aussage schwingt mit, dass sich Deutschlands Künstler und Intellektuelle ansonsten nicht gerade eifrig in politische Diskussion einmischen. Vor allem in Wahlkampfzeiten halten sie sich mit klaren Bekenntnissen zurück. Die Wochenzeitung "Die Zeit" bat kürzlich deutsche Künstler und Intellektuelle darum, eine Wahlempfehlung abzugeben. Das Ergebnis: 58,3 Prozent der sonst eher als auskunftsfreudig und streitbar bekannten Teilnehmer - darunter der Philosoph Peter Sloterdijk oder die Schriftstellerin Thea Dorn - enthielten sich einer expliziten Meinung. Tenor: Wenn die großen Parteien sich in ihrer Politik derart gleichen, wie soll man eine Empfehlung aussprechen?
Das war früher anders: In den 1970er und 1980er Jahren gab es klare programmatische Unterschiede zwischen den großen Volksparteien in Deutschland. Damals ging es um grundsätzliche Fragen wie die Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis der Westmächte (NATO) oder den Umgang mit der sozialistischen DDR. Sollte man sich eher gen Westen, und damit an den USA orientieren? Oder sollte sich Westdeutschland dem Ostblock annähern und dadurch, so die Logik, eine schnelle Wiedervereinigung vorantreiben? Diese Grundsatzfragen spalteten damals nicht nur die Parteien, sondern natürlich auch die Intellektuellen - und führten zu einem hohen Maß an Engagement. Der Schriftsteller Heinrich Böll beispielsweise war eine zentrale Figur in den Anti-Regierungsprotesten Ende der 1960er Jahre. Später unterstützte er die SPD-Regierung unter Willy Brandt und ihre Annäherung an den Osten. Der Aktionskünstler Joseph Beuys setzte sich in den 1970er Jahren vehement für mehr direkte Demokratie ein und schloss sich später der links-ökologische Partei Die Grünen an.
Weniger Reibung
Heute sind sich die Parteien bei großen Themen wie Euro- und Schuldenkrise einig. Gestritten wird lediglich über Mittel und Wege, die Probleme zu lösen. Das bietet für Intellektuelle und Künstler weniger Reibungsfläche als frühere große Debatten während des Kalten Krieges.
"Es ist jetzt nicht mehr so, dass die Intellektuellen die Politiker vor sich her treiben und sie an ihre Pflichten erinnern", meint Schriftsteller und Journalist Mathias Greffrath. Einen weiteren Grund für die Zurückhaltung der Intellektuellen, die sich sonst gern pointiert einmischen, sieht Mathias Greffrath in einem Generationswechsel. Eine ganze Generation von Intellektuellen, die sogenannten 68er, sei in Rente gegangen. Die Studenten- und Intellektuellenbewegung warf damals ihren Eltern vor, die nationalsozialistische Vergangenheit nicht genügend aufgearbeitet zu haben. Aber auch für ein Ende des Westrüstens zwischen USA und UdSSR, die Gleichstellung von Mann und Frau und für die Überwindung einer prüden Sexualmoral setzte sich die Bewegung ein.
Linke Intellektuelle sind müde geworden
"Diese Leute haben ein paar Jahre lang etwas verändert, doch sie sind müde geworden und machen jetzt lieber betreute Fahrradtouren", sagt Mathias Greffrath. Andererseits sind auch viele Forderungen der 68er mittlerweile im politischen Mainstream angekommen, nicht zuletzt durch die Gründung der Grünen Anfang der 1980er Jahre.
Ohnehin neigt das Künstlermilieu schon seit der Regierungszeit des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU) dazu, das linke politische Lager zu unterstützen. Anhänger konservativ-bürgerlicher Parteien findet man unter Schriftstellern, Malern und Philosophen selten. Auch die Mini-Umfrage in der Zeitung "Die Zeit" bestätigt das: Nur vier Befragte gaben eine Wahlempfehlung für die CDU ab, keiner für die FDP. Das linke Lager aus SPD, Grüne und Linke erhielt mehr als vier Mal so viele Empfehlungen wie die CDU.
"Demokratie greift ins Leere"
Andreas Veiel, erfolgreicher Theater- und Filmregisseur, gehört zu denen, die eine Wahlempfehlung abgegeben haben - für die Grünen. Zu einem Partei-Maskottchen möchte er sich aber nicht machen lassen. "Meine Rolle ist es nicht, mich parteipolitisch zu binden." Aber er mischt sich gerne ein: "Ich sehe mich eher als Unruhestifter. Meine Aufgabe als Künstler ist es, Prozesse zu beobachten, mich in Debatten einzubringen und zu zeigen, wo Demokratie unterminiert wird." So hat er sich beispielsweise in seinem Anfang des Jahres in Berlin und Stuttgart uraufgeführten Stück "Das Himbeerreich" mit der Skrupellosigkeit der Finanzwelt und der Bankenkrise beschäftigt. Veiel wünscht sich, dass noch mehr Künstler solche sperrigen aber politisch brisanten Themen in ihrer Arbeit anpacken.
Die Debatte zeigt: Einem ganzen Parteiprogramm in allen Einzelpunkten beizupflichten lehnen viele Intellektuelle ab. Künstler, die aktiv am Wahlkampf teilnehmen, wie der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass, der immer wieder die Werbetrommel für die SPD rührt, sind selten geworden. Bei einzelnen Themen wie dem Datenschutz oder den Risikospielen auf den Finanzmärkten melden sie sich engagiert zu Wort, so wie an diesem Mittwoch vor dem Kanzleramt. Um echtes Interesse anzustoßen, müssten es allerdings mehr sein als eine Schriftstellerin und eine Handvoll Kollegen. Die Kartons mit den Unterschriften muss die Gruppe zum Bundespresseamt schleppen, wo sie die stellvertretende Regierungssprecherin entgegen nimmt. Das Kanzleramt bliebt verschlossen. Angela Merkel ist derzeit zu beschäftigt. Mit Wahlkampf.