1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Geständnis vor laufender Kamera

Birgit Svensson1. Februar 2015

Zwei japanische Geiseln hat der IS ermordet, ein Pilot aus Jordanien ist noch in seiner Gewalt. Die Terroristen wollen eine Gesinnungsgenossin freipressen, die in jordanischer Haft sitzt. Doch wer ist diese Frau?

https://p.dw.com/p/1ETrP
Sajida al-Rashawi Al-Qaida-Mitglied 2005
Bild: Marco Di Lauro/Getty Images

Eine Frau steht seit Tagen im Mittelpunkt eines Tauziehens zwischen Japan, Jordanien und dem sogenannten Islamischen Staat (IS). Die Irakerin Sajida al-Rischawi ist zum Faustpfand für einen Gefangenenaustausch geworden. Geht es nach dem Willen des IS, soll die Kämpferin ihr Gefängnis in Jordanien verlassen können - im Gegenzug für die Freilassung des Jordaniers Muath al-Kassasbeh aus der Geiselhaft der Dschihadisten. Der Austausch sollte bereits Ende Januar an der syrisch-türkischen Grenze erfolgen, wurde aber offensichtlich verschoben. Ob und wann dieser Deal zustande kommt, ist unklar.

Zündschnur versagte

Klein und unscheinbar, fast schüchtern saß die verschleierte Frau vor gut zehn Jahren vor den Kameras des jordanischen Staatsfernsehens und erzählte, wie sie Mitglieder einer Hochzeitsgesellschaft in Amman in die Luft jagen wollte.

Videostill Kenji Goto mit Foto von Muath al-Kasaesbeh (Foto: AP)
Die japanische IS-Geisel Kenji Goto mit einem Foto des jordanischen Piloten Muath al-Kassasbeh. Goto wurde zwischenzeitlich vom IS ermordetBild: picture-alliance/AP Photo

Im November 2005 erschütterte eine Serie von Anschlägen auf drei internationale Hotels die jordanische Hauptstadt und riss mehr als 60 Personen in den Tod - 115 wurden verletzt. Besonders brutal ging der Selbstmordattentäter vor, der sich in einem Festsaal des Radisson-SAS-Hotels in die Luft sprengte und dabei 38 Menschen tötete. Gäste einer Hochzeitsfeier, die zu diesem Zeitpunkt in dem Saal stattfand.

Die Identität des Attentäters konnten die jordanischen Behörden schnell klären: Ali Hussein al-Schammari. Er war offenbar von "Al Kaida im Irak" beauftragt worden, wie die Organisation in einem Bekennerschreiben später angab. Geplant war ein Doppelanschlag auf die Hochzeitsgesellschaft, doch der Sprengstoffgürtel seiner Frau Sajida al-Rischawi explodierte nicht.

Irakerin allein vor Gericht

Ihr Mann habe ihr beigebracht, wie man den Gürtel anlege, wo die Zündschnur sein müsse. Als er den technischen Defekt erkannte, so berichtete al-Rischawi dem Gericht, soll er sie aus dem Saal geschubst haben. Vor laufender Kamera erzählte das Al-Kaida-Mitglied seine Geschichte. Rishawi gab zu, aus dem Irak zu stammen und fünf Tage vor dem Attentat mit ihrem Mann und mit Hilfe gefälschter Pässe nach Jordanien eingereist zu sein. Die Grenzbeamten hegten offenbar keinen Verdacht bei dem harmlos aussehenden Ehepaar. Außerdem gehörte ihr Mann einem Stamm an, der sowohl im Irak als auch in Jordanien viele Mitglieder hat. Schammar ist einer der größten Stämme in der Region. Seine Mitglieder sind sowohl Sunniten als auch Schiiten. Der Hauptsitz des Schammar-Stammes ist Mossul, die drittgrößte irakische Stadt, die im Juni 2014 vom IS eingenommen wurde.

Al-Rischawi Fernsehauftritt nur drei Wochen nach dem Anschlag wurde zum öffentlichen Ereignis. Die Einwohner Ammans schauten gebannt auf die verhinderte Selbstmordattentäterin, die aller Welt vorführte, wie eine menschliche Bombe funktioniert, wie man die Zündschnur reißt und wie man den Tod möglichst vieler Menschen plant. Rashawi trug ihren Sprengstoffgürtel und zeigte dem Gericht den fehlerhaften Zünder. Ihre Augen blieben dabei völlig leer. Ruhig und gelassen bedauerte sie, dass die Waffe nicht funktioniert habe.

Familienmitglieder vom jordanischen Pilot Muath al-Kasasbeh (Foto: Reuters)
Angehörige von Muath al-Kassasbeh warten auf ein Lebenszeichen des PilotenBild: Reuters/M. Hamed

Hartes Urteil

Die Empörung in der jordanischen Bevölkerung war groß. Damals waren Frauen mit Sprengstoffgürtel noch eine Seltenheit. Dass die Frau keinerlei Regung oder Reue zeigte, mag die Richter bewogen haben, gegen Rashawi die Höchststrafe zu verhängen: Tod durch den Strang. Allerdings widerrief die Irakerin ihr Geständnis kurz nach dem Urteilsspruch und konnte im Oktober 2010 eine Wiederaufnahme des Prozesses erreichen.

Als das Verfahren gegen die heute 44-Jährige eröffnet wurde, waren mit ihr noch zwei Männer in Abwesenheit angeklagt: der jordanisch-stämmige damalige Chef von Al Kaida im Irak, Abu Musab al-Zarqawi, und al-Rischawis Bruder Mubarak, ein enger Vertrauter des Terrorchefs. Doch bevor das Gericht sein Urteil auch über die beiden Drahtzieher der Terrororganisation fällen konnte, wurden die Männer durch einen Luftangriff der USA Anfang Juni 2006 getötet. Der Chef der Vorgängerorganisation des heutigen "Islamischen Staats", Abu Bakr al-Bagdadi, wurde bei derselben Aktion festgenommen.

Al Kaida und IS sind nicht zu trennen

Für Experten ist der Anschlag ein Beleg dafür, wie sehr die frühere "Al Kaida im Irak" mit dem heutigen IS verbunden ist. Bagdadi hatte sich Sarkawi angeschlossen. Er war sein Vorbild, ihm strebt er nach. Sarkawis Gedankengut lebt in Bagdadi weiter. Sarkawi wiederum fühlte sich Osama bin Laden verpflichtet und unterwarf sich seinem Diktat. Viele Beobachter glauben daher: Al Kaida und IS arbeiten nicht gegeneinander, sondern sie kämpfen miteinander.

Foto des jordanischen Piloten al-Kasaesbeh und der Terroristin Sajida Mubarak al-Rishawi (Foto: dpa)
Pilot gegen Terroristin? Ob es zum Gefangenenaustausch kommt, ist derzeit völlig unklarBild: picture-alliance/Jordan News Agency

"Al Kaida Plus" wird der IS inzwischen im Irak nicht ohne Grund genannt; der Begriff vereint all diejenigen, die in einem Islamischen Staat die Erfüllung ihrer Ziele sehen. Mit einem Gefangenaustausch zwischen dem IS und Jordanien kämen sie diesem Ziel näher, nämlich de facto als souveräner Staat anerkannt zu werden. Sajida al-Rischawi wird nach ihrer möglichen Freilassung sicherlich in ihre Heimatprovinz Anbar, nordwestlich von Bagdad zurückkehren. Die Provinz steht derzeit mehrheitlich unter IS-Kontrolle.