Geschwister: Liebe, Hass, Rivalität
Der Schweizer Psychologe und Geschwisterforscher Jürg Frick erlebt als Therapeut, wie vielfältig die Rollen sein können, die Brüder und Schwestern im Leben einnehmen können. Was darauf einen großen Einfluss hat: das Geschlecht, der Altersabstand, aber auch die Erziehung. Im Rahmen der frühen Geschwisterforschung der 1920er-Jahre hat der österreichische Psychologe Alfred Adler zunächst noch die Geschwisterkonstellationen untersucht. Die Annahme war: Erstgeborene sind verantwortungsbewusster, sogenannte Sandwichkinder - die mittleren Geschwister - kooperativer und die Nesthäkchen risikofreudiger. Doch stimmt das? Die Persönlichkeitsforscherin Julia Rohrer von der Universität Leipzig hat dazu in mehreren Untersuchungen erstmals große internationale Datensätze von Langzeitstudien ausgewertet. Ihre Forschungsergebnisse zeigen: Die Position in der Geschwisterkonstellation hat weniger Einfluss auf die Persönlichkeit als bislang gedacht. Ein Punkt sticht jedoch heraus: Studien zeigen, dass Frauen, die mit jüngeren Brüdern aufwuchsen, im Beruf weniger verdienen als solche mit jüngeren Schwestern. Woran das genau liegt, soll in weiteren Untersuchungen erforscht werden. Medizinische Forschung macht es heutzutage möglich, dass Geschwister sogar schon als Lebensretter zur Welt kommen. So wie Jamie Whitaker aus England - er wurde "in vitro" gezeugt, um mit seinem perfekt passenden Erbmaterial und seinen Stammzellen seinem schwer kranken Bruder Charlie helfen zu können. Jamies Embryo stimmte zu 98 Prozent mit den Genen seines Bruders Charlie überein. Beide sind heute erwachsen und gesund. Doch welche Folgen hat diese gezielte Auswahl der passendsten Embryonen, um Rettungsgeschwister zu zeugen für ihre Geschwisterbeziehung? In zahlreichen Ländern ist diese Praxis bislang ethisch umstritten oder sogar verboten. Immer mehr Bedeutung gewinnen auch Studien mit eineiigen Zwillingen. Es besteht die Hoffnung, drängende medizinische Fragen unserer Zeit beantworten zu können: Wodurch werden etwa Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Long COVID beeinflusst? Sind genetische Faktoren entscheidend - oder eher äußere Einflüsse?