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Geschieden oder homosexuell: Kirche ändert Arbeitsrecht

24. November 2022

Die katholische Kirche in Deutschland bewegt sich. Künftig will sie das Beziehungsleben ihrer Mitarbeiter respektieren. Nicht allen geht das weit genug.

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Die Regenbogenfahne weht vor der Autobahnkirche St. Christophorus
Die katholische Kirche und ihr Umgang mit Homosexualität ist seit Jahren Gegenstand von DebattenBild: Benedikt Spether/dpa/picture alliance

Es geht um die Chefärztin eines katholischen Krankenhauses, die geschieden ist und wieder heiraten will. Oder um den Leiter eines kirchlichen Kindergartens, der eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingeht. Beiden sprach bislang die katholische Kirche als Arbeitgeber die Kündigung aus. Solche Fälle sorgten in den vergangenen Jahren immer mal wieder für Empörung. Denn viele empfanden die kirchliche Linie nur mehr als hartherzig - und weit entfernt von heutiger Lebenswirklichkeit. 

Liberaleres Arbeitsrecht

Nun haben die katholischen deutschen Bischöfe nach mehrfachen Beratungen eine Liberalisierung des kirchlichen Arbeitsrechts für die rund 800.000 Beschäftigten der katholischen Kirche in Deutschland beschlossen. "Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, bleibt rechtlichen Bewertungen entzogen", heißt es in dem umfangreichen Dokument. Was, so lässt sich zusammenfassen, im Schlafzimmer der Mitarbeitenden passiert, bleibt im Schlafzimmer.

Ein Kruzifix ist vor dunklen Wolken zu sehen.
Die Kirchen gehören auch als Arbeitgeber zur deutschen Gesellschaft. Ihre herausgehobene Stellung ist im Grundgesetz verankertBild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Die beiden Kirchen, katholische und evangelische, sind gemeinsam nach dem öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Zusammen beschäftigen sie etwa 1,3 Millionen Menschen. Für sie gilt ein kirchliches Arbeitsrecht. Aber warum hat die katholische Kirche überhaupt das Recht, für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eigene Vorgaben zu machen? Das ist im Grundgesetz festgelegt, das den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht auch im Dienst- oder Arbeitsrecht einräumt. Keine der großen politischen Kräfte wollte in den vergangenen Jahrzehnten diese Vorgaben des Grundgesetzes zum Thema machen, einschränken oder abschaffen.

Deshalb ist es bemerkenswert, dass nun die katholischen Bischöfe ihrerseits ihr Arbeitsrecht in wichtigen Punkten ändern. Zu groß war der Druck, weil Arbeitskräfte sich dem nicht mehr beugen wollten oder die Kirche als Arbeitgeber unattraktiv wurde. Noch im Jahr 2015 hatten die Bischöfe versucht, mit einer Neuformulierung ihres Arbeitsrechts Dynamik aus dieser Debatte zu nehmen. Das reichte nur für wenige Jahre.

Protestierende Katholiken übergeben Bischof Georg Bätzing (im Vordergrund) mehr als 117.650 Unterschriften für einen anderen Umgang der Kirche mit Homosexuellen und queeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Protest bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe; im Vordergrund Bischof Georg BätzingBild: Christoph Strack/DW

Vor allem wuchs der Druck der kirchlichen Basis in Deutschland gegen einen Kurs, der an der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbeiging. Im vorigen Jahr sorgten Mitarbeitende der katholischen Kirche mit einer Initiative #OutInChurch für Aufsehen und ernteten Zustimmung durch viele kirchliche Organisationen, durch Politik und andere gesellschaftliche Gruppen. Da outeten sich kirchliche Mitarbeitende, darunter auch Geistliche und Ordensleute, als queer und drängten auf Anerkennung durch ihre Kirche. Sie riskierten damit, ihren Job zu verlieren; deshalb blieb ein Teil der Beteiligten auch anonym. Aber die Stimmung wandelte sich. Auch Bischöfe äußerten Respekt für die Initiative und kündigten an, in ihrem Bistum niemanden mehr wegen seiner sexuellen Orientierung zu entlassen.

"Kirchlicher Reformmotor"

Und der sogenannte "Synodale Weg", bei dem sich Laien und Bischöfe um eine Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und eine Kirche näher an den Menschen mühen, diskutierte das Thema und nahm die Forderungen bezüglich des kirchlichen Arbeitsrechts auf. Der Synodale Weg sei "Motor dringend erforderlicher Reformen", sagt der Generalsekretär des obersten Laiengremiums, des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Marc Frings, der Deutschen Welle. "Gewiss hätte sich ohne die Erfahrungen gemeinsamer Beratungen und Entscheidungen von Lai*innen und Bischöfen nicht eine solche Dynamik entfaltet, die zu einer so schnellen und guten Überarbeitung geführt hätte."

Die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz sitzen auf Holzstühlen in der Basilika von Vierzehnheiligen
Es gibt eine Bischofskonferenz in Deutschland - aber sehr unterschiedlich agierende BischöfeBild: Nicolas Armer/dpa/picture alliance

Mit Spannung wird innerkirchlich verfolgt, wie die konkrete Umsetzung nun erfolgt. Denn die Bischofskonferenz kann ein neues Arbeitsrecht beschließen. Aber jeder einzelne Bischof in den 27 Diözesen ist dafür zuständig, es im Bistum umzusetzen - oder eben zu ignorieren. Expertinnen und Experten rechneten damit, dass mehrere konservative oder reaktionäre Bischöfe auf die Umsetzung verzichten würden. Doch zu den Diözesen, die zeitnah ankündigten, auf das neue Arbeitsrecht zu setzen, gehörten auch das Erzbistum Köln von Kardinal Rainer Maria Woelki und das Bistum Passau von Bischof Stefan Oster. Bei anderen Diözesen, so bei Regensburg und Augsburg, geht das Warten vorerst weiter.

"Diskriminierung bleibt"

Doch nicht alle stimmen in reinen Jubel über die Kursänderung der Bischöfe ein. Im kirchlichen Bereich wirkt manche Skepsis kritischer Geister bisheriger Erfahrung geschuldet. Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose beispielsweise sieht nach wie vor "viel Spielraum für bischöfliche Willkür". So könne nach dem neuen Arbeitsrecht ausdrücklich "kirchenfeindliches Verhalten" Anlass für eine Kündigung sein - es lege aber nicht fest, was darunter zu verstehen sei. Das könne also jeder Bischof selbst definieren.

Und Jens Ehebrecht-Zumsande, Mitarbeiter im Erzbistum Hamburg und wie Hose einer der #OutInChurch-Mitinitiatoren, bemängelt, dass sich die neuen Vorgaben an einem "binären Geschlechtermodell" orientierten, "wonach es nur Frauen und Männer gibt". Die Perspektiven und Rechte von Mitarbeitenden anderer Orientierung, wie trans oder nichtbinäre Menschen, blieben unberücksichtigt. Sie blieben "diskriminiert".

Ferda Ataman, der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag, spricht in Mikrofone
Die Unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda AtamanBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Als eine der wenigen aus der Bundespolitik äußerte sich die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman. Sie plädierte für die Abschaffung aller Ausnahmeregelungen, solange es nicht um die direkten Akteure der kirchlichen Verkündigung wie Geistliche oder Ordensleute geht. Erst dann seien beispielsweise die Chefärztin oder der Kindergärtner geschützt. Denn auch nach den neuen kirchlichen Vorgaben können sie entlassen werden, falls sie aus der Kirche austreten. Das will Ataman ändern.

Generell wirkt es weithin so, als ob die Bundespolitik das kirchliche Agieren kommentarlos respektiert. Schließlich sind die Kirchen in Deutschland nach wie vor die größten nicht-staatlichen Arbeitgeber und gerade im sozialen Bereich von Bedeutung.

Für Marc Frings ist das neue Arbeitsrecht eine Ermutigung des Drängens der Laien in der Kirche. Es zeige sich am neuen Arbeitsrecht, "dass Wandel und Reform von unten kommen". Ohne die Kampagne #OutInChurch und ohne "die engagierte katholische Zivilgesellschaft" stünde man nicht am jetzigen Punkt der Reformen. "So lernen wir, dass unser Tun und Diskutieren unmittelbare Konsequenzen entfalten", zeigt sich Frings zufrieden.

Spätestens Anfang März 2023 stehen weitere Reformfragen an. Bei der abschließenden Runde des "Synodalen Weges" geht es dann unter anderem um die Forderung nach Gleichberechtigung von Mann und Frau.